Angelina Melnikowa

Stand: 14.11.2025 18:59 Uhr

Die russische Mehrkampf-Weltmeisterin Angelina Melnikowa wird am Samstag in Esslingen in der Deutschen Turnliga für den TSV Tittmoning-Chemnitz antreten. Sie gilt als Unterstützerin des Putin-Regimes.

Von Franziska Röhrig, Johannes Seemüller, Pirmin Styrnol

Auf der Webseite der putintreuen russischen Partei „Einiges Russland“ blickt einem Angelina Romanowna Melnikowa ernst entgegen. „Oblast Woronesch, Wahlkreis Nr. 23“ steht im Text neben ihrem Profilbild zu den Kommunalwahlen für die Abgeordneten der Stadtduma Woronesch. Im Sommer hat Melnikowa nach eigener Aussage ihre Kandidatur aus sportlichen Gründen zurückgezogen. Die Olympiasiegerin von Tokio 2021 und Mehrkampf-Weltmeisterin von Jakarta im Oktober 2025 ist auf der Partei-Homepage aber nach wie vor als Kandidatin gelistet – inklusive ihrer Vorstellungsvideos.

Melnikowas politische Haltung ist bekannt. Am 9. Mai 2022 – zweieinhalb Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – posierte sie auf der Parade für den sogenannten „Tag des Sieges“ mit dem Kriegsbefürworter-Symbol „Z“ in der Hand und postete das Foto auf ihrem Instagram-Account. Die Russin versteckt ihre Unterstützung des Kreml-Regimes nicht.

Chemnitz-Trainerin Bachmayer: „Kein politisches Statement“

Für den TSV Tittmoning-Chemnitz, aktuell bestes Team in der Deutschen Turnliga (DTL) der Frauen, scheint Melnikowas Engagement für Putins Politik wenig problematisch zu sein. „Wir wollen mit ihrer Verpflichtung kein politisches Statement setzen“, erklärte Chemnitz-Trainerin Tatjana Bachmayer gegenüber SWR Sport: „Es geht uns allein ums Sportliche“, meinte die aus Karlsruhe stammende Erfolgstrainerin weiter. Dass es zu Gegenwind aus dem Publikum oder zu Problemen mit anderen Athletinnen kommen könne, glaubt sie nicht: „Ich bin überzeugt, dass alle während des Wettkampfs in der Halle respektvoll miteinander umgehen werden.“

Wie es zum Engagement Melnikowas kam

Die Idee zum Engagement der aktuell weltbesten Turnerin kam aus dem Chemnitzer Mannschaftskreis. Melnikowas Verpflichtung ist das Ergebnis eines Treffens zwischen der Chemnitzer Spitzenturnerin Karina Schönmaier, die selbst Russisch spricht und Familienangehörige in Russland hat, ihrem belarusischen Trainer Anatol Ashurkov und Angelina Melnikowa am Rande des Turn-Weltcups im September in Paris.

In diesem Gespräch, berichtet Bachmayer, sei die Idee aufgekommen, Melnikowa könne doch für Chemnitz in der Deutschen Turnliga an den Start gehen. Rund zwei Monate später kommt es nun tatsächlich beim vierten Turnliga-Wettkampf zum Auftritt der Russin in den Farben der Sachsen.

Angelina Melnikowa bei der Turn-WM im Oktober in Jakarta (Indonesien). Melnikowa trat als neutrale Athletin an und wurde Weltmeisterin im Mehrkampf.

Russin fliegt für Turnliga-Wettkampf aus Moskau ein

Damit bricht Chemnitz die bislang vorherrschende Haltung der Turnvereine, keine Athletinnen oder Athleten aus Russland für Wettkämpfe einfliegen zu lassen. Die DTL, die vom Verein über das angedachte Engagement Melnikowas informiert wurde, zeigt sich wenig begeistert vom Vorstoß aus Chemnitz.

Ein DTL-Sprecher erklärte gegenüber SWR Sport aber, dass man keine Handhabe gegen dieses Vorgehen besitze. Man sei in der Entscheidung über die Starterlaubnis der russischen Weltmeisterin an die Regularien des internationalen Turnerbunds FIG gebunden. Auf diesen Standpunkt zieht sich auch Bachmayer zurück: „Wir halten uns an die Entscheidung der FIG“, sagt sie. Melnikowa sei vom Weltverband als neutrale Athletin eingestuft.

Internationaler Turnerbund will sich nicht äußern

Wie es dazu kommen konnte, dass Melnikowa trotz ihres politischen Engagements in Russland vom internationalen Turnerbund für neutral befunden wurde, dazu will sich aktuell niemand äußern. Die FIG erklärte gegenüber SWR Sport, dass der Verband keine Einzelfälle kommentiere und verwies auf die sogenannten „Ad Hoc Regeln“, die hierfür extra entwickelt wurden.

Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz der Turn-WM in Jakarta hatte FIG-Generalsekretär Nicolas Boumpane erläutert, dass die Anträge auf den neutralen Status im Auftrag der FIG von einer externen Agentur bearbeitet würden. Diese Firma sei darauf spezialisiert, die Inhalte auf sozialen Medien oder in Zeitungen zu überprüfen, um zu schauen, ob sie etwas finden, das beweisen könnte, dass diese Person den Konflikt (gemeint ist Russlands Krieg gegen die Ukraine) unterstützt. Basierend auf den Ergebnissen, werde ein Bericht erstellt. Beim Weltturnverband gibt es nach Boumpane eine Gruppe von mehreren Personen, die auf der Grundlage dieses Berichts den neutralen Status der Athletinnen und Athleten erteilen oder ablehnen.

Melnikowa ist bereits in Esslingen

Melnikowa, die laut der Deutschen Turnliga eine Startkarte besitzt, hält sich bereits in Esslingen auf. In ihrer Instagram-Story zeigte sich die Turnerin am Donnerstag beim Spaziergang durch die Altstadt. Nach SWR-Informationen war die Russin am Mittwoch von Moskau über Istanbul nach Stuttgart angereist. Laut DTL besitzt sie bereits seit längerer Zeit ein Schengen-Visum, das sie zur Einreise berechtigt. Das Auswärtige Amt teilte auf SWR-Anfrage mit, dass dieses Visum nicht von einer deutschen Behörde ausgestellt wurde. Die EU-Kommission hatte erst vor wenigen Tagen verkündet, die Bedingungen für die Visa-Vergabe an russische Staatsbürger seien verschärft worden. Dies sei ein notwendiger Schritt für mehr Sicherheit.

Gastgeber Berkheim ist „hin- und hergerissen“

Das zuständige Polizeipräsidium Reutlingen teilte SWR Sport mit, man werde die Veranstaltung in der Halle in Esslingen-Weil wohl mit einer Polizeistreife sichern. Demonstrationen gegen Melnikowas Auftritt seien bislang nicht angemeldet. Der Ausrichter-Verein TSV Berkheim hatte auf seiner Facebook-Seite die Teilnahme Melnikowas vor wenigen Tagen als „sportlichen Hammer“ bezeichnet und warb mit einem Foto der 25-Jährigen. Inzwischen ist man sich aber auch der politischen Dimension bewusst. Vereinssprecher Holger Bentzien sagte den Stuttgarter Nachrichten, es sei eine zweischneidige Geschichte und man sei hin- und hergerissen, und fügte hinzu: „Sie ist eine umstrittene Persönlichkeit.“

Sendung am Sa., 15.11.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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