
Altern verläuft nicht bei allen gleich schnell. Eine neue Studie zeigt: Mehrsprachigkeit schützt offenbar vor beschleunigtem Altern. Menschen, die regelmäßig mehrere Sprachen nutzen, bleiben kognitiv länger fit.
Von Richard Kraft und Anja Braun, SWR
Altern ist ein komplexer biologischer Prozess – und er verläuft nicht bei allen gleich schnell. Während manche Menschen auch im hohen Alter geistig und körperlich fit bleiben, zeigen sich bei anderen schon früh erste Anzeichen des Alterns. Forschende sprechen dann von „beschleunigtem Altern“. Dann lassen körperliche und kognitive Funktionen schneller nach als statistisch eigentlich zu erwarten wäre. Welche Faktoren diesen Prozess bremsen können, gehört zu den zentralen Fragen der Alternsforschung – von Ernährung über Bewegung bis hin zu geistiger Aktivität.
Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler vermuten schon länger, dass Mehrsprachigkeit zu diesen schützenden Faktoren gehören könnte. Wer regelmäßig zwischen verschiedenen Sprachen wechselt, trainiert dabei jene Aufmerksamkeits- und Kontrollmechanismen, die im Alter oft nachlassen. Doch ob sich dieser Effekt tatsächlich messbar auf das biologische Altern auswirkt, war bislang unklar.
Großangelegte Studie untersucht Mehrsprachigkeit und Altern
Eine neue, groß angelegte Studie liefert nun erstmals deutliche Hinweise darauf, dass Menschen, die mehr als eine Sprache sprechen, tatsächlich langsamer altern. Um die Beziehung zwischen Mehrsprachigkeit und verlangsamtem Altern zu bestätigen, bezog das Forschungsteam andere Faktoren für langsameres Altern wie Bildung, körperliche Aktivität oder soziale Einflüsse mit ein.
Mit der neuen Studie konnte das untermauert werden, was in der Alternsforschung lange vermutet wurde. Das sieht auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Peter Berlit, so. Gegenüber der dpa erklärt er: „Diese Studie bestätigt kleinere Beobachtungsstudien, die gezeigt haben, dass Mehrsprachigkeit offensichtlich einen Schutzfaktor vor Demenz darstellt.“
Gesundheitsdaten aus 27 europäischen Ländern
Die neue Studie wurde am Trinity College Dublin durchgeführt und am nun im Fachmagazin Nature Aging veröffentlicht. Das Forschungsteam von Agustín Ibañez hat dazu Gesundheitsdaten von mehr als 86.000 Menschen aus 27 europäischen Ländern ausgewertet.
Die Forschenden wollten wissen, ob sich der Alterungsprozess bei Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, messbar von dem ihrer einsprachigen Mitmenschen unterscheidet. Dazu berechneten sie für jede Person ein sogenanntes „biobehaviorales Alter“ – ein Maß, das aufzeigt, wie stark sich körperliche, geistige und soziale Funktionen bereits verändert haben.
Das Ergebnis war, dass Menschen, die regelmäßig mehr als eine Sprache verwenden, deutlich seltener Anzeichen von beschleunigtem Altern zeigen. Dieser Zusammenhang blieb bestehen, selbst wenn andere Einflussfaktoren wie Bildung, Einkommen oder Luftqualität berücksichtigt wurden.
Je mehr Sprachen, desto größer der Effekt
Besonders spannend ist, dass der Schutzeffekt in der Studie dosisabhängig war. Wer also zwei oder mehr Sprachen spricht, altert demnach messbar langsamer als Menschen mit nur einer Sprache – und das galt nicht nur im Moment der Untersuchung, sondern auch über mehrere Jahre hinweg.
Wie genau die Mehrsprachigkeit dazu führt, dass der Körper resilienter gegenüber dem Altern wird, ist weiterhin unklar. Die Forschenden vermuten allerdings, dass der ständige Wechsel zwischen Sprachen eine Art „Gehirntraining“ darstellt, das wichtige kognitive Netzwerke aktiv hält. Laut dem Forschungsteam wird dadurch unsere kognitive Reserve verstärkt, also die Fähigkeit des Gehirns, sich gegen Schäden – etwa im Alter – zu schützen.
Wann Mehrsprachigkeit ihre Schutzwirkung entfaltet
Fraglich bleibt allerdings, wann eine Mehrsprachigkeit Einfluss auf das Altern hat. Michael Wagner, Professor an der Uni Bonn, hatte bereits vor zwei Jahren in einer Studie mit seiner Kollegin Elizabeth Kuhn Anzeichen für den schützenden Effekt der Mehrsprachigkeit gefunden. Er betonte in einem Interview: „Wer sich nach dem Renteneintritt auf einen Spanisch-Kurs stürzt und Vokabeln paukt, um gegen eine künftige Demenz gewappnet zu sein – dem wird das vermutlich nicht helfen.“ Zu diesem Zeitpunkt sei es dafür schon zu spät. Es sei aber in jedem Falle gut, im Alter weiterhin früher erlernte Sprachen zu sprechen und sich generell geistig und körperlich aktiv zu halten.
Dieser Frage will das Forschungsteam um Agustín Ibañez in künftigen Studien genauer nachgehen. Dabei soll nicht nur untersucht werden, wie sich der Zeitpunkt des Spracherwerbs auf das Altern auswirkt, sondern auch, welchen Einfluss etwa das individuelle Sprachniveau jeder Sprache hat.
In Zukunft könnten aus den Erkenntnissen der Studie wichtige Maßnahmen zur Vorbeugung von beschleunigtem Altern entwickelt werden. So könnte beispielsweise im Schulsystem ein stärkerer Fokus auf den Erwerb mehrerer Sprachen gelegt werden. Für den Moment können sich aber auch Länder freuen, in denen es verbreitet ist, mehrere Sprachen zu sprechen, wie die Niederlande, Indien oder viele afrikanische Länder.