Der Ruf von „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frauen, Leben, Freiheit) gehört zu den Parolen, sowohl im Iran als auch in den Protesten außerhalb des Landes. Foto: Claudia Bender
Die Anzahl der Hinrichtungen im Iran liegt im Jahr 2025 bei mehr als 1000 – die höchste dokumentierte Zahl seit mindestens 15 Jahren, wie Recherchen von Amnesty International ergeben. Besonders die Proteste unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“, die im Jahr 2022 ins Rollen kamen, befeuerten die Vollstreckungen der Todesstrafe. Doch auch wenn die Proteste in ihrer offenen Form abgeebbt sind und die staatliche Repression zunimmt, leisten immer mehr Frauen Widerstand gegen den Kopftuchzwang. Wie die Dortmunder Exil-Iranerin Nahid Farshi die Situation einschätzt.
Tod von Mahsa Amini löste weltweite Protestwelle aus
Seit über 40 Jahren ist das islamische Regime im Iran an der Macht. Mit ihm verbunden sind Repressionen, unter anderem durch Gewalt gegen Oppositionelle, den Verschleierungszwang von Frauen, Zensur bis hin zu Hinrichtungen.
Der Tod von Jina Mahsa Amini hat weltweit Proteste ausgelöst. Nachdem sie laut der iranischen Sittenpolizei ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen hatte, wurde sie geschlagen und verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Foto: Paulina Bermúdez
Nicht selten löste dies Protestwellen aus. Die jüngste ist die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung, die durch den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im September 2022 ausgelöst wurde.
Sie war von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden und starb wenig später an den Folgen der Misshandlungen, denen sie ausgesetzt war, weil sie den vorgeschriebenen Schleier nicht korrekt getragen haben soll. Ihr Tod, der von den Behörden offiziell als Folge einer Krankheit vertuscht wurde, löste weltweit Proteste aus.
Auch in Dortmund gingen im selben Monat rund 450 Dortmunder:innen auf die Straße, um gegen das Regime und die einhergehende systematische Unterdrückung von Frauen im Iran zu demonstrieren. Das Regime reagierte daraufhin mit erhöhter Brutalität gegen die Bevölkerung. Die Hinrichtungszahlen stiegen rapide an, mehr als 20.000 Personen wurden verhaftet, darunter auch Minderjährige, die in Gewahrsam gefoltert und misshandelt wurden.
Neue Logik hinter den Hinrichtungen im Iran erkennbar
Heute sind die Proteste in ihrer offensiven Form abgeflacht, vor allem wegen der Angst vor staatlicher Gewalt und dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte. Und doch zeigen aktuelle Recherchen von Amnesty International, dass im Jahr 2025 bisher mehr als 1000 Menschen im Iran hingerichtet wurden. Dies ist die höchste dokumentierte Zahl seit mindestens 15 Jahren. Auffallend ist dabei für Nahid Farshi die Dynamik dahinter.
Nahid Farshi ist eine iranischstämmige Aktivistin und Integrationshelferin in Dortmund, die 1984 als politischer Flüchtling nach Deutschland kam. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger
Die Exil-Iranerin kam in den 1980er Jahren als politische Geflüchtete nach Deutschland und erlebte die Machtübernahme des Regimes Ende der 70er Jahre noch hautnah mit.
In Dortmund ist sie vor allem bekannt als Mitgründerin und langjährige Vorsitzende des Vereins „Projekt Ankommen e.V.“, der Geflüchteten bei der Integration hilft. Aktuell ist sie Gesamtkoordinatorin des Dortmunder Integrationsnetzwerks „Lokal Willkommen“. Zum einen sieht sie Parallelen zu den 1980er Jahren, als viele politische Oppositionelle verhaftet und hingerichtet wurden.
Andererseits hat sich nach ihrer Wahrnehmung die Logik dahinter deutlich verändert. „Vor kurzem haben sie einen Dichter umgebracht, weil er ein systemkritisches Gedicht geschrieben hatte. Das wurde sogar offen bekannt gegeben“, erzählt Farshi. „Früher wurden laut den offiziellen Angaben der Regierung vor allem politische Mitglieder der Opposition hingerichtet. Dass Personen wie ein Dichter hingerichtet werden, geschah früher im Verborgenen und heimlich. Heute wird so etwas ganz offenkundig als offizieller Hinrichtungsgrund genannt“, fügt sie hinzu.
Befeuert das Ablegen des Kopftuchs die Hinrichtungen?
Und doch bietet ein Blick auf die Großstädte Irans ein kontrastreiches Bild: Immer mehr Frauen bewegen sich ohne Kopftuch im öffentlichen Raum, was zuvor undenkbar gewesen wäre. Ein Zustand, der in der Berichterstattung zum Teil als „point of no return“ bezeichnet wird. Gemeint ist damit ein Wendepunkt, ab dem es kein Zurück mehr zur vorherigen Unterdrückung gibt.
Während der Demonstration in Dortmund verbrannten Protestierende symbolisch ein Kopftuch Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de
Aus Farshis Sicht nehmen die Hinrichtungen so rapide zu, weil das Regime den Druck verspürt, der Bevölkerung wieder Angst einjagen zu müssen, um die Kontrolle, besonders nach den Protesten, aufrechtzuerhalten.
