Dalia O. schweigt. Die 20-Jährige will als Angehörige von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Hinter ihr sitzt ihre Mutter im Rollstuhl und verfolgt ihre Nicht-Aussage. Links neben ihr, auf der Anklagebank vor dem Landgericht München I, hat ihr Onkel Platz genommen und starrt den Boden an. Ebendieser Onkel, der Bruder ihrer Mutter, soll die junge, zierliche Frau im Mai dieses Jahres bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und anschließend massiv begrapscht haben. So sieht es Staatsanwältin Franziska Kacher.

Der Prozessauftakt der 8. Strafkammer lässt sich zäh an. Das Verteidiger-Duo Sandra Däschlein und Alexis Leiss sagt, dass ihr Mandant eben nichts sagt. Und die „Belastungszeugin“, so behauptet Leiss, habe ohnehin geäußert, dass sie nicht wolle, dass „er“ in den Knast komme. Allerdings sitzt „er“ bereits seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Gemeint ist der 35 Jahre alte Angeklagte Niam T. Zum Schutz der mutmaßlich Geschädigten wurden die Namen der Beteiligten geändert.

Der Onkel soll im Mai dieses Jahres der Familie seiner Schwester einen Besuch abgestattet haben. Als er gegen 18 Uhr klingelte, war seine Schwester gerade auf dem Sprung, um noch ein paar Einkäufe zu erledigen. Der Onkel blieb, Dalia O. ging in ihr Zimmer und schloss die Türe. Nach einiger Zeit, so sieht es Staatsanwältin Kacher, soll Niam T. ihr Zimmer betreten haben. Sie habe ihn aufgefordert zu gehen, doch er soll sie „unvermittelt mit beiden Händen am Hals gepackt“ und rücklings auf ihr Bett geworfen haben.

Laut Anklageschrift würgte er die damals 19-Jährige so lange, bis sie bewusstlos wurde. Die junge Frau soll Schwellungen im Gesicht, Kopfschmerzen, punktförmige Einblutungen, insbesondere um und in den Augen sowie im Mund und am Hals erlitten haben. Als sie wieder zu sich kam, soll ihr Onkel ihre Handgelenke fixiert haben, da habe sie entdeckt, so die Anklage, dass ihr T-Shirt bis unter den Hals nach oben geschoben war.

Niam T. soll seine Nichte begrapscht haben, während sie weinte und schrie. Schließlich habe sie zur Türe laufen und um Hilfe rufen können. Aber, so die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft weiter, Niam T. soll die junge Frau zurück in die Wohnung gezogen, sie erneut auf das Bett geworfen und ihr eine Decke auf das Gesicht gedrückt haben. Anschließend soll er seine Hose geöffnet und sich auf seine Nichte gelegt haben.

Der mutmaßliche Täter schweigt, das mutmaßliche Opfer schweigt. „Wir werden uns mit dem Paragraf 252 der Strafprozessordnung auseinandersetzen müssen“, sagt der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf. In dem Gesetzestext ist geregelt, dass Protokolle von früheren Aussagen eines Zeugen nicht verlesen und verwendet werden dürfen, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung keine Angaben mehr macht.

In diesem Fall bedeutet das offenbar, dass Dalia O. nach dem Vorfall die Polizei rief und es wohl zu sogenannten Spontanäußerungen gegenüber den Beamten gekommen sein muss. Ebenso wurde die junge Frau in der Rechtsmedizin untersucht und ihre Verletzungen wurden dokumentiert. Zumindest kündigt Richter Wolf an, dass die Äußerungen der Geschädigten gegenüber dem Sachverständigen Matthias Eppler nicht verwertbar seien, „schon aber die Feststellungen, die der Sachverständige an der Zeugin getroffen hat, insbesondere die Lichtbilder“. Die Verteidiger kommen mit Verwertungswidersprüchen, aber Wolf sagt, „das sehen wir, wenn es so weit ist“. Nächste Woche sollen Polizisten sowie Rechtsmediziner Eppler gehört werden.