Der Moment, in dem München cooler war als Berlin, lässt sich ziemlich genau bestimmen – auch wenn der Begriff „cool“ damals noch nicht einmal existierte. 1968 geschah das, als der Film „Zur Sache, Schätzchen“ die ganze Republik amüsierte. Mittendrin: Der Schauspieler Helmut Brasch auf einem per Strick fixierten Holzbrett, surfend auf den Wellen eines Isar-Seitenarms. Er machte das, als würde er den ganzen Tag darauf verbringen, unendlich schlaff, ein Sprücheklopfer vor dem Herrn.

„Boheme“ oder „Gammler“ nannte man solche inspirierten Nichtstuer damals, und München-Schwabing war das Epizentrum ihrer vorher unbekannten Schlurfigkeit, die in geflügelten Worten wie „Es wird bös enden“ und „Dann schlafft er wieder ab“ gipfelten sowie in jener Tätigkeit, für die der Film den Begriff „Fummeln“ populär machte.

Bernd Matthies meint, dass Berlin aus der Münchener Eisbachwelle etwas lernen kann.

Aus Berliner Sicht war das deshalb so spektakulär, weil die Stadt sich gerade in der kompletten Politisierung verstrammte und Dingen wie Fummeln und Surfen offiziell keinen Platz einräumte. Für Frontstadt-Revolutionäre, auch selbsternannte, war so etwas nur Krampf im Klassenkampf.

Die Münchener Eisbachwelle, damals gerade erfunden, hat seitdem eine fulminante Karriere hingelegt: Hier wurde geliebt und gesoffen und – zumindest in vielen TV-Krimis – auch hinterlistig gemordet. Es gab unzählige Wettbewerbe, einen echten Todesfall durch die Hinterlist der Welle im April, das ganze Phänomen wuchs auf Überlebensgröße. Völlig verständlich also, dass die Stadt nun in Panik geriet, als die Welle nach der üblichen „Bachauskehr“ im Oktober einfach wegblieb – ob sie auf Dauer reanimiert werden kann, scheint noch offen zu sein.

Welle weg? Das klingt absurd. Wohin? Wir würden nun gern berichten, dass sie sich auf Dauer in Berlin niedergelassen hat, aber leider ist das nicht der Fall. Es kann schon rein physikalisch nicht sein, weil uns hier einfach die Berge fehlen, die der Isar richtig Druck machen. Havel und Spree trutschen bekanntlich dermaßen unmotiviert vor sich hin, dass auf ihnen bestenfalls Papierschiffchen surfen können.

Ersatzweise ist ein wenig Schadenfreude zu spüren in Richtung der Münchener. Die mit ihrem herablassend gewährten Finanzausgleich und ihrer neuen Olympia-Selbstsicherheit!

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Aber mit Blick auf die Welle, die ihre Entdecker vermutlich nicht mehr als 20 Mark für Strick und Brett gekostet hat, lässt sich was lernen für das Leben in der Hauptstadt. Nämlich, dass die wichtigen Dinge manchmal in Freiräumen passieren, die niemand auf dem Schirm hat, und die in keinen Etat eingestellt wurden.

Das Flussbaden in der Spree zum Beispiel, in der Realisierung enorm teuer, ist schon zerquatscht, da hebt sich sowieso keine Welle mehr. Möglicherweise muss erst ein neuer Berlin-Film her? Der letzte einschlägige, „Lola rennt“, hat uns leider keine heitere Gelassenheit geschenkt. Sondern Hektik und schlechte Laune.