Heute muss Hans Peil selbst darüber lachen, dass ihm die Köpfe und Namen in der Fassade seines Hauses nichts bedeuteten, er sie genau genommen nicht einmal richtig wahrgenommen hat, als er es 1994 erwarb. Görlitz, die Stadt mit den herrlichen Altbauten bis zurück aus der Zeit der Renaissance, klang damals, kurz nach dem Mauerfall, nach blühender Zukunft. Ein bisschen war zu tun. Vielleicht ein bisschen viel.

Der Putz bröckelte von den meisten Häusern, und ausgebaut waren die wenigsten nach modernem Standard. Farbe war dem Ortskern fremd. Dennoch war das Potential nicht zu übersehen – und Hans Peil investierte in ein Wohnhaus aus der Gründerzeit in der Hoffnung, nach Umbauten und Ausbauten eine kleine Rendite zu erwirtschaften. Das baufällige Fabrikgebäude im Hinterhof, von dem jugendlicher Übermut zerstört hatte, was dem Zahn der Zeit entkommen war, wie Hans Peil es formuliert, war im Preis enthalten. Später erst, als er in einem Bildband über Görlitz, einem Weihnachtsgeschenk, einen kurzen Beitrag über sein Haus entdeckte, machte er sich mit dessen Geschichte vertraut, die sich aufrollte zu einer immerhin hübschen Fußnote der Geschichte der Fotografie.

Die große Zeit der optischen Industrie

Denn gebaut hatte das Haus die Firma Herbst & Firl, die dort von 1892 bis 1919 Fotoapparate produzierte. Und nach dem Ersten Weltkrieg mietete sich die Firma Meyer Optik darin für einige Zeit ein. Es war die große Zeit der optischen Indus­trie in Görlitz. Die Firma Curt Bentzin etwa entwickelte hier mit der Primarflex einen Apparat, von dem viele behaupten, Hasselblad habe ihn frech kopiert und zu Weltruhm geführt. Knapp hundert Unternehmen widmeten sich zuzeiten der Herstellung von Fotoapparaten, einschließlich solcher Zulieferer wie Feinmechaniker für die Beschläge oder Sattler für die Balgen der alten Ausziehkameras. Und bis zur Wende produzierte der „Volkseigene Betrieb VEB Feinoptisches Werk Görlitz, Betrieb im Kombinat Carl Zeiss Jena“ Objektive für die DDR-Kamera-Reihe Praktica.

Ein Oldtimer der Bilderproduktion: Die Kamera von Curt Bentzin wurde in Görlitz gebautEin Oldtimer der Bilderproduktion: Die Kamera von Curt Bentzin wurde in Görlitz gebautFreddy Langer

Irgendwann begriff Hans Peil, wer da von seinem Haus aus zwischen den Fenstern der ersten Etage mit arrogantem Blick über die Straße schaute: William Fox Talbot, Louis Jacques Mandé Daguerre und Joseph Nicéphore Niépce – die drei Erfinder der Fotografie. Und bald darauf setzte er, der 1972 sein Kunststudium an der HdK in Berlin als Meisterschüler bei Hermann Bachmann abgeschlossen hat, sich mit seinem Freundeskreis aus lauter Künstlern zusammen, um „herumzuspinnen“, was man dem Haus schuldig sei. Ergebnis der Debatte war der hochtrabende Plan der Gründung eines Fotomuseums. Noch ohne Sammlungsbestand. Und vorerst ohne Konzept. Aber alle waren begeistert. Im Winter 1999 gab es die Gründungsversammlung der Gesellschaft Freunde des Museums für Fotografie. Zwanzig, vielleicht auch fünfundzwanzig Frauen und Männer, so genau erinnert Hans Peil sich nicht, setzten ein Kreuzchen auf die Karte: „Ja, ich trete bei.“

Bald sammelten sich von überallher Sachspenden an

Schon bald freilich wich die Begeisterung der Erkenntnis, dass es sich mit der Fotografie nicht anders verhält als mit der Kunst allgemein. Sie ist zwar schön, macht aber viel Arbeit. Hans Peil kamen jetzt zumindest die Erkenntnisse zupass, die er zunächst im Anschluss an sein Kunststudium in Seminaren für Öffentlichkeitsarbeit gesammelt hatte und später als selbständiger Berater für Mittelständler, wie sie Fördermittel aus dem Wirtschaftsministerium erhalten können. Vor allem aber sprang ihm der Berliner Sammler Werner Umstätter zur Seite, der ein Jahr lang im ersten Stock des Hauses mit eigenem Material vorführte, wie ein solches Museum aussehen könnte.

