„Phase 0“
Bereitet Russland den Boden für einen Angriff aufs Baltikum?
14.11.2025 – 01:04 UhrLesedauer: 3 Min.
Russische Soldaten beim Training: Könnte dem Baltikum ein ähnliches Schicksal drohen wie der Ukraine? (Symbolbild) (Quelle: IMAGO/Dmitry Yagodkin/imago)
Russland macht den baltischen Staaten schwere Vorwürfe. Das amerikanische ISW sieht Parallelen zum Ukraine-Krieg.
Das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) sieht Anzeichen für eine Vorbereitung eines militärischen Konflikts zwischen Russland und dem Baltikum. In einer Analyse gehen die Wissenschaftler des Instituts davon aus, dass Russland eine „Phase 0“ begonnen habe. Ein direkter Angriff stehe aber nicht bevor.
Ein militärischer Angriff auf die baltischen Staaten wäre – anders als die Invasion der Ukraine – ein direkter Angriff auf die Nato. Experten wie von GIS, einer Firma für globale Risikoeinschätzungen, sehen schon länger die Möglichkeit einer russischen Invasion. „Jüngste Geheimdienstinformationen deuten darauf hin, dass Russland einen Angriff auf die Nato vorbereitet, obwohl der Krieg in der Ukraine noch andauert“, hieß es in einer Einschätzung der Firma im Juli.
In einer „Phase 0“ werden Maßnahmen ergriffen, die entweder einen Konflikt verhindern sollen oder aber einen Konflikt mit dem Aufbau von Netzwerken und Desinformationskampagnen vorbereiten. Nach Ansicht des ISW gibt es Parallelen zwischen jüngsten Aussagen des russischen Außenministers Sergej Lawrow und einer russischen Desinformationskampagne vor dem Überfall auf die Ukraine.
So habe Lawrow am 11. November in einem Interview mit Reportern russischer Medien gleich mehrfach Redewendungen verwendet, die schon zuvor von russischer Seite über kremlfreundliche Propagandakanäle auf Telegram und in sozialen Medien verbreitet wurden. Der Minister beschuldigte die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland „russlandfeindlich“ zu sein, dass russischsprachige Bewohner diskriminiert würden und dass man Abkommen mit Russland missachte. Welche Abkommen gemeint waren, sagte er nicht. Er nannte die baltischen Staaten „Marionetten Großbritanniens“ und deutete an, dass die Länder weniger Europa als vielmehr Russland zugehörig seien.
Lawrow bezeichnete die baltischen Staaten außerdem als Bedrohung für Russland und behauptete, dass „einige Persönlichkeiten“ in der Europäischen Union die baltischen Staaten „anstacheln“, indem sie andeuten, dass das Gebiet Kaliningrad „dem Erdboden gleichgemacht“ werden könnte. „Der Kreml hat bereits zuvor ähnliche Informationslinien gegen die baltischen Staaten verwendet, aber es ist bemerkenswert, dass Lawrow sie alle zusammen in einer einzigen Erklärung präsentiert hat“, so das ISW.
Die Anschuldigungen ähneln denen, die Russland gegen die Ukraine sowohl beim Angriff auf die Krim 2014 als auch bei der Invasion 2022 verwendete. Russland hatte der Ukraine wiederholt wahrheitswidrig vorgeworfen, von einem Naziregime beherrscht zu werden. Der Kreml behauptete auch mehrmals, dass man die Region Donbass „befreien“ wolle. Als Grund wurde angegeben, dass die russisch sprechende Bevölkerung verfolgt werde. Außerdem warf Russland der Ukraine vor, ein Sprungbrett der Nato sein zu wollen. Die Ukraine war zu diesem Zeitpunkt nicht in Beitrittsverhandlungen mit der Nato.
„Die Äußerungen von Lawrow vom 11. November sind die Fortsetzung der laufenden Bemühungen des Kremls, die Informationslage für einen möglichen künftigen Angriff auf einen oder alle baltischen Staaten zu schaffen. Sie sind somit Teil der laufenden russischen Phase-Zero-Operationen zur Vorbereitung auf einen möglichen Krieg zwischen der Nato und Russland in der Zukunft“ schätzt das ISW ein. Es schränkt aber ein, dass es bislang keine Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff gibt und solche Phase 0-Operationen mehrere Jahre dauern können.
