Was es mit medizinischen Leistungen wie der Mosbacher Arztpraxis im Kaufland auf sich hat – und was Stuttgarter Experten dazu sagen.

In Deutschland fehlen Ärzte, vor allem auf dem Land. Allein in Baden-Württemberg stehen schon jetzt um die 1000 Hausarztpraxen leer, in Stuttgart sind es mehr als 60 – Tendenz steigend. Denn zwei Drittel aller praktizierenden Hausärzte sind nach Angaben des Branchenverbands über 60 Jahre alt. „Sie gehen bald in Rente und finden keine Nachfolger“, sagt Mark Dominik Alscher, Chef des Robert Bosch Krankenhauses in Stuttgart. Was also tun? „Das alte System kann die gesundheitliche Versorgung der Menschen nicht mehr lang flächendeckend garantieren“, so Alscher. Auch finanziell stoße man an Grenzen. „Wir müssen uns somit Neues überlegen.“

Innovative Konzepte kommen derzeit von Unternehmen, die den Kunden bisher auf ganz anderen Bereichen bekannt waren: Supermärkte, Discounter und Drogeriemärkte – die darin offensichtlich ein potentiell lukratives Geschäft entdeckt haben – dringen in die medizinische Versorgung vor oder denken zumindest darüber nach. Im nordwürttembergischen Mosbach hat nun in einer Kaufland-Filiale ein sogenannter „S | Medical Room“ eröffnet. Patienten können dort per Video mit Ärzten sprechen.

Welche Angebote gibt es derzeit bei Kaufland?

Viele kennen es: Wer einen neuen Kinder- oder einen Hausarzt sucht oder einen Termin beim Facharzt braucht, hat es teils schwer. Oft muss man monatelang warten – oder kommt gar nicht unter. Zwischen Käsetheke, Pfandautomat und Kassen könnte aber eine Antworten auf den Arztmangel zu finden sein.

Denn die Supermarktkette Kaufland, die zur Schwarz-Gruppe (Lidl) gehört, bietet in einer Filiale in Mosbach nun Videosprechstunden an – bundesweit einmalig, wie Kaufland sagt, als Modellprojekt und in Kooperation mit der privaten Klinikgruppe Sana. „Sana betreibt das Angebot in Zusammenarbeit mit dem S | Medical Center in Neckarsulm, wo Ärzte verschiedener Fachrichtungen unter dem Dach des Sana Medizinischen Versorgungszentrums am Stiftsberg ansässig sind“, heißt es auf Anfrage von der Kaufland-Pressestelle.

Welche Angebote gibt es derzeit bei dm?

Auch beim Drogeriemarkt dm sind inzwischen Gesundheitsleistungen im Angebot. Seit Anfang August 2025 können Kunden in den Märkten verschiedene Tests machen lassen: ein Augenscreening (der Kooperationspartner ist hier Skleo Health), eine KI-gestützte Hautanalyse (vom Partner Dermanostic) und ein Online-Hautarzt sowie eine Auswahl an Bluttests mit dem Dienstleister Aware Health, der das Blut dann an verschiedene Labore zur Analyse schickt.

Noch in diesem Jahr plant das Unternehmen zudem den Start einer Versandapotheke für rezeptfreie Medikamente und apothekenexklusive Kosmetik. „Die Gesunderhaltung der Menschen ist seit jeher eine unserer drogistischen Kernkompetenzen“, sagt dm-Geschäftsführer Sebastian Bayer. Entsprechend seien Gesundheitsprodukte schon lang ein fester Bestandteil des Sortiments – etwa mit freiverkäuflichen Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln. „Zurzeit ergänzen wir unser Sortiment um Gesundheitsdienstleistungen. Wir möchten Menschen ein niederschwelliges Angebot zur Gesundheitsvorsorge ermöglichen.“

Auch Lidl und Rossman planten ähnliche Angebote, ist zu hören. Auf Anfrage heißt es aus der Pressestelle von Rossmann: „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns nicht weiter äußern können – es handelt sich um wettbewerbsrelevante Informationen.“

Welche Städte sind dabei?

