Die Dragqueen Vava Vilde mischt nicht nur seit Jahren die Kulturszene in Stuttgart auf, sondern kämpft auch für mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen in Stuttgart. Darüber hinaus engagiert sie sich ehrenamtlich bei der Aidshilfe Stuttgart und belegte 2019 in der Fernsehsendung „Queen of Drags“ den dritten Platz. Seitdem nutzt sie ihre große Reichweite, um Aktivismus und Jugendarbeit zu fördern. Bevor sie zu einer der bundesweit bekanntesten Dragqueens wurde, wollte die Stuttgarterin eigentlich Lehrerin werden. Mit uns spricht sie über ihren Weg und die Wendungen, die ihr Leben mit Drag genommen hat.

Erste Drag-Erfahrungen in einem Sommercamp

Ihre erste Berührung mit der Kunstform, die später ihr Leben verändern sollte, hat die damals 20-jährige Vava Vilde im Schwule Sommercamp der DGB-Jugend Baden-Württemberg. Sich verkleiden, künstlerisch schminken und Theater spielen liegt ihr im Blut, das tut sie schon, seit sie klein ist. Aber damit auch andere unterhalten und in Clubs auftreten? Diese Möglichkeit eröffnen ihr die anderen Jungs im Sommercamp. Als dann noch Lady Gaga jeden Tag mit einem anderen verrückten Outfit durch die Medien geht und die US-amerikanische Reality-Show „RuPaul’s Drag Race“ ausgestrahlt wird, ist die junge Vava hin und weg. Dass sie später mal ihre ganze Karriere auf Drag aufbauen wird, hätte sie damals aber noch nicht ahnen können.

Vava Vilde erobert Stuttgarts Bühnen

Heute ist Vava Vilde hauptberuflich Dragqueen. Ihr Arbeitsplatz sind dabei Clubbühnen, CSD Weeks und Messen: Hauptsache, es gibt ein Publikum, das bereit ist, begeistert und entertaint zu werden. Seit 2020 steht sie gemeinsam mit ihrer Drag-Family, dem „House of V“, regelmäßig auf der Bühne des Renitenztheaters Stuttgart. Anfang des Jahres war sie in einer Inszenierung der Oper „Rusaltika“ an der Staatsoper Stuttgart zu sehen. Im Oscho organisiert sie Public Viewings der Kultshows „RuPaul’s Drag Race“ und „Queen of Drags“, also jener Show, in der sie 2019 selbst den dritten Platz belegte.

Auch abseits der Bühne ist Vava Vilde präsent: Sie moderiert Events, wirkt in Werbekampagnen von Tui und MAC Cosmetics mit und schafft sich so ein vielseitiges berufliches Fundament. Der Alltag als selbstständige Künstlerin bedeutet für sie zwar enorm viel Arbeit, Unsicherheit und Stress, doch sie sagt mit einem Lächeln: „In den 14 Jahren hatte ich bisher jeden Tag Spaß an meinem Job und dafür bin ich sehr dankbar.“ Was sie antreibt, ist die künstlerische Freiheit und die Möglichkeit, immer wieder Neues zu erfinden.

Die Dragqueen Vava Vilde präsentiert sich immer wieder in ausgefallenen Looks, die sie in einem langen kreativen Schaffensprozess selbst kreiert. Foto: Matthew Lutze, Thomas Hanisch Von der Schulbank zur Bühne: Vava Vildes unerwarteter Karriereweg

Ursprünglich hatte Vava Vilde ganz andere Pläne: Sie studierte Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Stuttgart und war überzeugt, eine gute Lehrerin zu werden. Doch während des Studiums nahm ihre Drag-Karriere langsam Fahrt auf und irgendwann gab es keinen Weg mehr zurück. „Im Grunde ist das, was ich heute mache, gar nicht so weit entfernt“, sagt sie. „Ich möchte Menschen Mut machen, über sich selbst nachzudenken, Grenzen zu hinterfragen und ihr Leben nicht von Geschlechternormen bestimmen zu lassen“ erklärt sie.

