Die Zahl der Beschwerden beim Berliner Bürger- und Polizeibeauftragten sind 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 83 Prozent gestiegen. Dies geht aus dem aktuellen Jahresbericht der Ombudsstelle unter der Leitung von Alexander Oerke hervor. Die Einrichtung hatte im August 2022 ihre Arbeit aufgenommen. Acht dokumentierte Fälle des vergangenen Jahres.
Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen. 1 Rechtswidrige Urinprobe
Bei einer Autokontrolle im Zuge eines Seminars für Nachwuchskräfte der Berliner Polizei wurde ein Mann zur freiwilligen Abgabe einer Urinprobe aufgefordert. Weil sein Wagen keine Winterreifen hatte, durfte er nicht weiterfahren. Seine Kontrolle habe zwei Stunden gedauert, er sei schikaniert worden, beklagte der Mann.
Beim Blick in die Unterlagen zeigte sich zwar, dass die Kontrolle nur 45 Minuten gedauert hatte. Allerdings hatte die Polizei bei jener Kontrolle insgesamt 13 Menschen nach einer freiwilligen Urinprobe oder einem freiwilligen Atemalkoholtest gefragt – ohne Verdacht auf Drogen- oder Alkoholkonsum. Das war rechtswidrig. Damit konfrontiert, habe die Polizei erklärt, von dieser Praxis künftig Abstand zu nehmen, heißt es in dem Bericht.
2 Zeitung am Sowjetischen Ehrendenkmal konfisziert
Am 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, war das Zeigen sowjetischer Flaggen untersagt worden. Am Sowjetischen Ehrendenkmal im Treptower Park hatte ein Besucher eine Zeitung bekommen, die das historische Bild eines Soldaten mit der Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstag zeigte. Er nahm diese mit und steckte sie in die Innentasche seiner Jacke.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Externen Inhalt anzeigen
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Als er vor dem Eingang des Denkmals von der Polizei durchsucht wurde, nahmen die Beamten ihm die Zeitung weg. Der Mann bekam diese nicht zurück und beschwerte sich. Die Polizei sprach von verdachtsabhängigen Kontrollen. Auf Videomaterial konnte der Polizeibeauftragte aber „klar erkennen“, dass alle Besucher kontrolliert worden waren.
„Die weitere Prüfung des Polizeibeauftragten über die Rechtmäßigkeit der Kontrolle und Beschlagnahme der Zeitung wird durch Polizei und Senatsinnenverwaltung behindert“, steht im Bericht. Die Einsatzunterlagen wurden so stark geschwärzt, dass keine Aufklärung durch die Ombudsstelle möglich war. Man müsse klagen, heißt es. Fraglich sei zudem, ob ein in der Zeitung abgebildetes historisches Foto überhaupt verboten war.
3 Streit mit Polizisten-Nachbarn in Kleingartenkolonie
In einer Kleingartenkolonie eskalierte ein Nachbarschaftsstreit. Eine Frau wurde nach Drohungen ihres Parzellennachbarn – einem Polizisten – systematisch mit Parkanzeigen überzogen. Alle Anzeigen trafen nur sie. Als Zeugen des Falschparkens waren der Nachbar, der mit diesem befreundete Vorstand – ebenso Polizist – und ein Fahrradstreifenbeamter angegeben. Später stellte sich heraus, dass Letzterer bei den angeblichen Verstößen gar nicht vor Ort gewesen war.
Als sich die Frau beim Polizeibeauftragten beschwerte, kündigte ihr der Vorstand die Parzelle. Er untersagte ihr auch den Zutritt zur öffentlichen Fläche der Gartenkolonie. Deshalb gab es Ermittlungen wegen Nötigung. Daraufhin soll der Vorstand der Frau einen Deal angeboten haben: Sie sollte ihre Beschwerden zurückzuziehen, andernfalls drohten Klagen. Die Frau lehnte den Deal ab.
