Der Architekt Jan Keinath zieht mit seiner Familie aus dem Stuttgarter Westen nach Tübingen: in eine behutsam sanierte Doppelscheune von 1806. Ein Besuch.

Stuttgarter Architekt mit Expertise im Umbau script type=“module“ src=https://player.glomex.com/integration/1/integration.js>

Trotzdem können gerade solche Sanierungen ohne fachliche Expertise für Umbauten im Bestand im Ruin enden. Keinath wusste, worauf er sich einließ, denn er ist Architekt und Mitgründer von KO/OK, ein auf den ersten Zuruf hin vielsagender Büroname, der tatsächlich – wie einige zurecht vermuten werden – von einem Song und dem gleichnamigen Studioalbum der Gruppe Tocotronic inspiriert ist. Der Titel spielt mit den Initialen der Partner, steht aber auch für das Auf und Ab im mühseligen Tagesgeschäft selbstständiger Architektinnen und Architekten.

Sensible Umbauten im Bestand

Für das Büro KO/OK, das ein Standbein in Leipzig hat, das andere bis vor kurzem in Stuttgart und nun in Tübingen, lief es allerdings in letzter Zeit so ziemlich OK. Gemeinsam mit Fabian Onneken hat sich Jan Keinath mittlerweile einen Namen mit sensiblen Umbauten im Bestand, Sanierungen sowie Restaurierungen gemacht. Onneken und Keinath haben eine ganze Reihe vorbildlicher Holzbauten entworfen sowie bei komplexen Bauaufgaben in historischem Umfeld bewiesen, dass sie vom anspruchsvollen Kontext eher inspiriert als abgeschreckt sind.

Staatspreis Baukultur für KO/OK

Davon kann man sich etwa in Kirchheim unter Teck bewundern, wo im mittelalterlichen Stadtkern vor einigen Jahren das marode Hotel „Waldhorn“ abgebrochen wurde. Die Stadt gab an Ort und Stelle einen Neubau in Auftrag, der das Alte nicht ignorieren durfte, ohne das Hier und Jetzt außen vor zu lassen. Gesagt, getan: KO/OK erhielten für ihren zurückgenommenen, aber dennoch markanten hellen Neubau den Staatspreis Baukultur 2020.

Fabian Onneken (li.) und Jan Keinath von KO/OK Architekten. Das Büro hat zwei Standorte, in Leipzig und nun in Tübingen. Foto: Thomas Bär

Es wundert einen dann auch nicht, dass die Doppelscheune in Tübingen-Derendigen auch schon preisträchtig unterwegs ist. Ein Herzensprojekt von Jan Keinath: „Wir wollten etwas bauen oder umbauen und haben uns sicher zehn, vielleicht zwölf Jahre lang umgeschaut. Vieles im Umkreis haben wir besichtigt, darunter war auch ein altes Wirtshaus mit Tanzsaal ganz hier in der Nähe. Das hätten wir ebenfalls gerne umgebaut.“

Schließlich wurde es nicht der Tanzsaal, sondern die Scheune. „Das Grundstück mit alter Scheune haben wir von der GWG Tübingen für 400 000 Euro gekauft“, berichtet Keinath. „Wir mussten uns mit einem Konzept um das denkmalgeschützte Gebäude bewerben – unser Ziel war es trotz komplizierter Bauaufgabe die Schaffung von vier suffizienten und noch bezahlbaren Wohneinheiten zu schaffen.“

115 Quadratmeter in Tübingen für die fünfköpfige Familie

Mit der Planung hatte Keinath im Jahr 2020 angefangen, bis Ende 2023 war das Gebäude dann fertig umgenutzt. Heute wohnen Keinath, seine Frau und die drei Kinder in einer der vier Wohnungen in dem sanierten und umgebauten Fachwerkbau. 420 Quadratmeter Wohnfläche sind entstanden, jeweils zwei Wohnungen in der ehemaligen Tenne, zwei im großen Dachstuhl. „Wir wohnen mit drei Kindern auf etwas weniger als 115 Quadratmetern, das ist deutlich unter dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Quadratmeterverbrauch für solch eine Typologie“, sagt Jan Keinath bei einem Besuch in seinem neuen Zuhause. Die fünfköpfige Familie hat die Wohnung mit dem ebenerdigen Eingang. Über einen Holzeinbau mit Treppenaufgang gelangt man aus dem Wohn- und Essbereich ins obere Stockwerk.

