Schwere Entscheidungen sind zu treffen, wenn es knappe Ressourcen erfordern – Symbolbild: pixabay

KARLSRUHE/REGION
Nicht mit dem Grundgesetz vereinbar

09.11.25 – Mit Spannung war das Urteil erwartet worden, das das Bundesverfassungsgericht am 4. November 2025 in Karlsruhe verkündete. Die Richterinnen und Richter entschieden, dass die sogenannte Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Bund, so das Gericht, sei für eine solche Regelung nicht zuständig. Das Gesetz wurde daher aus formalen Gründen für nichtig erklärt.

Die Triage-Regelung war während der Corona-Pandemie vom Bundestag verabschiedet worden. Sie sollte festlegen, wie Ärztinnen und Ärzte im Falle von Ressourcenknappheit, etwa bei Beatmungsplätzen auf Intensivstationen, über die Behandlung von Patientinnen und Patienten entscheiden sollten. Ziel war es, bei Engpässen die vorhandenen Kapazitäten so zu verteilen, dass möglichst viele Menschen überleben auch wenn dies bedeutete, dass Patientinnen und Patienten mit geringeren Heilungschancen nicht mehr weiterbehandelt würden. Diese Regelung stieß in der medizinischen Praxis auf erhebliche Kritik. Viele Intensivmedizinerinnen und -mediziner sahen darin einen Eingriff in ihr Berufsethos und ihre ärztliche Entscheidungsfreiheit. Der Marburger Bund, die größte deutsche Ärztegewerkschaft, unterstützte deshalb eine Verfassungsbeschwerde, die schließlich Erfolg hatte. Besonders der Therapieabbruch nach deren Beginn wurde vielfach kritisiert.

O|N-Archivbild

Was bedeutet Triage überhaupt?

Der Begriff „Triage“ stammt ursprünglich aus der Militärmedizin und beschreibt die Sichtung von Verletzten nach Dringlichkeit und Überlebenschance, um verfügbare Ressourcen bestmöglich einzusetzen. In der Zivilmedizin wird meist der Begriff „Sichtung“ verwendet. Während der Corona-Pandemie gewann die Diskussion um Triage-Regeln eine neue, gesellschaftliche Dimension: Was tun, wenn die medizinischen Ressourcen nicht für alle reichen?

Im Kern des Karlsruher Urteils stand die Frage, ob das Infektionsschutzgesetz Ärztinnen und Ärzte in ihrer Berufsfreiheit einschränkt. Die Beschwerdeführer, Notfall- und Intensivmediziner argumentierten, dass eine gesetzlich festgeschriebene Triage sie dazu zwingen würde, medizinische Entscheidungen nach rechtlichen statt nach ethisch-medizinischen Kriterien zu treffen. Das Gericht folgte dieser Argumentation zwar nicht explizit, aber die Richter betonten, dass die Zuständigkeit für die Organisation des Gesundheitswesens in solchen Fragen bei den Ländern liege und nicht beim Bund.

Mit dem Urteil ist die rechtliche Grundlage der bisherigen Triage-Regelung aufgehoben. Nun müssen die Bundesländer eigene Regelungen erarbeiten, um festzulegen, wie Krankenhäuser in Ausnahmesituationen vorgehen sollen, wenn Ressourcen knapp werden.

Tatsächlich stehen Ärztinnen und Ärzte bereits heute regelmäßig vor schwierigen Entscheidungen: Der anhaltende Personalmangel in der Pflege führt vielerorts zu geschlossenen Betten und begrenzten Behandlungskapazitäten. Die Karlsruher Entscheidung dürfte die Diskussion über Priorisierung und Ressourcensteuerung im Gesundheitswesen weiter anheizen. (Adrian Böhm) +++