Heraus kam, dass der dauerkrank gemeldete Nachbar die Parkanzeigen von einer Kollegin hatte ausstellen lassen. Hierzu schrieb er ihr von der dienstlichen E-Mail-Adresse: „Die Dame macht hier Stress, der dürfen ruhig mal ihre Grenzen aufgezeigt werden“. Jetzt ermittelt die Polizei strafrechtlich und disziplinarisch gegen alle drei involvierten Beamten.
4 Möbel beschädigt nach Festnahme im fremden Wohnzimmer
Nach einem SEK-Einsatz in ihrem Wohnzimmer blieb eine Frau zunächst auf ihren Schäden sitzen. Das Spezialeinsatzkommando hatte versucht, einen Nachbarn der Frau festzunehmen. Er stand im Verdacht, ein Tötungsdelikt begangen zu haben. Der Mann floh über den Balkon seiner Nachbarin und wurde in der Wohnung der Frau gestellt. Ihre Möbel wurden bei der Festnahme beschädigt und mit Blut verschmutzt.
Doch weder die Polizei noch die Senatsverwaltung für Finanzen sahen sich laut dem Polizeibeauftragten in der Verantwortung, für die entstandenen Schäden aufzukommen. Sie verwiesen die Frau auf zivilrechtliche Ansprüche. Erst auf Initiative des Landeskriminalamtes erhielt die Frau Unterstützung – jedoch nicht von staatlicher Seite, sondern durch den Verein Opferhilfe Berlin.
5 Hartes Vorgehen bei Wohnungsdurchsuchung
Ein Berliner Künstler beschwerte sich über das „überzogene Vorgehen“ der Polizei bei einer Hausdurchsuchung. Weil er Cannabis auf seinem Fensterbrett züchtete, als dies in Berlin noch verboten war, stürmten vermummte Beamte seine Wohnung, warfen ihn zu Boden und legten ihm Handschellen an. Im Verlauf des stundenlangen Einsatzes wurde ihm zudem Kindesmissbrauch vorgeworfen. Er musste private Dateien auf seinem Laptop vorzeigen. Seine Kommunikationsgeräte und zahlreiche Gegenstände wurden beschlagnahmt.
Der Jahresbericht des Bürger-und Polizeibeauftragten für das Jahr 2024.
Die Ombudsstelle des Polizeibeauftragten nahm mit dem Landeskriminalamt Kontakt auf. Wie sich herausstellte, war der Anfangsverdacht auf ein Kinderschutzdelikt nicht mehr gegeben – das Verfahren war eingestellt worden. Der Künstler holte die sichergestellten Gegenstände ab, seine erkennungsdienstlichen Daten wurden gelöscht.
Die Polizei leitete mehrere Strafermittlungsverfahren ein, unter anderem wegen Körperverletzung im Amt, verzichtete jedoch auf Disziplinarmaßnahmen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt.
6 Bei SEK-Einsatz „erheblich verletzt“
Mit zwei brutalen SEK-Einsätzen am selben Tag und der schweren Verletzung eines Mannes endete in Berlin ein längerer Nachbarschaftsstreit. Nachdem ein Mann fälschlicherweise behauptet hatte, der Nachbar habe in seiner Wohnung geschossen, stürmte das Spezialeinsatzkommando zweimal an einem Tag dessen Wohnung, nahm den Mann fest und verletzte ihn dabei „erheblich“. Eine tatsächliche Schussabgabe konnte die Polizei nicht nachweisen – stattdessen stellte sich heraus, dass der Mann vermutlich mit einer Holzlatte auf den Boden geschlagen hatte, um gegen Lärm des Nachbarn im unteren Stockwerk zu protestieren.
So können Sie sich über die Polizei beschweren
Beim Polizeibeauftragten können Sie sich über Polizeikontrollen und sonstige Einsätze, Untätigkeit bei der Anzeigenaufnahme, polizeiliche Ermittlungen, Verkehrsangelegenheiten, Verwarnungen und Bußgelder oder Versammlungen beschweren.
Eine Beschwerde muss binnen sechs Monaten nach Beendigung der polizeilichen Maßnahme eingereicht sein.
