Exklusiv-Interview | 10. November 2025
Die Berner Sängerin Ilira Gashi mit kosovo-albanischen Wurzeln feierte mit Hits wie «Fading» oder «Whisper My Name» einen kometenhaften Aufstieg. Doch hinter Gold- und Platin-Auszeichnungen verbarg sich ein hoher persönlicher Preis. Im eindrucksvollen Interview mit der Plattform J spricht die Künstlerin über den Druck in der Musikindustrie, die tiefgreifenden Konsequenzen einer toxischen Beziehung und den schmerzhaften Verlust ihres Vaters, der kürzlich unerwartet verstorben ist.
Ilira Gashi, die Ende Oktober 31 wurde, beschreibt ihre Karriere der letzten Jahre als Balanceakt zwischen Erfolg und innerer Leere. Der rasante Aufstieg als Sängerin und Songwriterin («Eat My Brain», «Extra Fries») katapultierte sie in ein Pop-Business, das sie zunehmend als goldenen Käfig empfand. Der ständige Druck, Erwartungen zu erfüllen, den sie im Song «Truman Show» verarbeitete, führte zu Panikattacken und der Erkenntnis, dass sie nicht um jeden Preis berühmt sein will.
Erstes Album geplant
Die junge Künstlerin hat sich bewusst für einen unabhängigen, authentischeren Weg entschieden. Der unerwartete Tod ihres Vaters vor drei Monaten verstärkte die Suche nach Halt und führte sie zur Auseinandersetzung mit Religion und Metaphysik. Die aktuelle Single «Deer in Headlights» thematisiert die Traumata toxischer Beziehungen. Für die Zukunft plant sie ihr erstes Soloalbum und eine intime Akustiktournee.

Ein neues Leben als Popstar mit persönlicher Musik und weniger Ruhm: die Berner Musikerin Ilira Gashi.Foto: Noemi Hodler
Du hast kosovo-albanische Wurzeln, bist aber im Berner Oberland, in Brienz geboren. Den Start zum Popstar hattest du vor sieben Jahren mit dem Song «Fading» mit dem deutschen DJ und Musikproduzenten Alle Farben.
Ilira: Ja, genau. 2018 war mein Durchbruch. Das kam sehr unerwartet. Ich war eigentlich nur die Songwriterin. Und dann bin ich aus Zufall auch Interpretin des Songs geworden. Zum Glück.
Du wirst oft mit Mariah Carey verglichen, für mich hörst du dich aber viel mehr nach Lana Del Rey an.
Danke. Das ist der bessere Vergleich, zudem bin ich selbst ein mega Fan von Lana. Mariah ist auch unglaublich talentiert, doch ich mag diesen speziellen Sound von Lana.
Nächstes Jahr gibt es wahrscheinlich ein Album. Es hat nun mal eine Weile gedauert, mich als Sängerin zu finden
Ilira Sängerin und Songwriterin
Von dir gibt es bis dato nur eine EP. Kommt jetzt bald dein erstes Soloalbum?
Nächstes Jahr gibt es wahrscheinlich ein Album. Es hat nun mal eine Weile gedauert, mich als Sängerin zu finden. Und natürlich auch das richtige Team. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich im passenden Umfeld war, um ein gutes Album daraus zu entwickeln.

Begnadete Berner Songwriterin …

… und leidenschaftliche Sängerin: Ilira.
Du wurdest unter anderem als «Queen of Bubblegum» bezeichnet, 2022 kam es zum Bruch mit deinem Plattenlabel Majors. Nun möchtest du einen ernsthafteren Weg einschlagen. In deinem viel beachten Song «The Truman Show» thematisierst du die Erwartungen, die an einen gestellt werden und die nichts mit der eigenen Person zu tun haben. Was war das für eine Zeit?
Also, es ist ein wenig schwer, die richtigen Worte für diese Jahre zu finden. Wir leben in einer Zeit mit vielen Limitierungen, mit «Vorgaben», wie wir zu sein sollen, um Anklang zu finden. Bei meinem Song «The Truman Show» nach dem Film mit Jim Carrey geht es auch um diese scheinbar perfekte Welt, die einem das Gefühl gibt, alles sei gut, solange man sich in diesen Schemen bewegt. Schlussendlich geht es aber darum, in der Wirklichkeit zu leben.
Die Zeit mit deinen grossen Erfolgen, die dir ein Millionenpublikum bescherte, war auch eine Zeit, in der du mit Ängsten und Panikattacken zu kämpfen hattest. Wie hat sich das geäussert?
Irgendwann hatte ich dieses deutliche Gefühl, dass ich gerne eine bekannte Musikerin bin, aber nicht mehr zu jedem Preis. Am Morgen stand ich auf und dachte nur noch an meinen Marktwert und wie hoch die Anzahl der Streams ist. Ich konnte den Erfolg gar nicht mehr geniessen. Schlussendlich wurde mir bewusst, dass ich als Mensch viel zu emotional und feinfühlig bin, um mit den Folgen eines ausufernden Ruhms zu leben.
Im Grunde war ich frustriert als Künstlerin, weil ich nicht die Shows und die Leute hatte, die ich im Innersten wollte
Ilira Sängerin und Songwriterin
Du hattest mehrere Millionen Klicks und galtest als Streaming-Künstlerin. Was definiert Erfolg für dich, wenn nicht in Zahlen?
Im Grunde war ich frustriert als Künstlerin, weil ich nicht die Shows und die Leute hatte, die ich im Innersten wollte. Alles war sehr digital und mir fehlte der persönliche Austausch. Ich war ein Produkt und kein Artist. Ich hatte damals nicht realisiert, dass erfolgreiches Musikmachen ein sehr hartes Business ist.

