Angesichts des gigantischen Erfolges der Popband ABBA wird manchmal vergessen, dass jedes ihrer Mitglieder auch schon vor Gründung dieser „Supergroup“ eine Karriere oder gar ein Werk hatte. Anni-Frid Lyngstad hatte außerdem schon zwei Kinder und war geschieden, als sie 1968 erstmals Benny Andersson traf, der ihr zweiter Ehemann und musikalischer Chef von ABBA werden sollte. Vorher wurde er aber erst einmal ihr Musikproduzent. Die Tochter einer Norwegerin und eines deutschen Wehrmachtssoldaten war als Kind nach Schweden gekommen und gelernte Schneiderin, entdeckte dann aber ihr Talent zum Singen zu Unterhaltungsmusik und Jazz.
Auf die Mischung aus Folklore und Schlager, die Agnetha Fältskog zur selben Zeit in Schweden berühmt machte, setzte Lyngstad anfangs ebenfalls. Die Stadtflucht, ein beliebtes Folkthema um 1970, ist als Ideal ihrer 1972 veröffentlichten Single „Man vill ju leva lite dessemellan“ („Man will ja zwischendurch auch etwas leben“) herauszuhören, bei der sie zur zwölfsaitigen Gitarre über das Hamsterrad der modernen Arbeitswelt singt, bevor es zum Schunkelrefrain kommt. Dieses Schlagerhafte eignet auch manchen der ABBA-Songs, die sie dann an der Seite von Fältskog, Benny Andersson und Björn Ulvaeus weltberühmt machen sollten – aber erst in der Mischung aus Anderssons melodischen Geniestreichen und Ulvaeus’ melancholischen Texten wurden sie so charakteristisch: etwa „Dancing Queen“, „Super Trouper“, „SOS“ und noch viele mehr.
Nach ABBA und Trennung: Tiefe Atemzüge
Kaum zehn Jahre dauerte die Hochphase von ABBA, dann löste sich die Band auf, und beide Paare waren wieder geschieden. Frida, wie sie auch oft genannt wird, setzte danach ihre Solokarriere fort und nahm 1982 ein Album mit Phil Collins als Produzent auf, das auch ein Duett mit ihm enthielt („Something’s Going On“). Es folgte ein weiteres Album („Shine“, 1984) und nach einer Pause die Rückkehr zum Singen auf Schwedisch: „Djupa andetag“ („Tiefe Atemzüge“, 1996).
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So wie sie bei ABBA nicht zuletzt mit den legendären Katzenkleidern Maßstäbe setzte (was selbst eine feministische Pop-Kritikerin anerkennen musste, die diese für einen „stilistischen Albtraum“ hielt), tat Lyngstad es auch als emanzipierte Solokünstlerin mit teils androgynem Auftreten. Dann zog sie sich vom Musikgeschäft zurück. Zu lesen war von ihr in Gesellschaftsteilen, weil sie einen deutschen Adligen heiratete und nun mit einem englischen zusammenlebt.
Sie wolle ABBA ruhen lassen, hat sie einmal gesagt, und für die Bühne gilt das bis heute, während im Studio das erstaunliche Comeback-Album „Voyage“ (2021) nach vierzig Jahren die Band noch einmal zusammenbrachte und man diese virtuell in einem eigenen Londoner Theater täglich als „Abbatare“ aus dem Jahr 1979 singen und tanzen sieht. Die echte Anni-Frid Lyngstad wird am heutigen Samstag achtzig Jahre alt.