Diese Ballnacht ist nicht so steif wie in früheren Jahren. Fröhlich und beschwingt geht’s zu in der Liederhalle. Beim 28-jährigen Stargast Kamrad werden selbst reifere Semester zu wild hüpfenden Rockfans und drücken nach vorne zur Bühne. „Das war unser bester Topact seit vielen Jahren“, jubelt der DJV-Landesvorsitzende Markus Pfalzgraf. Doch über dem Who’s who aus Medien, Politik und Wirtschaft liegt eine bange Frage: Ist’s gar der letzte Landespresseball?
„Der Ball steht auf der Kippe“: Zukunft des Landespresseballs ungewiss
Rafael Binkowski, der Vorsitzende der Landespressekonferenz, macht deutlich, dass eine schwierige Entscheidung ansteht. „Der Ball steht auf der Kippe“, sagt er. Steigende Kosten, immer weniger Besucher, sinkende Erlöse für Pressestiftung und Sozialfonds – eine schwierige Gleichung. Die Abrechnung des Abends steht noch aus. Man habe den Ehrengästen (etwa den Fraktionsvorsitzenden im Landtag) wie immer Freikarten geschickt, aber mit dem Appell versehen, für die Pressestiftung zu spenden. Nun müsse man abwarten, was für eine Summe von der Politprominenz überwiesen werde. Erst dann werde die Ballkommision beraten, ob es weitergeht. Binkowski rechnet mit einer Entscheidung im Dezember.
„Die Erlöse werden immer geringer“, sagt Pfalzgraf, während die Stimmung immer besser werde. In aller Ruhe müsse man nun abwägen, ob sich der hohe Aufwand noch lohne. Vor Corona kamen um die 2000 Gäste, jetzt sind es noch 1500. Die Pressestiftung hat früher individuell Medienschaffenden in Not geholfen, jetzt liegt der Fokus mehr darauf, in die breite Gesellschaft hineinzuwirken und die Demokratie zu stärken.
Hagel und Özdemir einig: Landespresseball muss bleiben
Manuel Hagel und Cem Özdemir, die Spitzenkandidaten der CDU und der Grünen für das Amt des Ministerpräsidenten, sind sich in einem Punkt völlig einig: Die jahrzehntelange Tradition des Balls sollte weitergeführt werden – im Interesse der Stadt, der Medien und einer lebendigen politischen Kultur. Und beide wollen im nächsten Jahr als Regierungschef und Schirmherr das gesellschaftliche Topereignis von Baden-Württemberg mit einem Walzer eröffnen.
Strobl eröffnet Ball mit Schlegel: Henkel-Waidhofer kontert spitz
Weil Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem seit 2011 traditionell der erste Walzer des Abends gehört, krankheitsbedingt fehlt, fällt einem anderen politischen Schwergewicht die Rolle des Eröffners zu: Innenminister Thomas Strobl (CDU) tanzt mit der Journalistin Barbara Schlegel. Eigentlich hätte die langjährige LPK-Journalistin Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer an ihrer Seite stehen sollen. Sie nahm den von Strobl gewünschten Partnertausch gelassen, aber nicht ohne Spitze: „Ich hätte mit ihm getanzt“, sagt sie, „aber Herr Strobl wollte mit mir nicht.“
Politisch liegen die beiden eben weit auseinander – doch beim Landespresseball, da sind sich alle einig, sollten Differenzen ruhen.
Hagel und Özdemir glänzen auf dem gesellschaftlichen Parkett
Der Blick ist an diesem Abend besonders auf zwei Männer gerichtet: Sowohl Manuel Hagel als auch Cem Özdemir machen eine gute Figur auf dem gesellschaftlichen Parkett. Der 37-jährige Hagel legt sich ins Zeug – und ist auf dem roten Teppich sogar der Einzige, der seine Frau Franziska Hagel für die Fotografen auf den Mund küsst.
Özdemir zeigt dagegen seine verletzten Finger, die nach einem Unfall beim Handballspiel mit einem Tape verbunden sind. Damit kann er niemanden die Hand geben und bittet um Entschuldigung dafür. Mit seiner Partnerin Flavia Zaka tanzt er, auch Free Style im Foyer, wo es bei DJane Alegra Cole voll abgeht, sowie weit nach Mitternacht in der Bar Equipe, ganz unten in der Liederhalle. „Ich hab nur die Finger gebrochen, nicht die Beine“, sagt er schmunzelnd.
Hagel und Özdemir wollen Landespresseball 2026 eröffnen
Auf die Frage, ob sie den nächsten Landespresseball eröffnen wollten, reagieren beide augenzwinkernd. Hagel: „Ob ich es darf, müssen die Wähler entscheiden – aber ich hab richtig Lust drauf.“ Özdemir nickt: Auch er würde das Ehrenamt gern übernehmen.