Bisher ist Kaufland damit nur in Modbach vertreten. „Wir sammeln dort Erfahrungen, wie unsere Kunden das Angebot annehmen und wie sich das Modell im Alltag bewährt“, teilt Michael Strothoff von der Kaufland-Unternehmenskommunikation mit. „Die Ergebnisse dieses Praxistests werden uns zeigen, ob und unter welchen Bedingungen eine Ausweitung des Konzepts auf andere Standorte sinnvoll ist.“

Bei dm heißt es: „Das Augenscreening bieten wir in vier dm-Märkten in Düsseldorf, Köln, Aachen und Bad Münstereifel an. Ein weiterer dm-Markt nahe Karlsruhe folgt noch.“ Die KI-Hautanalyse habe man mit Märkten an den Standorten Karlsruhe, Düsseldorf, Berlin, Münster und Braunschweig gestartet. Blutanalysen würden in je einem Markt in Karlsruhe und Konstanz durchgeführt. „Nach und nach werden wir den Service in drei weiteren dm-Märkten implementieren.“

Ob auch Stuttgart oder Städte in der Region als neue Standorte vertreten sein werden, kann das Unternehmen genauso wenig sagen wie Kaufland. Obwohl in Stuttgart mehr als 60 Hausarztpraxen nicht besetzt sind, und es somit nicht einfach ist, als Neupatient aufgenommen zu werden, heißt es also abwarten.

Wie werden Patienten im Kaufland versorgt?

Einen Termin bucht man online über die Website des „S | Medical Room“ – am PC oder über das Smartphone. Oder auch direkt vor Ort, alleine oder mit Hilfe eines Mitarbeiters. Dann wird eingecheckt – und danach können sich Patienten in einem kleinen schalldichten Raum per Video mit dem Arzt unterhalten und auch Rezepte bekommen. Zudem betreuen medizinische Fachangestellte die Patienten vor Ort, sie messen den Blutdruck oder machen ein EKG. Akzeptiert werden alle gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen.

Voraussetzung bei den Untersuchungen sei, „dass die Beschwerden telemedizinisch beurteilt werden können“, betont Jonas Ehmig, Sana-Mitarbeiter und Co-Geschäftsführer des „S | Medical Rooms. Husten gehöre dazu, Schnupfen und Heiserkeit – Krankheiten also, bei denen der Arzt nur kurz prüfen und ein rezeptfreies Medikament empfehlen sollte. Notfälle können nicht behandelt werden. Und: „Neupatienten erhalten zum Beispiel keine Medikamente gegen hohen Blutdruck und kein Antibiotikum gegen einen starken Infekt“, so Ehmig weiter. „Dafür braucht es den direkten Kontakt.“ Auch diesen könne das Mosbacher Angebot nach einer ersten Einschätzung herstellen.

Wie werden Patienten bei dm versorgt?

Das Augenscreening führen speziell vom Kooperationspartner Skleo Health geschulte dm-Mitarbeitende durch. „Zum einen werden die Augen mithilfe einer KI auf Auffälligkeiten geprüft, und zudem werden alle Netzhautaufnahmen einzeln von Fachärzten für Augenheilkunde überprüft“, sagt Geschäftsführer Bayer. Man informiere transparent darüber, dass es sich um ein Screening handle, das letztlich keine augenärztliche Untersuchung ersetzt.

Die KI-gestützte Hautanalyse kann man an einem Terminal im Markt oder online daheim machen. Bayer betont: „Es handelt sich hierbei nicht um eine medizinische Untersuchung oder Diagnose.“ Man ermittle so lediglich den Hauttyp und Hautzustand, etwa um Tipps zur Pflege zu geben. Davon getrennt sei „die telemedizinische Behandlung über unseren Partner dermanostic. Diese wird ausschließlich von erfahrenen Fachärzten für Dermatologie durchgeführt – vergleichbar mit einer regulären Hautarztpraxis“, so Bayer. „Sollte der Verdacht auf eine ernsthafte oder bösartige Hauterkrankung bestehen, verweisen sie an einen Hautarzt vor Ort“. Man müsse sich aber darüber im Klaren sein, dass Fotos allein zur abschließenden Beurteilung von Muttermalen nicht ausreichen.

Für die Blutanalysen ist eine venöse Blutabnahme im Markt nötig. Die erfolgt durch Fachkräfte des Partners Aeware, meist handelt es sich hierbei laut Bayer um Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker: „Das Ganze findet räumlich getrennt von der Verkaufsfläche statt.“

Entstehen Kosten – und zahlen die Kassen?

