Reinhard Meys Lieder sind von Kritikern oft als harmlos und freundlich bezeichnet worden. Nett war das in der Regel nicht gemeint. „Brutaler Song, Alter“ sagt der Offenbacher Rapper Haftbefehl über Meys Lied „In meinem Garten“ in dem Dokumentarfilm „Babo: The Haftbefehl Story“, der in Deutschland die Streamingcharts bei Netflix anführt. Die anrührende Szene gegen Ende des Films, in der der schwer suchtkranke Haftbefehl über die Liebe zu seinen Kindern spricht und dann mit brüchiger Stimme Meys Lied über die Furcht vor dem Verlust einer Liebe mitsingt, hat dem 82 Jahre alten Liedermacher einen unvorhersehbaren Erfolg beschert. 55 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist „In meinem Garten“ zur höchsten Chart-Platzierung Meys aufgestiegen.
Dieser Superlativ ist jedoch irreführend. Denn Reinhard Mey hat in den fast sechzig Jahren seiner Laufbahn unzählige Lieder geschrieben, deren Wirkung den Maßstab aller Verkaufs- oder Streamingranglisten sprengt. Manche, wie „Über den Wolken“, sind bundesrepublikanische Volkslieder geworden. Einzelne Titel und Textzeilen aus Meys Repertoire sind als Redensarten in den Sprachgebrauch eingegangen. Vielen seiner Zuhörer sind Meys Lieder zu Begleitern durch alle Lebenslagen geworden. Er hat seit Jahrzehnten ein treues Publikum, das aber nicht mit ihm altert, sondern sich ständig erneuert: Zu seinen Konzerten, bei denen er allein mit seiner Gitarre auf der Bühne steht, kommen Menschen aller Altersgruppen.
Liebe, Tod und Trauer, Verlust und Verletzung
Der Ruf der Biederkeit wurde Mey schon in den Anfängen seiner Karriere Ende der sechziger Jahre angeheftet. Im Gegensatz zu den meisten deutschsprachigen Liedermachern sang er damals nicht über Politik, sondern über Privates. In einer politisch aufgeheizten Zeit war das eine programmatische Verweigerung: „Rechnet nicht mit mir beim Fahnenschwenken / Ganz gleich welcher Farbe sie auch seien“, sang er.
Viele von Meys frühen Erfolgen waren humoristische Lieder wie „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Doch ein Thema, das sich neben der Liebe wie ein roter Faden durch sein ganzes Werk zieht, ist die Beschäftigung mit Tod und Trauer, Verlusten und Verletzungen. Sein Ton ist dabei stets dem Leben zugewandt, er sucht Halt in den kleinen Dingen des Alltags. Das ist auch in jenen Liedern zu spüren, die nach dem Tod seines Sohnes Max im Jahr 2014 entstanden sind, des mittleren seiner drei Kinder. Vielleicht ist die Fähigkeit, dafür die passenden Worte zu finden, das eigentliche Geheimnis des dauerhaften Erfolgs von Reinhard Mey. Und der Grund dafür, dass Mey den als Künstler ganz anders funktionierenden Haftbefehl so berühren konnte – und damit Zugang zu einem neuen Publikum findet.