Ein witziger Vorschlag kommt von Regierungssprecher Matthias Gauger. Auf dem Foto mit Wissenschaftsministerin Petra Olschowski. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Den scherzhaften Vorschlag von Regierungssprecher Matthias Gauger, beide könnten wegen Kretschmanns Krankheit doch gemeinsam den Eröffnungswalzer tanzen – dies wäre ein bundesweit beachtetes Bild, das für Diversität und Fairness im Wahlkampf stünde –, nehmen sie mit Humor. Der Grüne, der bei der CSD-Politdemo Stammgast auf dem VfB-Truck ist, antwortet prompt: „Warum nicht?“ Hagel lässt sich dagegen die Option offen: „Ich denke darüber nach.“
Hagel und Özdemir: Unterschiedliche Familienauftritte beim Ball
Offen, charmant, jederzeit ansprechbar, witzig sind beide Spitzenkandidaten an diesem Abend. Und doch gibt es einen Unterschied. Manuel Hagel, 37, muss mit seiner Frau kurz nach Mitternacht aufbrechen, um das Kindermädchen abzulösen. Seine Familie übernachtet im benachbarten Maritim-Hotel. Cem Özdemir, 59, hingegen bringt seine Kinder mit zum Ball: Die erwachsene Tochter kommt mit ihrem Freund, während der jüngere Sohn früh geht.
Medienvielfalt als Grundbedingung für Demokratie betont
Trotz der Freude am Feiern geht es in dieser Nacht auch um die Rolle der Medien. Zum zweiten Mal findet die Presse-Lounge für Medien und Politik statt, diesmal im größeren Silchersaal. Die Botschaft: Journalismus muss raus aus den „Bubbles“, mitten hinein in gesellschaftliche Debatten.
Jens Schmitz, der Vorsitzende der Pressestiftung, kündigt sogenannte Bürgerforen an, mit denen man im nächsten Jahr Wünsche an die Politik einsammeln wollte. DJV-Landesvorsitzender Markus Pfalzgraf sagt: „Medienvielfalt ist nicht ein nettes Extra, sondern eine Grundbedingung für die Demokratie.“ So sieht es auch Holger Paesler, der Geschäftsführer beim Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger.
LPK-Vorsitzender Rafael Binkoswki formuliert es so: „Gerade in dieser Zeit ist es umso wichtiger, dass Journalisten das tun, was nur sie können: kritisch, unabhängig und mit der nötigen Zeit zu recherchieren, unbequeme Fragen zu stellen.“ Diese könne keine KI, kein Fake-News-Portal. „Echte Begegnungen, echte Geschichten – das ist unsere Kernaufgabe.“
Nachts um 3 Uhr in der Equipe-Bar des Landespresseballs: Stargast Kamrad (links) mit Magier Thorsten Strotmann. Foto: Chlouba Kamrad begeistert mit rockigen Hits beim Landespresseball
Die 1500 Gäste erleben eine Ballnacht, von der viele sagen, sie sei besser als früher. „Wir hatten eine hohe Promidichte und eine gute Mischung der Gesellschaft“, sagt der LPK-VorsitzendeBinkowski. Auf der Bühne begeistert Shooting-Star Kamrad, der direkt von der Bambi-Verleihung angereist ist. Seine rockig gespielten Hits reißen selbst ältere Gäste mit – selbst die, die ihn vorher nicht kannten.
Bis tief in die Nacht wird gefeiert. Noch um drei Uhr morgens trifft man Kamrad gut gelaunt in der Bar Equipe in der Liederhalle, wo Magier Thorsten Strotmann ihn mit einem Kartentrick verblüfft. Es war Kamrads erster Ball – und der hat ihm so richtig gut gefallen: Erst um 5 Uhr, so wird anderntags berichtet, sei der Sänger ins Maritim-Hotel gegangen.
Stuttgarts Finanzsorgen sind Thema beim Landespresseball
Außerdem gesehen: Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mit ihrem Mann, Finanzminister Danyal Bayaz, Oberbürgermeister Frank Nopper mit Ehefrau Gudrun – gut gelaunt, aber mit den Sorgen seiner Stadt im Hinterkopf. Die sinkenden Gewerbesteuereinnahmen belasten Stuttgart erheblich. Die Bitte, die Stadt möge die Miete der Liederhalle für den Presseball senken, dürfte in dieser Situation wenig Aussicht auf Erfolg haben.
Kaum einer will sich vorstellen, dass es der letzte Persseball war
Es ist eine Nacht der guten Laune, des Lachens, der Begegnungen über politsche Grenzen hinweg. Politische Gegner kommen sich menschlich näher. Auch der AfD-Fraktionsvorsitzende Anton Baron ist unter den Gästen. Nicht gesehen wird der AfD-Spitzenkandidat Markus Frohnmaier. CDU-Landeschef Manuel Hagel macht auch in der Party-Nacht klar: Er pocht auf eine klare Abgrenzung zur AfD, will aber deren Wähler „zurück in die Mitte“ holen.
Weil die meisten Gäste so viel Spaß haben, mag sich kaum jemand vorstellen, dass es der letzte Presseball in der Liederhalle gewesen sein könnte. Genaueres wird man wohl erst im Dezember erfahren, wenn die Ballkommision entscheidet, ob sich die vor allem vom Ehrenamt getragene Benefiz-Veranstaltung noch lohnt – oder ob man neue Sponsoren gewinnen könnte.