Befeuert das Ablegen des Kopftuchs damit die Hinrichtungen? „Ich glaube, dass die Frauen ohne Kopftuch sich das hart erarbeitet haben und lange dafür gekämpft haben. Das ist der Regierung bestimmt ein Dorn im Auge“, so Farshi. „Ich denke aber, sie befürchten, dass ein härteres Vorgehen dagegen einen Krieg auslösen könnte. Die junge Generation würde bestimmt rebellieren, davor haben sie Angst.“
Doch sie glaubt nicht, dass das Ablegen des Hijabs alles verschlimmert. Dass es zu mehr Hinrichtungen kommt, hat ihrer Meinung nach vor allem mit der politischen Lage und den Sanktionen zu tun. Die Zahl der Hinrichtungen würde ohnehin aus politischen Gründen steigen. „Das macht der Regierung mehr Angst als das Kopftuch selbst.“ Zudem sei sie der Überzeugung, dass Hinrichtungen in der „DNA des islamischen Regimes verankert“ seien und dieses somit niemals damit aufhören werde.
Vorwand der „Spionage“ – Israel-Iran-Krieg erhöhte die Hinrichtungszahlen
Besonders während des zweitägigen Krieges zwischen Israel und dem Iran, der im Juni 2025 begann, wurden vermehrt Hinrichtungen vollstreckt – meist unter dem Vorwand der „Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen“ oder „Spionage“.
Weltweit machten Proteste und Kundgebungen auf die Lage im Iran aufmerksam. Karsten Wickern | Nordstadtblogger
Laut Amnesty International sind seit dem 13. Juni mindestens zehn Männer aufgrund politisch motivierter Vorwürfe hingerichtet worden, von denen mindestens acht der Spionage für Israel beschuldigt wurden.
„Ihr Ruf wurde erheblich beeinträchtigt, deshalb haben sie willkürlich einfache Menschen hingerichtet, um wieder Kontrolle zu demonstrieren. Letztendlich kann das Ausmaß an Informationen, das Israel hatte, unmöglich von Privatpersonen stammen. So genau kann man es natürlich nicht wissen, zumindest scheint es mir so“, erklärt Farshi.
Zum Hintergrund: Israel verfügte über sehr genaue Informationen zu Irans militärischen und atomaren Einrichtungen. Dadurch konnte es gezielte Luftangriffe mit großem Überraschungsmoment durchführen, die unter anderem die Zerstörung von Atomanlagen und die Tötung wichtiger iranischer Militär- und Wissenschaftsführer ermöglichten. Diese Ereignisse werfen die Frage auf, wie stabil das iranische Regime tatsächlich ist und wie kontrolliert es agiert.
Forderung nach Maßnahmen gegen das iranische Regime und seine Sicherheitskräfte
Die Forderungen, um dem entgegenzutreten, sind von zahlreichen Organisationen und Aktivist:innen groß. Unter anderem fordert Amnesty International, dass die internationale Gemeinschaft Druck auf die iranischen Behörden ausüben soll, um alle geplanten Hinrichtungen sofort zu stoppen. Außerdem sollen Staaten Maßnahmen ergreifen, um iranische Staatsbedienstete für mögliche Verstöße gegen das Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.
„Nein zur islamischen Regierung“ Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de
Die Umsetzung solcher Forderungen ist jedoch schwierig. Der eingeschränkte Zugang zu Gefängnissen und das systematische Vorgehen gegen Kritiker:innen erschweren die Wirkung internationalen Drucks erheblich.
Die internationale Gemeinschaft unternimmt bereits Schritte, etwa über Fact-Finding-Missionen oder gezielte Sanktionen, doch politische und praktische Hindernisse begrenzen die Wirksamkeit dieser Maßnahmen.
Als besonders wirksam wird hierbei die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden (Sepah Pasdaran) als Terrororganisation erachtet. „Allein diese Sepah Pasdaran als terroristische Organisation einzustufen, das wäre schon zielführend, aber das ist sehr schwer. Beispielsweise kann in Deutschland eine Organisation nur eingestuft werden, wenn sie eine Aktion in Deutschland durchgeführt hat, die als terroristisch eingestuft werden kann“, erklärt Farshi. Die Pasdaran sind in den USA seit 2015 als Terrororganisation gelistet. Die EU fordert wiederholt deren Einstufung, doch politische und juristische Hürden verhindern dies bislang.
Mediale Berichterstattung und eine starke Opposition im Exil seien entscheidend
Aus Farshis Sicht bedarf es weiterhin der medialen Berichterstattung, da sie der Regierung signalisiert, dass sie unter Beobachtung steht. Über die aktuellen Hinrichtungen werde sonst kaum berichtet.
Besonders Großdemonstrationen, die mediale Aufmerksamkeit erzeugen, seien laut Farshi auch aus dem Exil wirkungsvoll. Foto: Paulina Bermúdez
Daher sei es die Aufgabe des Exils, genau diese Informationen zu veröffentlichen. Kleinere Proteste hätten ihrer Meinung nach nur begrenzte Wirkung.
Wirksamer seien Großdemonstrationen wie die in Berlin im Oktober 2022. Dabei versammelten sich rund 80.000 Menschen aus weiten Teilen Europas, um Solidarität mit den Protestierenden im Iran zu zeigen, was für erhebliches mediales Aufsehen sorgte.
Zudem meint sie, dass eine oppositionelle Alternative zur Regierung fehle. Zwar gebe es viele Splittergruppen, doch diese fänden selten einen gemeinsamen Nenner. Deshalb sei es notwendig, eine starke Opposition zu haben, die zumindest im Kern die gleichen Werte teile.
Quellen und weiterführende Informationen:
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