Kiel. Die Schlagzeilen schreien es von der Videoleinwand: Nichts weniger als „Die Bromance des Jahres“ wird da verkündet. Gemeint sind der Medienmogul Orgon und sein neuester Männerfreund: Tartuffe. Orgon, selbst Familienpatriarch, ist ganz high von dem Blender. Hat ihn in sein Haus aufgenommen, will sogar seine Tochter Mariane mit ihm verheiraten. „Tartuffe oder von der Lust, sich manipulieren zu lassen“ hat das Theater DeichArt seine Uraufführung genannt, die am Freitag im immer wieder lässigen Ambiente der ausverkauften Backbordbar des Maritim Hotels Kiel rasant über die Bühne ging.

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Das Tartuffe-Ensemble agiert mit großer Körperlichkeit und Präsenz

Als Reality-Show „Die Orgons“ führt sich die Familie („wir sind steinreich und privilegiert“) zur TV-Show-Musik in glitzernden Dinnerjackets selbst ein. Fortan wird immer wieder in imaginäre oder reale Kameras gesprochen. Die Kardashians dieser Welt lassen grüßen. Da ist der „Cheffe“, wie Dienstmädchen Dorine Orgon flapsig nennt. Von Tom Keller als ambivalenter Kraftkerl gespielt, der sich nur zu gern von Tartuffe einschleimen lässt.

Eirik Behrendt betritt in der Rolle dieses Tartuffes nicht einfach das mittige Bühnenrund, er paradiert in eine Arena. Orgons Pelzmantel, den er sich einfach genommen hat, trägt er auf der nackten, goldbehängten Haut. Ganz der Gangsta-Rapper. Und ein Männlichkeitsfanatiker. Auch hier sind die Bezüge zur Realität angesichts eines Donald Trumps und diverser ihn hofierender Tech-Milliardäre unübersehbar. Ein satirisches Vergnügen ist es, wenn Orgon und Tartuffe sich in abstrusen Bromance-Ritualen gegenseitig in die Sixpacks boxen.

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Wir sind steinreich und privilegiert.

Familie Orgon

stellt sich so dem Publikum vor

Ganz anders dagegen die Frauen des Hauses: Anne Clausen ist die versnobte reiche Unternehmergattin Elmire, die zwar durchaus auch einen klitzekleinen Reiz durch Tartuffe verspürt, deren Widerwillen über seine neue Vormachtstellung in ihrer Familie aber deutlich überwiegt. Zumal Tartuffe vorgibt, die Tochter des Hauses heiraten zu wollen, zugleich aber Elmire nachstellt.

Ganz geerdet dagegen steht Johanna Kröner als Dienstmädchen Dorine im Leben: Mit Ruhrpottslang, loser Zunge und Mutterwitz pariert sie Tartuffs Gehabe. In ihrer zweiten Rolle als punkige Tochter Mariane gibt Kröner – anders als in Molières Original – eine selbstbewusste junge Frau ab, die sich nicht einfach in ihr Leben pfuschen lässt. Das ganze Ensemble agiert mit großer Körperlichkeit und Präsenz, wenn sich die Protagonisten becircen, rangeln, die Stirn bieten.

Originalverse Molières verschränken sich mit DeichArts eigenen Texten und Songs

Die beiden Autorinnen Anne Clausen und Anne Spaeter – letztere hat auch die Regie übernommen – haben Molières vielfach gespielte Komödie aus dem 17. Jahrhundert in eine schillernde, hoch unterhaltsame Gesellschafts- und Mediensatire überführt, ein Tartuffe 2.0 mit Sex, Lügen und Videos. Originalverse von Molière verschränken sie geschickt mit eigenen Texten, teils ebenfalls in Versform, und der Mix funktioniert ganz wunderbar. Vorangetrieben wird die Handlung durch die Dynamik aufgeheizter Schlagzeilen und gestreuter Fake News, die immer wieder auf der Leinwand eingeblendet werden und neue Realitäten schaffen.

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Eine weitere Ebene erhält das Stück durch Musik und Show-Elemente, wenn Orgon und Tartuffe im Duett „How Deep Is Your Love“ von den Bee Gees säuseln, Tartuffe seinen Größenwahn rappt oder Mariane ihren Frust herauslässt. Die Gesangstexte, sofern keine Cover, stammen ebenfalls von Anne Clausen und Annes Spaeter, die Musik von Tom Keller und Eirik Behrendt. Eine echte Gemeinschaftsproduktion und ein blitzschnelles und blitzgescheites 100-minütiges Vergnügen, das am Ende gefeiert wurde.

Nächste Vorstellungen: 28.11., 29.11., 11.12., 12.12., 20 Uhr, Backbordbar Maritim Hotel, Kiel, Bismarckallee 2, Karten: 0431 901 901

KN