Interessant ist, wie zierlich, ja geradezu bescheiden die Scheune von außen betrachtet erscheint. Innen aber gibt es Höhe, Luft und Licht. Ein echtes Raumwunder. „Die Dachwohnung über uns, in der ein Paar wohnt, hat rund 60 Quadratmeter, wirkt aber dank der Höhe viel größer.“

Große Fensterflächen lassen viel Tageslicht in die Wohnung

Der Architekt erklärt, wie er das Licht von der Straßenseite in die Wohnungen gebracht hat, ohne die Bausubstanz und damit den Charakter der Scheune übermäßig zu verändern. Das gelang mit Hilfe der beiden ursprünglich vorhandenen Doppeltore auf der Vorder- und Rückseite: die nun an diesen Positionen befindlichen großdimensionierten Fenster lassen viel Licht in die Erdgeschosswohnungen. Als Sichtschutz vor den Fenstern wurden vertikale Lamellen aus unbehandeltem Holz angebracht, innen gibt es noch spezielle Vorhänge.

Je weniger Technik, desto besser

Überall am Haus finden sich simple, aber clevere Lösungen. Dem Trend zur zwanghaften Technisierung verweigern KO/OK ohnehin konsequent. Das Ziel ist es, einfach zu bauen und bei jedem Projekt zu versuchen, langlebige, möglichst robuste Gebäude mit einem Minimum an wartungsrelevanter und damit reparaturanfälliger Technik zu erschaffen. Wozu also komplizierten, elektronisch gesteuerten Sonnenschutz installieren, wenn ein ähnliches Ergebnis mit Holzlamellen und Vorhängen gelingen kann?

Raum ist Material – und umgekehrt

Räume denken, ohne das Material zu berücksichtigen – das geht auch gar nicht. Jan Keinath denkt den Raum nicht isoliert vom Material, das gilt und galt auch im Besonderen für die Doppelscheune in Tübingen-Derendigen. Bei der Instandsetzung des hölzernen Tragwerks wurde möglichst Altholz verwendet. „In den hinter der Scheune stehenden Schuppen fanden wir gut abgelagertes Holz einer ehemaligen Wagnerei, das wir für Reparaturen des Holztragwerks verwenden konnten“, erklärt Jan Keinath.

Die Oberflächen des gesamten Dachstuhls und aller sichtbaren Holzteile wurden schließlich in Eigenleistung mit Bürsten gereinigt. Da kamen ein paar Laufmeter zu bearbeitendes Holz zusammen. Eine schweißtreibende Schufterei, keine Frage. Was nicht vorhanden war und ersetzt werden musste, kam mit dem Lastwagen, und auch hier behielt man einiges im Blick, was KO/OK so wichtig ist: der Einsatz von ökologischen, also nachwachsenden Baustoffen, möglichst aus der Region.

Kundige Handwerker aus der Region

Für die neu eingezogenen Decken, die neue Dachschalung und alle weiteren ergänzten Einbauten nutzten die Architekten massives heimisches Nadelholz. Traditionelles Handwerkskunst war erwünscht, vor allem bei den konstruktiven Verbindungen der Holzteile. Mit den richtigen Zimmerern und Handwerkern – ebenfalls aus der Gegend, mit möglichst kurzen Anfahrten – kann man auf der Baustelle alles nach Wunsch anpassen. „Vieles wurde sägerau antransportiert und vor Ort gehobelt, wir wollten kein Leimholz verwenden und konnten so die benötigten Querschnitte individuell herstellen“, sagt Jan Keinath.

Lehmsteine als natürliche Baustoffe

Bei der Sanierung des Fachwerks und des Mauerwerks wurden ebenfalls keine Kompromisse gemacht: es galt, umweltschonendes Material zu verbauen. Der Sockel wurde mit Bruchstein ausgebessert. Für die neuen Füllungen der Gefache nahm man Lehmsteine. Außen bekam das Ganze eine Schutzschicht aus Hanf und Kalk, innen kam ein Kalk-Dämmputz zum Einsatz. Ein natürlicher Feuchtigkeitspuffer für eine funktionale Wand.

Aufwändiger Technikeinsatz? Unnötig. Das gilt übrigens auch für die Inneneinrichtung. Alles ist radikal reduziert gehalten, die raumprägende Holztreppe in der Mitte der Wohnung verbindet die Ebenen, schafft Höhe und Staumöglichkeiten, die Räume drumherum sind nicht groß und doch wirkt nichts eng. Das viele Holz sorgt für eine behagliche Atmosphäre, die Haptik der natürlichen, oft Hunderte Jahre alten Oberflächen ist anregend, ständig will man die Scheune von innen und auch außen berühren.

Familienfreundliches Leben abseits der City

Jan Keinath sagt, er ist glücklich im ländlich geprägten Derendingen, die Umnutzung der Doppelscheune bereuten er und seine Frau nicht, nur die Kinder hatten anfänglich das Sushi-Restaurant aus dem Stuttgarter Westen vermisst, das so nah war. „Wir haben gern in Stuttgart gewohnt, und uns lange auch im Westen nach etwas zur Miete oder zum Kauf gesucht, als unsere Wohnung zu klein wurde“, erzählt der Architekt, der die Stadt nicht gegen das Dorf ausspielen will. Keinath ist kein Schwarzweißmaler, schätzt aber das Leben abseits der City, ohne auf sie verzichten zu müssen. „Tübingen-Derendingen ist ländlich geprägt und man ist schnell in der Natur, gleichzeitig ist man in zehn Minuten mit dem Rad mitten in Tübingen.“

Abends die Scheune im Rücken

Und dann ist da ja noch die Scheune mit ihren ungeahnten Möglichkeiten. Auf der Rückseite befindet sich ein schöner Garten mit Geräteschuppen und reichlich Platz und Spielmöglichkeiten für die kleinen Bewohner. Man kann grillen, abhängen. Doch dass Keinath und seine Familie immer noch echte Stuttgarter Straßenhocker sind, merkt man daran, dass sie im vergangenen kein einziges Mal im Garten saßen. „Wir haben einen Garten, sind aber den ganzen Sommer in den Abendstunden meistens vorne vor dem Haus gesessen mit Freunden und natürlich auch mit unseren Nachbarn“, sagt Jan Keinath lächelnd. Vorne ist aber auch sehr schön, der Verkehr in der Straße ist wirklich zu vernachlässigen. Hauptsache, man hat diese wunderbare Scheune im Rücken.

Fotos von dem Umbau vorher und nachher finden sich in der Bildergalerie.

Auszeichnungen

Haus des Jahres
Die Doppelscheune wurde im Wettbewerb des Callwey-Verlags „Häuser des Jahres 2025“ mit einer besonderen Anerkennung ausgezeichnet. Jurymitglied Ulrich Nolting leitet seine Laudatio so ein: „Die Doppelscheune ist ein herausragendes Beispiel für zeitgenössische Architektur, die Tradition und Moderne harmonisch miteinander verbindet.“

Innovationspreis
Anja Schröck und Jan Keinath haben außerdem vom Land Baden-Württemberg die Auszeichnung des Innovationspreises „Denkmal – Energie – Zukunft“ erhalten. Damit werden herausragende Energielösungen für Kulturdenkmale in Baden-Württemberg gewürdigt. Im Doppelhaus wird mit Wärmepumpe geheizt & für Spitzenzeiten steht eine Brennwerttherme bereit.