Ilira umtreibt nun die Sehnsucht nach weniger Popbusiness und dafür authentischeren Songs, was man sehr gut im neuen Song «Deer in Headlights» hört.Foto: zvg
Du sagst, du möchtest künftig ein ruhigeres, simpleres Leben. Wie sieht das aus?
Diese grossen Emotionen, die im Musikgeschäft verlangt werden, fühlen sich für mich nicht richtig an. Und ja, ich will nicht nur ein ruhigeres Leben, ich will auch nicht zu viel Geld verdienen und ständig auf Reisen sein für eine Promo-Tour oder Konzerte. Ich wünsche mir eine gesunde Simplizität zurück. Der grosse Ruhm ist mit viel Aufwand verbunden, das möchte ich in dem Ausmass hinter mir lassen.
Wenn man einen Elternteil verliert, verliert man einen Teil von sich selbst
Ilira Sängerin und Songwriterin
Dein Vater ist vor drei Monaten mit nur 58 Jahren unerwartet verstorben. Ihr wart sehr verbunden. Was macht das mit dir?
Ich kann immer noch nicht so gut darüber sprechen, es ist alles so frisch. Wenn man einen Elternteil verliert, verliert man einen Teil von sich selbst. Mehr noch: einen Teil Heimat, einen Teil Zuhause. Ich bin jetzt auf der Suche nach etwas, was mich stabilisiert in dieser dunklen Zeit. Ich habe angefangen, den Koran und die Bibel zu lesen. Religionen und Sinnfragen sind derzeit ein Thema in meinem Leben.

Ilira Gashi im neuen Look …

… und im Talk der Plattform J.
Im neuen Song «Deer in Headlights» geht es um eine toxische Beziehung, von der man sich nicht lösen kann wie das Reh im Scheinwerferlicht oder die Maus vor der Schlange. Hast du das selbst erlebt?
Ganz sicher, in vielen Beziehungen, nicht nur romantisch, sondern auch in Freundschaften. Rein psychologisch hat es sehr viel damit zu tun, dass man das schon einmal im Leben erlebt hat und dann an einen gewissen Punkt kommt, wo einem das normal vorkommt. Es hat auch viel mit dem eigenen Selbstvertrauen zu tun, so im Stil von: Ich finde ohnehin niemand Besseren.
Ich nehme dich als sehr reflektierten Menschen wahr.
Das hat sicher auch damit zu tun, dass meine Mutter Ärztin mit Schwerpunkt Psychiatrie und Psychotherapie ist (lacht).
Ich bin teils Schweizerin, teils Albanerin und fühle mich deshalb oft als Alien
Ilira Sängerin und Songwriterin
Im Berner Oberland geboren, in Köniz und Niederwangen aufgewachsen, Vater und Mutter aus Albanien und dem Kosovo. Wo fühlst du dich zu Hause?
Ich bezeichne mich als tripolar (lacht). Ich bin teils Schweizerin, teils Albanerin und fühle mich deshalb oft als Alien. Die Leidenschaft verdanke ich meinen albanischen Wurzeln, punkto Pünktlichkeit bin ich leider noch nicht besonders schweizerisch (lacht).

Die neuen Songs und erst recht die Stimme von Ilira erinnern an den US-Popstar Lana Del Rey.Foto: Konrad Laukat
Du pflegst heute einen weniger kommerziellen musikalischen Stil und hilfst bei deiner Mutter Entela Gashi aus, die eine Praxis für ästhetische Medizin hat. Wohin soll die berufliche Reise gehen, zumal es in der Musikbranche recht schwierig geworden ist, genug Geld zu verdienen?
Ich bin glücklicherweise auch Songwriterin und schreibe für andere Künstler. Das ist sogar meine Haupteinnahmequelle. Vor einigen Jahren, als ich noch genug verdient habe, hatte ich nicht verstanden, dass man das Geld auch reinvestieren muss. Als Musiker braucht man eine gewisse Stabilität, um richtig gute Musik machen zu können.
Gibt es ein nächstes Ziel, das du als Künstlerin erreichen möchtest?
Das ist mein erstes Album, dass ich bald releasen möchte und dann möchte ich mit den Songs auch auf Tour gehen. Für 2026 ist eine Akustiktournee geplant und ich freue mich, auf die Nähe zu meinen Fans.
Die Liebe ist für mich ein zentraler Punkt und der eigentliche Grund, weshalb wir hier sind
Ilira Sängerin und Songwriterin

Ilira Gashi zu Gast im Talkformat «Zäme im Zäntrum» der Plattform J mit Kulturredaktor Peter Wäch.Foto: Noemi Hodler
Was ist für dich der Sinn des Lebens?
Sicher nicht, alles auf die Karte Karriere zu setzen. Das Leben ist da, um es mit anderen zu teilen. Die Liebe ist für mich auch ein zentraler Punkt und der eigentliche Grund, weshalb wir hier sind. Wie bereits erwähnt, war ich früher öfters in toxischen Beziehungen. Jetzt mit 31 bin ich bei mir selbst angekommen.
Du sagst von dir, du seist ein ausgesprochener Familienmensch. Wer bei sich ist, findet auch meist den passenden Partner.
Davon bin ich überzeugt (lacht).