Die angespannte wirtschaftliche Lage in der Region Stuttgart zeigt nun auch Auswirkungen auf den beruflichen Nachwuchs. Einst galt etwa ein Maschinenbaustudium als sichere Eintrittskarte in eine Karriere bei den großen Industrieunternehmen der Region – doch diese Zeiten sind offenbar vorbei. „Jungen Absolventinnen und Absolventen fällt es zunehmend schwer, einen passenden Einstieg zu finden“, sagt Andrea Bosch, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart.
Viele entschieden sich deshalb dafür, nach dem Bachelorstudium noch einen Master dranzuhängen – „in der Hoffnung, das Problem einfach zu vertagen“. Der Andrang auf die Universitäten sei groß: „Wir beobachten einen Ansturm auf die Masterstudiengänge. Das ist ein deutliches Signal, wie schwierig der Einstieg in den Arbeitsmarkt geworden ist.“
Für die schwierige Situation nennt Bosch mehrere Gründe. „Wir sehen auch ein Verdrängungsproblem durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz: klassische Einstiegstätigkeiten werden zunehmend automatisiert“, so Bosch. Unternehmen suchten daher häufiger erfahrenere Kräfte statt Beruseinsteigerinnen und -einsteiger. Zudem spürten viele Betriebe den allgemeinen wirtschaftlichen Druck: „Es wackelt überall – viele Firmen haben massive Abbaupläne, statt neue Stellen zu schaffen. In vielen Bereichen wird Personal freigesetzt, nicht aufgebaut.“ Jeden Monat werde die Lage angespannter. „Für Berufseinsteiger ist das besonders spürbar“, so Bosch. Erst vor wenigen Tagen hatte die IHK Region Stuttgart die Ergebnisse ihrer Konjunkturumfrage vorgestellt. Lediglich 23 Prozent der befragten Unternehmen bewerteten ihre aktuelle Lage als gut.
Künstliche Intelligenz spielt in immer mehr Branchen eine Rolle. Foto: dpa/Uwe Umstätter/Westend61
Während die IHK ein eher düsteres Bild zeichnet, kommt eine Analyse von Adobe zu einem deutlich positiveren Ergebnis: Stuttgart schneidet im bundesweiten Vergleich gut ab. Das Unternehmen untersuchte die Attraktivität deutscher Städte für Berufseinsteiger – und Stuttgart belegte dabei den dritten Platz, hinter Mannheim (Platz 1) und Mainz (Platz 2). In die Bewertung floss jedoch nicht nur die Zahl der verfügbaren Jobs ein, sondern auch Faktoren wie Lebenshaltungskosten, die Anzahl an Coworking-Spaces und die Aktivität auf LinkedIn. Betrachtet man ausschließlich das Jobangebot, rangiert Stuttgart in der Analyse immerhin auf Platz 7.
Und auch Andrea Bosch von der IHK spricht von Stuttgart als einer „attraktiven Universitätsstadt mit hoher Lebensqualität“. Doch die Aussichten, direkt nach dem Abschluss einen Job zu finden, die seien eben „deutlich gesunken“. Anders stellt sich die Situation im Bereich der beruflichen Ausbildung dar. „Hier haben junge Menschen derzeit die besseren Karten“, erklärt Bosch. „Viele Betriebe suchen händeringend nach Auszubildenden.“ Laut IHK übernehmen rund 46 Prozent der Unternehmen in der Region Stuttgart ihre Azubis nach Abschluss der Ausbildung – ein deutliches Zeichen für den hohen Fachkräftebedarf.
Die Unterschiede zwischen den Branchen seien dabei erheblich: „Banken, der Gesundheitssektor oder die Gastronomie bilden weiterhin viel aus, aber in der Industrie spüren wir einen deutlichen Rückgang – ebenso im IT-Sektor.“ Sie spricht von einer „Verschiebung weg von der Industrie“.
Bosch betont die Bedeutung praktischer Erfahrung: „Ob im Studium oder in der Ausbildung – Praxis bleibt entscheidend.“ Der Dienstleistungssektor sei weiterhin stark gefragt, vielerorts bestehe dort sogar Fachkräftemangel. Auch junge Menschen mit Abitur entscheiden sich laut ihr immer häufiger für eine duale Ausbildung. „Etwa 35 bis 40 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Hochschulreife wählen diesen Weg – und das ist eine gute Entwicklung. Die Wege nach oben sind offen.“ Mit einem guten Abschluss hätten junge Menschen gute Chancen, eine Ausbildung zu beginnen. „Es gibt aktuell mehr Ausbildungsstellen als qualifizierte junge Menschen, die tatsächlich eine Ausbildung beginnen wollen“, fasst Bosch zusammen.