Anne Will sitzt schon vor der verabredeten Uhrzeit im Zoom-Raum. Länger als geplant nimmt sich die 59-Jährige Zeit, um mit dem kreuzer über Kritik an der westdeutschen Berichterstattung über den Osten zu sprechen. Nach über 30 Jahren Fernsehen und Berliner Hauptstadtjournalismus widmet sich Will inzwischen einem neuen Projekt: ihrem Podcast. Am 12. November kommt sie für eine Live-Aufnahme von »Politik mit Anne Will« in den Kupfersaal.​

Wer wird denn in Leipzig neben Ihnen auf der Bühne sitzen?

Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und Cornelius Pollmer, der in Leipzig die Redaktion von Zeit im Osten leitet.


Ich hätte eher mit einem oder einer Ost
deutschen aus der Politik gerechnet.

Ja, das war eine Überlegung. Aber diese Überbetonung von Ost und West finde ich nach so vielen Jahren falsch. Natürlich machen sich Prägungen nach wie vor bemerkbar. Aber die Interessen lassen sich nicht zwingend trennen zwischen Ost und West.


Das ist ja aber auch eine Frage der Reprä
sentation. Gerade das Mediensystem ist doch noch sehr westdeutsch geprägt.

Das stimmt. Ich habe mehrfach Anne Hähnig im Podcast gehabt, die in Leipzig lebt und lange die Redaktion von Zeit im Osten leitete. Auch ein Großteil meines Teams lebt in Leipzig. Deshalb war die Stadt für den Auftritt auch eine bewusste Wahl. Es hilft im Verständnis vieler Themen total, dass wir ost- und westsozialisierte Menschen im Team haben.


Ihre TV-Talkshow hatte im Osten eine deutlich geringere Quote als im Westen. Wie ist das bei Ihrem Podcast?

Den Unterschied bemerken wir jetzt beim Podcast nicht so klar. Im Verhältnis werden Podcasts durchaus gesamtdeutscher gehört als lineares Fernsehen geguckt wird. Das zeigt, dass junge Menschen einfach wendiger sind und auch lässiger.


Bereiten Sie sich eigentlich unterschiedlich auf das Publikum in unterschied­lichen Städten vor?

Wir fragen uns bei der Auswahl unserer Gäste schon: Was würde die Menschen in
Leipzig mutmaßlich interessieren? Ich habe jetzt aber schon ganz viel Post bekommen von Hörerinnen und Hörern, die gefragt haben: Immer die großen Städte, was
soll das? Kommt doch auch mal in die Provinz. Das muss der nächste Schritt sein.


Denken Sie, Sie könnten problemlos
Ihren Podcast in Wurzen oder in Meißen aufnehmen?

Das weiß ich nicht. Was würden Sie denn sagen?


Mutmaßlich würden Sie als Gesicht des
Berliner Hauptstadtjournalismus noch mal auf größere Skepsis stoßen als die Lokalpresse.

Das könnte ich mir auch vorstellen, aber es wäre spannend, das auszuprobieren. Durch
meine Arbeit habe ich sicherlich ein Label, mit mir muss man es nicht zwingend gut meinen.


Muss man denn zwingend über Rechts
extremismus und die AfD reden, wenn man hier einen Podcast aufnimmt?

Nein, finde ich nicht. Aus der Fragestellung höre ich auch eine Art Sättigung heraus, eine Spur Langeweile. Ich fände es toll, einen Zugang zu finden, der genau anders geht. So dass man die Erwartungen entgegenbürstet, ohne ein Thema vermeiden zu wollen.


Die Frage berührt natürlich auch die
Kritik an westdeutschen Medien, auf den
Osten werde nur geblickt, wenn es brennt. Zu den Landtagswahlen letztes Jahr haben Sie gleich mehrere Episoden aufgenommen.

Im Vorfeld einer Landtagswahl muss man ja nicht zwingend davon ausgehen, dass
es brennt. Sondern, dass Menschen aufgefordert sind, ihre politische Haltung auszudrücken. Die bundespolitische Bedeutung dieser Entscheidung finde ich total wichtig. Ich kann nicht erkennen, dass wir an dem vorbeischauen würden, was für den Osten sonst noch wichtig ist. Dafür bürgen auch die vielen ostdeutsch sozialisierten Menschen in meinem Team, die einen Zugang haben, der mir vielleicht verstellt ist.


Also bestimmt die Krise nicht die Bericht
erstattung über den Osten?

Ich finde es schwierig, das auf eine Formel zu bringen. Wir haben versucht, mindestens genauso oft auf die Dinge zu schauen, die in Leipzig oder Dresden besser funktionieren als in der verschnarchten westdeutschen, saturierten Welt.


Haben Sie dafür ein Beispiel?

Es gibt eine begründete Skepsis bei Menschen, die in Ostdeutschland sozialisiert worden sind, gegenüber dem, was aus westdeutsch geprägten Großparteien wie der CDU, der SPD oder den Grünen verlautbart wird. Wir haben einen Kanzler, der im Sauerland sozialisiert ist und total geprägt ist von der westdeutschen Nachkriegswelt und diesem konservativ-katholischen CDU-Milieu. Der checkt ganz vieles gar nicht, was junge Menschen bewegt, die in Leipzig leben, die mindestens mal über ihre Eltern oder Großeltern mitbekommen haben, was ein Systemwechsel bedeutet. Dieses Unverständnis prägt dann seine Politik, und da finde ich es sehr gut, wenn das nicht einfach so hingenommen wird. Da sind Menschen in Ostdeutschland ein feiner Seismograf.


Das klingt aber nun auch etwas nach Ostdeutschtümelei. Diese Skepsis führt im Osten ja auch dazu, dass viele AfD wählen.

Jetzt hängen wir in den Untiefen der Versuchsanordnung. Sie haben mich gefragt, ob ich auf ostdeutsche Besonderheiten schaue, wenn ich nach Leipzig komme. Ich wäre 35 Jahre nach der Wiedervereinigung gern schon weiter. Aber ich möchte trotzdem nicht den Fehler machen, dass ich nicht checke, dass einige Dinge doch unterschiedlich gesehen werden und eben auch vorbildlich sein können. Diesen Kreis aufzulösen, finde ich total schwierig. Vielleicht hat aber ja am 12. November jemand eine gute Idee, wie es geht. Wüsste ich gerne.

> »Politik mit Anne Will – Live Podcast«: 12.11., 20 Uhr, Kupfersaal