„Vava ist eine Facette von mir“

Der Stein ins Rollen brachte vor vielen Jahren ein Ehrenamt. 2011 engagierte sich Vava bei der Aidshilfe Stuttgart, wo sie Präventionsarbeit leistete. Für ihre Clubbesuche im Rahmen der Aufklärung schlüpfte sie erstmals in Drag, „eigentlich aus einer Laune heraus“, wie sie erzählt. Doch schnell merkte sie, dass dahinter mehr steckte. „Damals brauchte ich die Sicherheit, einen ‚guten Grund‘ zu haben, um mich in Drag zu kleiden.“ Heute weiß sie, dass sie einfach noch nicht bereit war, voll und ganz dahinter zu stehen. Inzwischen ist sie mit sich im Reinen: „Vava ist nicht anders als meine Privatperson. Sie ist eine Facette von mir.“

Aktivismus und Drag untrennbar verbunden

Noch immer engagiert sie sich bei der Aidshilfe, an anderen Stellen musste sie aus zeitlichen Gründen etwas kürzer treten, so zum Beispiel als stellvertretende Vorsitzende des LSBTIQA+ Zentrums Weissenburg, wo sie ihren Posten aufgegeben hat. Aktivismus und Jugendarbeit sind aber in ihrem Leben geblieben, sie gehören zu ihr, wie der spitze Eyeliner zu ihren Make-up-Looks.

Dabei ist Vava Vildes Anspruch, viel mehr als eine Dragqueen zu sein, ein Alien, losgelöst von Normen. „Der Alien-Begriff hat mir enorme künstlerische Freiheit gegeben“, sagt sie. Dadurch kann sie alles verkörpern: Monster, Roboter, Drachen oder abstrakte Wesen aus fremden Welten. Diese Freiheit bringt aber auch Druck mit sich, denn wer alles sein kann, muss sich ständig neu erfinden.

Vava Vildes Looks sind oftmals außerirdisch und ein bisschen gruselig, wie sie selbst sagt. Foto: Vava Vilde, Matthew Lutze Vulkane und Visionen: Vava Vildes kreative Inspirationsquellen

Ihre Inspiration zieht Vava aus vielen Quellen: Musik, Filme, Kunst, Mode, Fotografie oder einfach aus der Natur. Für den CSD Stuttgart baute sie einmal ein Vulkan-Kostüm, inspiriert von Lava. Manchmal kommt eine Idee spontan, manchmal braucht es Stunden, Tage oder Wochen. Der kreative Zyklus, vom ersten Entwurf bis zur fertigen Show, kann sich Monate lang ziehen.

Vava Vilde liebt diese Vielfalt. Sie ist selbstbewusst, extrovertiert, kreativ und weiß genau, wer sie ist und was sie möchte. Drag hat ihr geholfen, das herauszufinden. „Das Schöne an Drag ist, dass man sich seinen eigenen Superhelden erfinden kann“, erklärt sie uns. Im besten Fall stellt man dann fest, dass man die Superkräfte aus dem Drag auch in seinen Alltag mitnehmen kann.

„Als Dragqueen kann ich jeden Tag jemand anderes sein“, sagt sie. „Das zeigt mir, dass es egal ist, wie man aussieht. Wichtig ist nur, dass man sich selbst frei entfalten darf.“ Auch wenn Vava die Unterstützung ihrer Familie immer hatte, war es eine wichtige Erfahrung Menschen zu finden, die sie kompromisslos akzeptieren. Diesen Mut zur Selbstfindung möchte sie jungen Stuttgartern und Stuttgarterinnen mitgeben: „Drag soll die Erlaubnis geben, mutig zu sein, sich selbst auszuprobieren und Geschlechterrollen nicht zu ernst zu nehmen.“