Jan Böhmermann ist für seine provokanten Aktionen und Kritik an Politik, Medien und gesellschaftlichen Missständen bekannt. Doch der Mann, der für Schlagzeilen und Skandale sorgt, wirkt im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ nachdenklicher als gewohnt. In einem langen Interview spricht er über die digitale Welt, die Rolle der Medien, die AfD und die Gefahren, die er für die Demokratie sieht.

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In diesem Sommer startete Böhmermann eine außergewöhnliche Aktion: Sechs Tage lang fuhr er mit einem Elektroroller von Köln nach Chemnitz – quer durch Deutschland, mit maximal 20 Stundenkilometern, ganz ohne Eile. „Ich wollte dahin, wo die Kommentare sind! Und ich wollte klar dieser komischen Angst begegnen, die einen befallen kann, wenn man zu viel in der digitalen Welt unterwegs ist“, sagt er. Für ihn war es ein Versuch, die Verzerrung durch die sozialen Medien zu überprüfen. „Und wenn man in dieser Geschwindigkeit unterwegs ist, also Fahrradgeschwindigkeit, faltet sich das Land toll auf. Man sieht Menschen – keine Avatare. Und man merkt, das möchte ich sagen, weil es mir wirklich wichtig ist: Deutschland ist viel freundlicher, als man online glauben könnte.“

Teenage students are standing in the school hallway, all looking at their phones.

Soziale Medien als Ursache für gesellschaftliche Spaltung

Die sozialen Medien sieht Böhmermann als zentrale Ursache für gesellschaftliche Spaltung und die Verbreitung von Hass. „Die digitale Welt hat ihre vollkommen eigene Physik: Sie erzeugt Wut – aus dem einzigen Grund, dass sie genau davon lebt.“

Jan Böhmermann

Er selbst hat daher seine Aktivität auf Twitter stark zurückgefahren und beschreibt, wie wenig es ihm inzwischen bedeutet: „Gelegentlich schreibe ich auf X Wörter wie ‚Aktivität‘ oder ‚Dunkelheit‘ – für den Algorithmus. Aber ich bin dort schon lange nicht mehr aktiv.“

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Böhmermann kritisiert Doppelmoral von Wolfram Weimer

Böhmermann betont, dass die sozialen Medien dringend reguliert werden müssen. „Man muss diese Plattformen zwingend regulieren und als das behandeln, was sie sind: Medienkonzerne, Verlage, die gewerbsmäßig Inhalte verbreiten. Und bis es so weit ist, oder wenn man das nicht so schnell schafft, dann sollten wenigstens Politiker, Abgeordnete und Minister, Behörden, alle staatlich finanzierten Institutionen dort umgehend raus!“ Es sei kein Wunder, dass die AfD gegen eine solche Regulierung sei. „Wenn Sie sich nun ansehen, wer sich einer Regulierung der Tech-Giganten widersetzt, dann ist da immer die AfD an erster Stelle“, so Böhmermann. „Die Rechtsextremen wissen genau, was sie an X, am großen Deutschland-Investor Google und Co haben.“ 

Besonders kritisch äußert sich der Satiriker über Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, mit dem er in einem Punkt politisch übereinstimmt – aber dessen Handlungen für ihn einen Eindruck von Doppelmoral erwecken. „Wolfram Weimer sagt, die sozialen Medien müssen reguliert werden. Völlig richtig! Gleichzeitig benutzt er die digitalen Empörungsmechanismen, um autoritäre Politik zu machen. Er redet öffentlich von ‚Zwangsgebühren‘ und bedient damit genau die Wutwelt, die unsere Demokratie aushöhlt.“ Dieser scheinbare Widerspruch bringt Böhmermann zum Nachdenken: „Er gibt vor, gegen die Macht der Netzwerke durchgreifen zu wollen, nutzt aber deren zerstörerischen Algorithmus, um Reichweite zu bekommen. Das ist Feuer löschen mit Benzin.“

Gedenken 9. November - Bundespräsident

Böhmermann: „Wir sind doch keine Weicheier!“

Die AfD – auch hier bezieht Böhmermann eine klare Position. „Unbedingt!“, sagt er, als er gefragt wird, ob er für ein Verbot der Partei wäre. Auch hier geht Böhmermann hart ins Gericht, dieses Mal mit der Union. Der Umgang der Union mit der AfD sei „schizophren“. Für Böhmermann verläuft die entscheidende Grenze nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen demokratisch und totalitär: „Ich fühle mich ganz wohl mit dem Gedanken, ein radikaler Demokrat zu sein. Wir sollten den Rücken durchdrücken – immer in Kooperation. Aber einige Demokraten scheinen vor den Rechten lieber zu kuschen, als Haltung zu zeigen. Wir sind doch keine Weicheier!“

fmg/sh