„Die Kosten für die hausärztliche Videosprechstunde werden in der Regel von den Krankenkasse übernommen“, heißt es bei Kaufland. Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die über die Grundversorgung hinausgehen, müssen jedoch wie beim Hausarzt selbst bezahlt werden – in diesem Fall vor Ort und ausschließlich per Karte.

„Bei dem Angebot in der Mosbacher Kaufland-Filiale handelt es sich nach unserer ersten Einschätzung um ein reguläres Versorgungsangebot im Rahmen der geltenden zulassungsrechtlichen Bestimmungen“, sagt auch ein Sprecher der AOK Baden-Württemberg. Obwohl der Ort der Leistungserbringung und die Fokussierung auf Videosprechstunden „ungewöhnlich für eine haus- oder fachärztliche Praxis sind“, gelte dort der allgemeine Leistungsanspruch der Versicherten. Der Sprecher betont ebenfalls: „Selbstzahlerleistungen wie beispielsweise bestimmte Blutanalysen oder Hautscreenings außerhalb der anerkannten Krebsvorsorge“ würden nicht übernommen.

Bei dm hingegen sind fast alle Leistungen kostenpflichtig. „Nur die KI-Hautanalyse ist für Kundinnen und Kunden kostenfrei“, sagt Geschäftsführer Bayer. Die Preise für den Online-Hautarztservice „hängen von der Art des Pakets ab und beginnen bei 28 Euro im Basis-Paket“. Die Kosten für den Sehtest und die Netzhautfotografie betragen laut Bayer 14,95 Euro. Ein großes Blutbild etwa kommt auf 9,95 Euro. Weitere Kosten entstehen dann je nach Umfang der weiteren gebuchten Pakets.

Wie schätzen Experten die Angebote ein?

Der Hausärzteverband Baden-Württemberg sieht in dem Mosbacher Projekt eine sinnvolle Ergänzung für Regionen, in denen die medizinische Versorgung dünner wird. „Neue Angebote müssen unbedingt an die Hausarztpraxen angebunden sein“, schränkt die Landesvorsitzende Susanne Bublitz, Hausärztin in Pfedelbach (Hohenlohekreis), ein. Gute Versorgung gelinge immer dann, wenn sie kontinuierlich sei. „Das heißt, wenn in der Hausarztpraxis alle Fäden zusammenlaufen und die Versorgung koordiniert wird. Zusätzliche Anlaufstellen allein führen nicht zu einer besseren Versorgung.“ Arbeite ein Angebot wie in Mosbach mit einem Versorgungszentrum oder einer Praxis in der Umgebung zusammen, könne das vor allem älteren Menschen helfen, selbstständig zu bleiben – und den Zugang zur medizinischen Versorgung spürbar erleichtern.

Auch Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Robert Bosch Krankenhauses in Stuttgart (RBK), hat „eine große Offenheit gegenüber solchen Angeboten“. Wegen des Ärztemangels müsse unter anderem die telemedizinische Versorgung ausgebaut werden. Voraussetzung dafür sei aber die Gewährleistung von fachlicher Kompetenz: „Das Patientenwohl und die Einhaltung von Qualitätskriterien müssen im Mittelpunkt stehen.“ Wildwuchs, zumal ohne Wissen darüber, wer genau hinter den Angeboten steckt, dürfe es nicht geben. Das Angebot von dm hält er daher „für schwieriger“.

Ähnliche Kooperationen seien vom RBK derzeit nicht geplant – aber man habe auf dem Sektor hohe Kompetenz: „Wir waren vor fast 20 Jahren mit die ersten, die gemeinsam mit der Berliner Charité bundesweit in die telemedizinische Versorgung eingestiegen sind.“

Die AOK Baden-Württemberg ist ebenfalls „grundsätzlich offen gegenüber neuen, innovativen Formen der ärztlichen Versorgung“ – sofern sie mit einem „erkennbaren Mehrwert für unsere Versicherten verbunden sind“. Mit Blick auf Probleme beim „wohnortnahen Zugang zur ambulant-ärztlichen Versorgung“ sei der der Ausbau digitaler und telemedizinischer Angebote sinnvoll.