Dick Cheney diente als Vizepräsident unter George W. Bush von 2001 bis 2009 – und er setzte als Vorbild für zukünftige Hollywood-Produktionen rund ums Weiße Haus Zeichen: Denn er widersprach dem gängigen Hollywood-Klischee des Amtes. Vizepräsidenten waren in Film und TV meist Randfiguren, politisch träge oder höchstens als komisches Element angelegt.
Cheney aber war anders. Weitgehend als eigentliche Macht und treibende Kraft der Bush-Präsidentschaft gesehen und als Architekt der US-Invasion im Irak, wurde Cheney zum Symbol amerikanischer Politik und Macht in der Zeit nach dem 11. September 2001. Nicht unbedingt im positiven Sinne: Sein Spitzname in der Presse damals war „Darth Vader“ – die dunkle Figur in der „Star Wars“-Saga.
Aber unabhängig davon, was man von seiner Politik hielt: Cheney inspirierte zwei der besten filmischen Darstellungen des Vizepräsidentenamts überhaupt.
„Vice“ – Christian Bales spektakuläre Verwandlung
Am bekanntesten ist Adam McKays „Vice – Der zweite Mann“ (2018), eine düster-komische Filmbiografie mit Christian Bale als Cheney, die seinen Aufstieg in Washington nachzeichnet – vom Abgeordneten aus Wyoming zum Verteidigungsminister bis hin zu dem Mann, den der Film als mächtigsten Vizepräsidenten der US-Geschichte zeigt.
Oscar für die beste Maske: Schauspieler Christian Bale ist als Dick Cheney kaum wiederzuerkennenBild: picture alliance/dpa/Warner Bros. Pictures/M. Kennedy
In McKays Darstellung ist Cheney der Puppenspieler: die leise Stimme in der Ecke des Raums, deren Vorschläge zu Politik werden.
Es ist einmal mehr eine Total-Performance von Bale, der sich für die Rolle verwandelte, über 20 Kilo zunahm und durch Schichten aus Prothesen und Make-up hindurch spielte.
Der Film erhielt acht Oscar-Nominierungen, darunter eine als Bester Hauptdarsteller für Bale, gewann am Ende jedoch nur einen – für „Bestes Make-up und Beste Frisuren“.
Cheney behauptete, den Film nie gesehen zu haben, das Urteil seiner Enkelin aber sei gewesen, Bale lasse ihn aussehen „wie einen knallharten coolen Typen“.
Ein flüsternder Machiavelli in Oliver Stones „W.“
Vor „Vice“ hatte Oliver Stone die Cheney-Bush-Dynamik bereits in seiner Dramedy „W.“ (2008) über das Leben des 43. Präsidenten aufgegriffen.
Richard Dreyfuss spielt Dick Cheney in „W.“ als EinflüstererBild: Mary Evans/IMAGO
Richard Dreyfuss spielt darin Cheney an der Seite von Josh Brolins ahnungslosem Bush. Während dieser der Star ist, ist Cheney die dunkle Kraft, die das Staatsschiff steuert. Er ist der Schatten im Oval Office, ein flüsternder Machiavelli, der den Präsidenten leise in Richtung Krieg schiebt.
„W.“ ist weniger geschliffen als „Vice“, liefert aber wohl das pointiertere Porträt Cheneys als Macht hinter dem Thron.
Fiktive Vizepräsidenten: Kiffer, Mörder, Helden
Verglichen mit diesen beiden dominanten „Vizes“ fallen die meisten fiktiven Vizepräsidenten aus Hollywood eher ab. Dax Shepard als Vizepräsident Frito Pendejo (Entschuldigung an unsere spanischsprachigen Leserinnen und Leser) in Mike Judges „Idiocracy“ (2006) ist ein permanent bekiffter, herrlich unfähiger Anwalt, der irgendwie ins zweithöchste Amt des Landes stolpert.
Julia Louis-Dreyfus als Selina Meyer, die Vizepräsidentin in HBOs Polit-Satire „Veep“ (2012 bis 2019), liefert eine der großen komischen TV-Leistungen – sie gewann sechsmal in Folge den Emmy -, aber Meyer, zugleich ehrgeizig, ahnungslos und schamlos, dürfte kaum Wechselwähler überzeugen.
Intrigen und Mord: Kevin Spacey als Frank Underwood in „House of Cards“Bild: David Giesbrecht/Netflix/AP Photo/dpa/picture alliance
Ebenso wenig Frank Underwood, der skrupellose Politiker, gespielt von Kevin Spacey, in HBOs „House of Cards“ (2013 bis 2018), der vom Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus über das Vizepräsidentenamt bis ganz nach oben aufsteigt – mit allen Mitteln, von Intrigen und Täuschungen bis hin zum Mord.
Seine ebenso intrigante Frau Claire (großartig: Robin Wright) ist kaum besser. Claire wird in Underwoods zweiter Amtszeit Vizepräsidentin und danach Präsidentin, als Underwood nach eigenen Skandalen zum Rücktritt gezwungen wird (so wie Spacey nach den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs gegen ihn aus der Serie geschrieben wurde).
Underwoods machthungrige Manöver scheinen von Cheneys realem Ruf als stiller Strippenzieher inspiriert, auch wenn selbst seine härtesten Gegner dem verstorbenen Vizepräsidenten wohl kaum vorgeworfen hätten, eine Journalistin, mit der er auch noch ein Verhältnis hatte, vor einen Zug gestoßen zu haben – wie Underwood in Staffel 2 von „House of Cards“.
Der Ruhepol in der Krise
Glenn Close als Krisenmanagerin in „Air Force One“Bild: Landmark Media/IMAGO
Seltener ist die Darstellung des Vizepräsidenten als ruhige, verlässliche Hand in der Krise. Dieses Bild des Amtes zeigt Glenn Close in Wolfgang Petersens Action-Klassiker „Air Force One“ (1997): Close als Vizepräsidentin Kathryn Bennett muss die politische Stellung halten, nachdem Präsident James Marshall (Harrison Ford) von russischen Terroristen als Geisel genommen wird.
Morgan Freeman gibt eine ähnlich stoische Performance im Actionfilm „Olympus Has Fallen“ als Allan Trumbull, ein solider und kompetenter Vize, der einspringt, nachdem diesmal nordkoreanische Terroristen den Mann an der Spitze ausgeschaltet haben. Mit der Realität haben diese Szenarien wenig zu tun, aber immerhin kehren sie das Klischee vom machtlosen zweiten Mann – oder der zweiten Frau – um.
Morgan Freeman in „Olympus Has Fallen“Bild: Phil Caruso/Cinema Publishers Collection/IMAGO
Auf der Leinwand tendieren reale wie erfundene Vizes weiterhin zum Absurden und Grotesken – entweder als machthungriger Schurke im Schatten des Oval Office oder als harmlose Nebenfigur im Anzug.
Aber Dick Cheney, der das Vizepräsidentenamt von einer eher protokollarischen Randnotiz zu einem Instrument der Macht machte, hat Hollywood bis heute dazu inspiriert, der Nummer Zwei im Weißen Haus immer öfter die Hauptrolle zu geben.
Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch