Bei Filmfestivals geht es um Tradition und Innovation – und um die stetige Auslotung dieser vermeintlichen Gegensätze. Wer sich einmal bei Publikum und Gästen etabliert hat, möchte möglichst wiedererkennbar und zuverlässig sein. Wer sich zu sehr auf die traditionellen Aspekte eines Festivals verlässt und immer alles gleich macht, wirkt womöglich altbacken und verpasst den Anschluss.

Das weiß auch das Team des Internationalen Festivals der Filmhochschulen München, das eine lange Tradition hat. Genauer gesagt gibt es dieses Festival bereits seit 1981. Seitdem hat es sich mehrere Male neu erfunden. Im Laufe der Jahre wurden Filme und Gäste immer internationaler, also hat man es der besseren Verständlichkeit halber in „Filmschoolfest Munich“ umbenannt: Hier trafen sich Filmstudierende aus aller Welt, einige von ihnen wurden später weltberühmt – Regiestars wie Lars von Trier, Maren Ade, Nick Park oder Thomas Vinterberg etwa.

Bei diesem Festival bekommt man einen guten Eindruck, wohin sich künftige Filmemachergenerationen inhaltlich, erzählerisch und ästhetisch entwickeln. An dieser Tradition soll sich nichts ändern, trotzdem steht jetzt ein erneuter Namenswechsel an: Aus dem „Filmschoolfest Munich“ wird das „Festival of Future Storytellers“ (FOFS), neun Tage lang kommen junge Filmemacherinnen und -macher nach München. In dieser Zeit zeigen sie nicht nur ihre Filme.

„Die Bedürfnisse der Filmstudierenden haben sich verändert, also haben wir uns auch verändert“, sagt Julia Weigel ein paar Tage vor FOFS-Beginn. In den vergangenen zehn Jahren gab es große Veränderungen an den Film- und Kunsthochschulen, audiovisuelles Erzählen hat unterschiedlichste Formen angenommen. Heute würden auch Themen wie Serienformate, Videokunst, Games, XR, VR und KI gelehrt, so die künstlerische Leiterin des Festivals.

Man wolle der Filmschoolfest-Tradition treu bleiben, gleichzeitig aber auch den verbindenden und impulsgebenden Aspekt des Festivals stärker betonen. Anders gesagt: Filmvorführungen alleine reichen nicht mehr. Das FOFS bietet auch Masterclasses, Mentoring-Programme, Talks oder Labs an, hier sollen sich die Gäste näherkommen und vernetzen. Gemeinsam mit Festivaldirektor Christoph Gröner tüftelt Weigel nicht nur am Traditions-und-Innovations-Mix des FOFS: Die beiden füllen diese Positionen auch beim ungleich größeren Filmfest München aus.

In „Night of Passage“ verstecken sich Freunde aus Teheran in einem Wald nahe der Grenze zu Österreich.In „Night of Passage“ verstecken sich Freunde aus Teheran in einem Wald nahe der Grenze zu Österreich. (Foto: Festival of Future Storytellers)

Erst vor wenigen Wochen sind sie mit dem gesamten Festival-Team aus der Innenstadt in ein Hochhaus an der Arnulfstraße umgezogen, auch bei den Abspielstätten gibt es eine Veränderung: Das Festivalzentrum befindet sich nach wie vor in der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF), dort trifft man auf Filmemacher und Gäste, in den HFF-Kinosälen werden auch die meisten Filme gezeigt. Neu hinzugekommen ist die Theatiner Filmkunst: Das klingt nach einem schönen Kontrast, das Kinojuwel mit dem Fünfzigerjahre-Ambiente wird den Filmnachwuchs und das filmaffine Münchner Publikum begrüßen. Auf dem Spielplan stehen thematisch kuratierte Programme mit spanischsprachigen oder französischsprachigen Kurzfilmen.

Man wolle insgesamt spielerischer werden, sagt Julia Weigel. Das zeigt sich auch bei den sogenannten Remixes, die neu im Programm sind: Hier werden die Wettbewerbsfilme nach Themen sortiert gezeigt, neben den spanisch- oder französischsprachigen Titeln gibt es unter anderem Programme über queere Lebenswelten, über Beziehungen, Coming of Age, Migration oder die Welt von Kindern. Inhaltlich geht es oft um die Suche nach Erinnerungen, um Identitätssuche oder um das Zusammenleben in einer sich rasant verändernden Welt.

Das dürfte auch Zuschauerschichten ansprechen, die das Festival bisher nicht besucht haben. Auch Schulvorführungen und Präsentationen vom Festival „Sehsüchte“ sowie der European Film Academy stehen auf dem Programm. Bei allen Neuheiten liege der Fokus des FOFS aber weiterhin auf jungen Kreativen und der kurzen Form, betont Festivaldirektor Christoph Gröner im Gespräch, pro Programmblock sind also durchschnittlich vier bis fünf Kurzfilme zu sehen.

„Skin On Skin“: zwei Männer in einem industriellen Schlachthaus und ihre Sehnsucht nach Freiheit.„Skin On Skin“: zwei Männer in einem industriellen Schlachthaus und ihre Sehnsucht nach Freiheit. (Foto: Festival of Future Storytellers)

Insgesamt 92 Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme aus 40 Ländern stehen auf dem Programm, gleich mehrere Jurys verleihen Preise an die besten nationalen und internationalen Produktionen. Dank einer neuen Festival-Kooperation sind auch Kurzfilme aus afrikanischen Ländern wie Sierra Leone, Senegal, Ägypten, Niger oder Burkina Faso zu sehen. Viele Filme laufen als Premieren, einige waren schon bei anderen Festivals zu sehen oder erhielten Preise.

Der polnische Film „Dad’s Not Home“ etwa gewann erst vor wenigen Wochen einen „Studenten-Oscar“ bei den Student Academy Awards, Regisseur Jan Saczek erzählt darin von zwei minderjährigen Brüdern, die die schwere Krankheit ihres Vaters geheim halten, um zusammenbleiben zu können. Mit dem deutschen Nachwuchspreis „First Steps“ ausgezeichnet wurden im Oktober die Filme „Skin on Skin“ (entstanden an der Filmakademie Baden-Württemberg) und „Night of Passage“ (Filmakademie Wien), sie sind ebenfalls beim FOFS zu sehen.

Um die Verbindung von Musik und Film geht es bei einer Veranstaltung am 15. November: Im Audimax der HFF werden acht Musikvideos von jungen Münchner Bands gezeigt, im Anschluss an die Vorführung spielt die Band Insschlosswollen ein Konzert. Einen direkten München-Bezug haben auch die Vorstellung des Mentoring-Programms „Munich Film Up!“ (am 15. November in der HFF) oder das Filmemachergespräch mit Philip Koch am 17. November (ebenfalls in der HFF): Der Münchner Regisseur feierte erst diesen Sommer einen Publikumserfolg mit seinem Netflix-Film „Brick“, er will aber auch über Rückschläge, Flops und kreative Krisen sprechen. „Denn im Scheitern liegt nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem“, so Koch. Auch diese Erfahrung muss der Filmemachernachwuchs machen.

Festival of Future Storytellers, Freitag, 14., bis Samstag, 22. November, HFF München und Theatiner Filmkunst