Etwa drei Millionen Bäume soll es in München geben, das schätzt die Stadtverwaltung. Sicher ist: Ihre Zahl nimmt seit Jahren ab, langsam, aber kontinuierlich. Dabei sind die Gewächse von unschätzbarem ökologischem Wert. Sie beschatten und kühlen, befeuchten die Luft, binden Staub, sind Lebensraum heimischer Tierarten, und obendrein verschönern sie das Stadtbild. Diesen grünen Schatz will das Rathaus bewahren, mit einer neuen, strengeren Baumschutzverordnung. Sie umfasst deutlich mehr Gehölze als bisher, solche mit geringerem Stammumfang als bisher und alle Obstbäume. Über Jahre wurden die neuen Regeln vom Planungsreferat erarbeitet. Der Planungsausschuss hat ihnen bereits zugestimmt, Ende November dürfte das Plenum des Stadtrats sie endgültig beschließen.

Die derzeit noch gültige Fassung der Schutzverordnung stammt von 2013 und gilt erst von einem Stammumfang von mindestens 80 Zentimetern an, gemessen in einem Meter Höhe. Fortan sind Bäume schon mit 60 Zentimetern geschützt vor ungenehmigter Fällung. Dies gilt dann auch für alle Obstbäume, bislang waren nur wenige Wildarten wie Walnuss oder Holzbirne umfasst. Auch mehrstämmige Gewächse und Kletterpflanzen an Fassaden sind fortan geschützt, bei entsprechender Größe.

Das heißt aber keineswegs, dass keiner dieser Bäume mehr gefällt werden darf. Zum einen gilt die Regelung nur in den bebauten Gebieten, das ist gut die Hälfte Münchens. Da in den vergangenen Jahren neue Quartiere hinzukamen, vergrößerte sich das Schutzgebiet laut Planungsreferat um etwa zwei Prozent der Stadtfläche. Nicht enthalten sind unbebaute Bereiche wie beispielsweise Wälder, Parks, Friedhöfe, Kleingartenanlagen und Flächen entlang von Isar und Würm. Schon immer ausgenommen sind auch Hecken. Auch Bäume, die umzustürzen drohen, dürfen gefällt werden. Dies regelt die neue Verordnung erstmals explizit, ebenfalls Fällungen, wenn Versorgungsleitungen im Boden nicht anders geschützt werden können.

So elementar der Erhalt von Bäumen ist im dicht bebauten München, so gewichtig ist ein anderes Gut in Deutschlands teuerster Stadt: Wohnungen. Das Rathaus will, dass jedes Jahr Tausende neu entstehen. So ist der mächtigste Antagonist des Baumschutzes der Neubau, denn nach wie vor gilt: Baurecht schlägt Baumschutz. Wer bauen will, darf in der Regel Bäume fällen.

Allerdings ist dafür ein Ausgleich zu schaffen, und hier setzt die neue Verordnung an. Sie verschärft die Regeln. Nach einem Punktekatalog bewertet die Stadt, wie wertvoll ein gefällter Baum war. Danach richtet sich, welcher Ersatz zu pflanzen ist. Hier will die Stadt künftig genauer hinschauen: Ein junger Baum braucht Pflege, um die ersten Jahre zu überstehen. Also ist die Pflicht zur Ersatzpflanzung erst dann erfüllt, wenn der Baum nach fünf Jahren angewachsen ist.

Ausgleichszahlung für Ersatzbäume steigen

Falls auf einem Grundstück keine Ersatzbäume Platz haben, sind Ausgleichszahlungen an die Stadt zu leisten. Diese werden deutlich erhöht. Bisher waren pauschal 750 Euro fällig, was laut Planungsreferat allein dem Kaufpreis eines Baumes entspreche, nicht aber die Pflanzkosten decke. Diese seien hoch, da es Platz für neue Bäume fast nur noch entlang von Straßen gebe. In Parks und Grünflächen, wo vergleichsweise einfach zu pflanzen wäre, sei alles belegt. Im Straßenraum einen Baum zu setzen, koste im Durchschnitt etwa 25 000 Euro. Es muss eine Baumgrube ausgehoben und mit speziellem Substrat gefüllt werden.

Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit will die Stadt diese Kosten nur zum kleinen Teil den Bauherren auferlegen: Künftig sollen rund 5000 bis 10 000 Euro fällig sein, je nach ökologischem Wert des gefällten Baumes. Die Stadt erklärt, dass diese Zahlungen fast ausschließlich im Rahmen von Bauprojekten fällig seien, jährlich für etwa 500 bis 600 Bäume. Wenn jemand einen einzelnen Baum in seinem Garten entfernen will, verlange man meist nur ein Fünftel, da dem kein wirtschaftlicher Gewinn beim Grundeigentümer gegenüberstehe.

Der neuen Verordnung gingen drei Stadtratsbeschlüsse und jahrelange Diskussionen voraus. Seit etwa zehn Jahren, so das Planungsreferat, nähmen die Forderungen aus der Bürgerschaft nach stärkerem Baumschutz zu; ebenso die Proteste gegen Fällung. Die Verwaltung dokumentiert in ihrer Stadtratsvorlage 26 Anträge, von Rathausfraktionen, aus Bezirksausschüssen, von Bürgerversammlungen. Den einen gehen die neuen Regeln nicht weit genug, die anderen lehnen eine Baumschutzverordnung generell ab, zum Beispiel die Haus- und Grundbesitzerverbände. Stadtbaurätin Elisabeth Merk kritisiert dies: Nach fast 50 Jahren mit Baumschutzverordnungen in München überraschten solch grundsätzliche Ablehnungen: „Sie zeigen auch das politische Polarisierungspotenzial, das der Baumschutzverordnung innewohnt.“

Den Grünen reicht die Verschärfung nicht

Die Grünen begrüßen die verschärfte Regel. Als einen „entschlossenen Schritt voran“ lobt Fraktionschefin Mona Fuchs die neue Verordnung. „München hat damit eine der schärfsten Baumschutzverordnungen der bundesdeutschen Kommunen.“ Dennoch, dies reiche nicht, weil das Baurecht immer noch stärker sei als Baumschutz. Sie fordert eine Reform des Baurechts, Ziel müsse sein, „dass Bäume dem Beton nicht mehr so leicht weichen müssen“.

Die Debatte um den Baumschutz in München, einer der am dichtesten bebauten Städte Deutschlands, dürfte weitergehen. Der Stadtrat hat erst kürzlich die 3-30-300-Maxime ausgegeben, um München an die Klimakrise anzupassen: Jeder Bewohner soll beim Blick aus dem Fenster seiner Wohnung auf mindestens drei Bäume blicken, der öffentliche Raum soll zu mindestens 30 Prozent von Bäumen beschattet sein, und niemand soll es weiter als 300 Meter haben zur nächsten Grün- oder Freifläche.

Das vor dem Hintergrund, dass die Baumbilanz in München seit Jahren negativ ist, im doppelten Sinne. Der Bund Naturschutz wertet die Zahlen der Stadt aus. Während auf öffentlichen Flächen die Zahl der Bäume langsam wächst, nimmt sie auf privaten Grundstücken ab. Demnach habe sich die Zahl der Bäume von 2011 bis 2022 unterm Strich um mehr als 22 000 reduziert. Die negative ökologische Wirkung wird noch verstärkt, weil unter den seit 2010 mehr als 100 000 gefällten Bäumen viele alte mit starker, positiver Klimawirkung sind. Selbst wenn für einen Altbaum sofort ein neuer gepflanzt wird, dauert es Jahrzehnte, bis er dem Klima spürbar nutzt.