Der Polizeibeauftragte kann nicht tätig werden, wenn die Angelegenheit Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, eines Untersuchungsausschusses nach Artikel 48 der Verfassung von Berlin oder eines Petitionsverfahrens ist oder war.
Kontakt: Der Bürger- und Polizeibeauftragte des Landes Berlin, Alt-Moabit 61, 10555 Berlin, Telefon (030) 90172 8500
Laut dem Polizeibeauftragten waren die Festnahmen und Durchsuchungen rechtswidrig. Dafür hatte ein belastbarer Anfangsverdacht gefehlt. Auch dass ein Staatsanwalt die Durchsuchung angeordnet hatte, konnte im Nachgang nicht verifiziert werden. Erst in einer dritten Stellungnahme räumte die Polizei „Ungereimtheiten und Widersprüche“ ein. Die Behörde kündigte eine interne Nachbereitung an, deren Ergebnisse allerdings ausstehen. Der Betroffene wartet noch immer auf eine Entscheidung über von ihm beantragten Schadensersatz für erlittene Verletzungen und Sachschäden.
7 Ermittlungen gegen Neunjährigen
Eine Mutter erfuhr durch Zufall vom Jugendamt, dass der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamtes (LKA) gegen ihren neunjährigen Sohn ermittelte – wegen der Verwendung verfassungswidriger Symbole. Der Junge soll in einem Klassenchat auf WhatsApp ein Hitler-Bild gepostet haben. Dabei hatte das Kind weder ein Mobiltelefon noch war es Mitglied des betreffenden Gruppenchats.
In einem anderen Jahrgang hatte es allerdings einen Schüler mit dem gleichen Vornamen gegeben. Trotz der Hinweise der Mutter sowie der Klassenlehrerin auf eine mögliche Verwechslung hielt das LKA an den Vorwürfen fest und verweigerte die Korrektur in den polizeilichen Datenbanken. Erst auf Intervention des Polizeibeauftragten überprüfte der Staatsschutz den Fall. Dabei stellte sich heraus, dass dem LKA mehrere Fehler unterlaufen waren. Eine Entschuldigung an die Mutter blieb aus. Immerhin sollen die falschen Daten über das Kind vorzeitig aus dem System gelöscht werden.
8 Als illegal behandelte EU-Bürgerin
Eine griechische EU-Bürgerin mit äthiopischen Wurzeln geriet zu Unrecht ins Visier der Behörden. Als sie ein Gesundheitszeugnis beantragte, das sie für ihre Arbeit in einem Hotel brauchte, zweifelte eine Sachbearbeiterin im Gesundheitsamt die Echtheit ihrer Dokumente an und schaltete die Polizei ein. Pass und Führerschein wurden sichergestellt, die Frau wurde wegen Urkundenfälschung und unerlaubten Aufenthalts angezeigt und erkennungsdienstlich behandelt.
Mehr über die Berliner Polizei: Ausgerechnet in Frohnau! Berliner Ordnungsamt schickt erstmals Mitarbeiter für Gespräche auf Streife Berliner Neutralitätsgesetz Grüne fordern Abschaffung des Kopftuchverbots für alle Beamtinnen „Als Schüsse fielen, warf ich mich auf den Boden“ Wie ein Berlin-Besucher den tödlichen Polizeieinsatz in Charlottenburg erlebte
Als sie sich nach zwei Monaten, in denen sie keine Rückmeldung erhielt, schließlich an die griechische Botschaft wandte, bestätigte diese die Echtheit der Papiere. Die Polizei schickte daraufhin die Dokumente an das Landesamt für Einwanderung (LEA). Als die Frau sie dort abholen wollte, hieß es überraschend, sie sollte ausreisen. Ihr drohte zudem ein Einreiseverbot – alles rechtswidrig, da EU-Bürgerinnen und -Bürger sogenannte Freizügigkeit genießen. Die Botschaft wollte dann das Auswärtige Amt einschalten.
Bevor es dazu kam, klärte der Polizeibeauftragte den Fehler auf. Die Strafverfahren wurden eingestellt, die Daten aus dem System gelöscht. Der Direktor des LEA entschuldigte sich bei der Frau und ihrem Anwalt.