Hamburg gründet seit Jahren zu jedem Sommer neue Schulen – um dem Schülerwachstum gerecht zu werden und neue Konzepte einzuführen. Dabei verfolgt jede neue Schule eigene innovativen Ideen. Ob der Weg der richtige ist, werden Lernstandserhebungen in Kürze zeigen.

Hamburg investiert massiv in den Schulbau. Investitionen von zehn Milliarden Euro sind für die Zeit zwischen 2013 und 2030 eingeplant, und mit diesem Geld entstehen nicht nur neue Räume, sondern auch neue Formen des Lernens. Drei Dutzend Schulen sollen neu gebaut werden, zwei davon hat Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) am Donnerstag vorgestellt.

Die beiden Schulgründungen im Bezirk Bergedorf zeigen exemplarisch, was die Stadt mit dem Geld erreichen will: Es geht nicht allein um zusätzliche Kapazitäten, sondern um eine andere Art von Schule, um Lernlandschaften, die zu neuen Unterrichtsformen besser passen als starre Klassenräume. Das Bille-Gymnasium und die Schule Leuschnerstraße stehen für einen Umbau des Bildungssystems, der offene Raumkonzepte, digitale Werkzeuge und veränderte Rollen für Lehrkräfte miteinander verbindet.

Beide Schulen nehmen zum kommenden Schuljahr ihre ersten Klassen auf, die Anmeldephase beginnt Anfang kommenden Jahres. Bekeris bezeichnete die neuen Standorte als „Orte, an denen Zukunft entsteht“ und machte deutlich, dass es nicht nur um neue Adressen im Schulverzeichnis gehe, sondern um ein anderes Verständnis von Lernen. „Wir nutzen die Gründungen, um zu zeigen, wie Lernen im 21. Jahrhundert gestaltet werden kann: individuell, demokratisch und gemeinschaftlich“, sagte die Senatorin.

Das Bille-Gymnasium wird das sechste Gymnasium im Bezirk und zugleich das kleinste. Geplant sind drei bis vier Parallelklassen pro Jahrgang, insgesamt etwa 800 bis 900 Plätze. Die Schule setzt auf selbstgesteuertes und interessengeleitetes Lernen, auf demokratische Beteiligung, Bewegung und Engagement. „Wir möchten eine gesunde Schule werden, für die Schülerinnen und Schüler ebenso wie für die Lehrkräfte“, erklärt Gründungsschulleiterin Marion Zirkel-Maas. „Wir glauben, dass durch selbstbestimmtes und selbstreguliertes Lernen grundlegende Zukunftskompetenzen entstehen und dass Lernen dann positiv erlebt wird.“

Die Architektur unterstützt diesen Anspruch: offene Lernlandschaften, Gruppenarbeitszonen und kleine Rückzugsbereiche, die „Lernkojen“ heißen. „Wir haben aus einigen vorgesehenen Unterrichtsräumen Freiflächen gemacht, um unterschiedliche Arbeitsphasen optimal zu ermöglichen. Lernen heißt für uns nicht, dass man auf einem Stuhl sitzen muss – vielleicht auch einmal auf einem Sofa oder in einer Hängematte.“

Nur wenige Straßen weiter entsteht die Schule Leuschnerstraße, eine Langformschule, die Grundschule und Stadtteilschule unter einem Dach vereint. Die Grundschule gibt es bereits, die Stadtteilschule wird neu aufgebaut. Auch hier verschwinden klassische Flure, stattdessen entstehen offene Ebenen mit Zonen für Ruhe, Austausch und Bewegung. „Wir schaffen Lernlandschaften, die individualisiertes Lernen ermöglichen“, sagt Schulleiter Thomas Lutter. „Weg vom Klassenraumprinzip, hin zu Lernzonen, in denen man sich zurückziehen, experimentieren oder diskutieren kann.“ Jede Lernebene erhält einen eigenen Bewegungsraum, thematisch angepasst an die Jahrgänge.

Lehrkräfte verstehen sich als Lernbegleiter, nicht als reine Wissensvermittler. „Wir schaffen herausfordernde Lernsituationen, geben Rückmeldung und planen Lernwege gemeinsam mit den Kindern.“ Jedes Kind soll ein digitales Endgerät bekommen, gleichzeitig testet die Schule „Handygaragen“ für smartphonefreie Pausen. „Wir wollen, dass sich Kinder in den Pausen wieder begegnen, miteinander reden und spielen. Beziehungen pflegen – das ist uns wichtig.“

Die beiden Gründungen sind Teil eines größeren Plans. Seit 2019 hat Hamburg 23 neue staatliche Schulen eröffnet: zehn Grundschulen, acht Stadtteilschulen und fünf Gymnasien. Die Zahl der Schüler ist im selben Zeitraum um 25.000 gestiegen. Der Ausbau folgt der Bevölkerungsentwicklung: Während Altona und Eimsbüttel stagnieren, wachsen Bergedorf, Harburg und die Elbinseln. Gebaut wird dort, wo der Bedarf langfristig belegt ist, häufig nach dem Prinzip „erst Interim, dann Neubau“.

Gründungsschulen müssen sich mit fortschrittlichen Ideen bewerben, die Schulaufsicht begleitet sie eng. „Wir schreiben ausdrücklich aus: Innovative Konzepte erwünscht“, sagt Sonja Giesow, die für die Auswahl der Gründungsschulleitungen zuständig ist. „Diese Schulen werden über Jahre vorbereitet, die Konzepte sind ausgereift. Und sie stellen das Kind in den Mittelpunkt – mit der Frage: Wie kann es am besten lernen, wie seine Talente entfalten?“

Ob das funktioniert, wird sich zeigen, und es wird überprüft. Hamburg setzt gezielt auf datengestützte Schulentwicklung, machte Bekeris deutlich. Die neuen Schulen, die vor einigen Jahren entstanden, sind inzwischen so weit aufgewachsen, dass die Schüler die Jahrgänge erreicht haben, in denen Hamburg den Lernstand ganzer Kohorten erfasst. Kompetenztests wie KERMIT sollen an den Gründungsschulen zudem helfen, die Wirkung der Konzepte zu messen.

„Diese Systeme sind hoch agil“, sagt Giesow. „Wenn etwas nicht funktioniert, wird sofort umgesteuert. Wir starten mit Fehlerfreundlichkeit, denn wir betreten Neuland.“ Auch Bekeris betont: „Wir wollen nicht alle gleich behandeln, sondern schauen: Was bringt ein Kind mit? Was braucht es? Und wie können wir das ermöglichen?“ Lutter ergänzt: „Wenn wir feststellen, dass unsere Kinder deutlich schlechter abschneiden als der Durchschnitt, müssen wir nachsteuern. Aber ich bin überzeugt: Wenn sie sich wohlfühlen, wenn sie Beziehungen erleben, dann lernen sie besser und erreichen mehr.“

Der Umbau des Schulsystems ist teuer. Rund 500 Millionen Euro pro Jahr fließen in Neubau, Sanierung und Instandhaltung. Und es geht weiter: In den kommenden Jahren folgen die Stadtteilschule Ottensen, die Grundschule am Schilfufer und die Grundschule Hammer Straße.