Menschen aus der Schweiz sind eher weniger für eine große Klappe, also als redselig bekannt. Dennoch – der Kalauer sei erlaubt – ging der 15. Europäische Filmpreis für ästhetisch und politisch akzentuierten Kinder- und Jugenddokumentarfilm „Große Klappe“ beim 24. Duisburger Festival über Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche „doxs!“ in die Schweiz. Der von der Bundeszentrale für politische Bildung /bpb gestiftete und mit 5000 Euro dotierte Preis ging an die schweizerische Produktion „Unser Name ist Ausländer“ von Selin Besili.
Darin geht es darum, wie es ist, sich in der eigenen Heimat fremd zu fühlen. Stück für Stück verlegt Selin mit ihren drei Geschwistern das Wohnzimmer ihrer Eltern auf die Straße – den bunten Teppich, das Sofa, die Langhalslaute. Dann setzen sie sich und rühren lautstark in ihren Teegläsern. Sie sind alle in einem Dorf in der Schweiz aufgewachsen, das Kurdisch ihrer Eltern ist für sie eine Geheimsprache, das ihnen von den Eltern sicherheitshalber beigebrachte Türkisch haben sie vergessen, sie sprechen breites Schwyzerdütsch, wegen ihres orientalischen Aussehens werden sie gefragt „Können Sie Deutsch?“, und nun wollen sie sich für ihre Herkunft nicht mehr schämen, sich nicht mehr verstecken.
„Wenn du Rassismus erlebst, bist du enttäuscht“, heißt es im Film, und „Egal, wie wir uns integrieren – wir haben immer einen Hintergrund.“ Die Regisseurin ließ ihren Abschlussfilm an der Filmakademie Luzern vom Schweizer Fernsehen koproduzieren, ist selbst eine der Protagonistinnen und schafft eine sensible Verbindung von Nähe und allgemeingültiger Empathie. Die anwesende Autorin zeigte sich gerührt und extrem dankbar.
Die Preisverleihung fand in Duisburgs gut gefülltem kommunalen Kino Filmforum statt. Neben einigen der Filmschaffenden und vielen geladenen Gästen waren auch mehrere Schulklassen an den Dellplatz geströmt. Geschickt gestaltet und charmant moderiert wurde die Veranstaltung von der achtköpfigen Jugendjury, die auch diesmal über die „Große Klappe“ entschieden hatte, die Mitglieder kamen von der Gesamtschule Meiderich, dem Mannesmann-Gymnasium und dem Mercator-Gymnasium (alle Duisburg) sowie dem Gymnasium in den Filder Benden (Moers).
Eine lobende Erwähnung sprach die Jugendjury aus für die deutsche Produktion „So ist das Leben und nicht anders“ von Lenia Friedrich. In diesem Film, der Animationen mit Archivbildern kombiniert, spürt die Regisseurin der Lebensgeschichte ihrer betagten Nachbarin nach und denkt über ihr eigenes Älterwerden nach. Die „Symbolik und Erzählform“ seien „wirklich einzigartig“, fanden die Jugendlichen. Es entstünde „ein Puzzle, welches langsam eine verlorene Erinnerung vervollständigt“.
Der zweite verliehene Preis namens „ECFA Documentary Award“ (die ECFA ist die European Children’s Film Association) würdigt seit 2016 inhaltlich und ästhetisch hochwertige dokumentarische Produktionen für Kinder und wurde dieses Jahr zum achten Mal in Duisburg vergeben.
Die international besetzte Fachjury aus Teresa Lima (Portugal), Marjo Kovanan (Finnland) und Jule Murmann (Deuschland) konnte zwischen zwölf nominierten Filmen aus dem Festivalprogramm wählen, die sich an die Altersgruppe der Vier- bis Zwölfjährigen richten. Gewonnen hat „Grandpa has a broken eye and mom is an adventure“ aus Norwegen von Marita Meyer. Darin berichten vier Kinder und Teenager von ihren Erfahrungen mit einem an Aphasie erkrankten Familienmitglied. „Der Regisseurin gelang es, die Perspektive von Kindern in wunderschön animierte, metaphorische Bilder zu übersetzen, die einen leichten Zugang zu komplexen Realitäten zu ermöglichen“, heißt es in der Jurybegründung.