Bald wusste ganz Görlitz von seinem Museumsplan, und obwohl Hans Peil zunächst gesagt wurde, es sei in der Stadt nichts übrig geblieben von deren fotografischer Tradition, sammelten sich bald von überall her Sachspenden an: historische Apparate von beeindruckend monströsem Ausmaß, Kleinbildkameras, die durch die Digitalisierung obsolet geworden waren, selbst komplette Einrichtungen von Dunkelkammern – die Hans Peil nur allzu gern übernahm, um Schulklassen die Möglichkeit zu geben, eigene Filme zu entwickeln und Abzüge herzustellen.

Herr Gutte aus Görlitz, Hirschhorn- und KnopffabrikantHerr Gutte aus Görlitz, Hirschhorn- und KnopffabrikantFreddy Langer

Jedenfalls war rasch genügend Material beisammen, um damit im neu hergerichteten Ladengeschoss des Vorderhauses nahezu lückenlos die technische Entwicklung der Fotografie nachzuerzählen. An Bilder hingegen hatte man kaum gedacht.

Aber als das Museum aus Berlin eines Missverständnisses wegen angefragt wurde, ob es eine umfassende Retrospektive des legendären Fotojournalisten Robert Lebeck übernehmen wolle, sagte man keck ja, flickte notdürftig und im Eiltempo ein Stockwerk der halb zusammengefallenen Fabrikhalle her und richtete dem Fotografen samt seiner Berliner Entourage zur Eröffnung ein großartiges Fest aus. Fortan gab es von deren Seite reichlich Unterstützung bei der Vermittlung neuer Ausstellungen. Nicht hingegen, leider, bei der Vermittlung von Sponsoren.

Die Baustahlmatten, die man damals kurzerhand aufrecht im Raum verteilt hatte, um Lebecks Fotografien daran aufzuhängen, die sonst dagegen Betonböden Halt geben, stehen noch immer und sind heute vielleicht so etwas wie ein Wahrzeichen des Hauses – obwohl die anderen Etagen längst sorgfältig ausgebaut wurden und in den vergangenen zwanzig Jahren knapp hundert Ausstellungen Raum boten. Wie vielfältig das Programm gewesen ist, belegt eine der aktuellen Ausstellungen. Zum Jubiläum des Hauses zeigt sie die Werbeplakate für fast alle Präsentationen. „Die ganz frühen fehlen. Keiner hat sie aufgehoben“, sagt Hans Peil und fügt schulterzuckend an: „Wir hatten ja nicht damit gerechnet, dass es uns so lange geben wird.“ Im kommenden Jahr wird er achtzig, und noch immer gestaltet er das Programm.

Die Altstadt dient regelmäßig als Filmkulisse

Kürzlich waren parallel zu den Plakaten die düsteren Bildkommentare zur Situation der amerikanischen Gesellschaft von Michael Dressel zu sehen: „The End is Near, here – Ein Logenplatz in der Hölle.“ Es folgte die jüngste Serie des Berliner Fotografen Matthias Leupold, der für „Aus dem Gruppenbild der Christiane P.“ Bilder und Erinnerungen seiner Ostberliner Kindheit unter den Bedingungen der Diktatur nachinszeniert hat. Einfach macht es Hans Peil den Besuchern mit seinen Präsentationen nicht. Nicht immer wenigstens.

Das Geheimnis seines Museums indes liegt im extrem weitgefächerten Programm, in dem sich Arbeiten international bekannter Fotokünstler abwechseln oder ergänzen mit Amateurfotografen aus Görlitz oder der Lausitz. So hält Hans Peil Kontakt zum heimischen Publikum und zieht zugleich Städtetouristen ins Haus, an denen in Görlitz kein Mangel herrscht. Schon gar nicht, seit die herausgeputzte Altstadt regelmäßig als Kulisse für Kino- und Fernsehproduktionen dient, darunter Filme wie „Grand Budapest Hotel“, „Inglourious Basterds“, „Der Vorleser“ und „Die Bücherdiebin“, und sich die Stadt auch im Ausland als Görliwood vermarktet. Hans Peil spielte mit und holte den Berlinale-Fotografen Gerhard Kassner mit seinen Porträts internationaler Filmstars ins Haus. Ein wenig Glamour tut bisweilen auch der Provinz ganz gut. Talbot, Daguerre und Niépce verzogen keine Miene.

Der Verein schrumpft derweil von Jahr zu Jahr. Jetzt sind es gerade noch zwei Mitglieder, die ehrenamtlich alle Arbeiten erledigen. Und so sucht nicht nur die Fotografie, der aktuell KI und die Digitalisierung die Luft abdrehen, nach neuen Wegen und Möglichkeiten, sondern auch ein Museum in Görlitz, das ihr gewidmet ist.

Museum der Fotografie Görlitz e.V. , Löbauer Straße 7, 02826 Görlitz, Telefon: 03581/ 878761, E-Mail: info@fotomuseum-goerlitz.de. Geöffnet Freitag und Samstag von 12 bis 16 Uhr. Im Internet: www.fotomuseum-goerlitz.de.