Katharina Mevissen begeistert bei den Esslinger Literaturtagen mit einer multimedialen Lesung ihres Romans „Mutters Stimmbruch“. Katharina Thalbachs Stimme prägt das Hörbuch.

Tisch, Stuhl, Wasserglas, Buch und Autorin – so kennt man das Format der Lesung. Dass es auch anders geht, bewies Katharina Mevissen nun bei den Literaturtagen Lesart. Die Schriftstellerin hat das Esslinger Bahnwärter-Stipendium 2024 dazu genutzt, ihren Roman „Mutters Stimmbruch“ als Hörstück auf den Weg zu bringen. Im Kunstdruck-Centraltheater sprach sie nicht nur über ihren Roman, sondern auch darüber, wie daraus ein Hörbuch entstand, sie zeigte Illustrationen zum Buch und spielte Passagen aus dem Hörbuch ein, das von der Schauspielerin Katharina Thalbach eingesprochen wurde.

Eigentlich verwende er das Wort nicht, aber in diesem Fall müsse er eine Ausnahme machen und die Hörbuchaufnahme von Katharina Mevissens Roman (Verlag speak low, Download 22 Euro) als „kongenial“ bezeichnen, brachte Moderator Christoph Schröder seine Begeisterung über die gelungene Adaption zum Ausdruck. Das ist nicht nur Katharina Mevissens Geschichte über eine alternde Frau zu verdanken, im Text nur „Mutter“ genannt, die erst verstummen muss, um danach mit neu gewonnener Stimme einen Neuanfang zu gestalten und sich eine neue Freiheit zu erkämpfen. Das beruht auch auf der Sprechkunst von Katharina Thalbach. „Sie hat einen tollen Vorlese-Ton. Ihre Stimme ist virtuos, unglaublich flexibel, und sie kann auch einen Rasenmäher-Sound“, strahlte Katharina Mevissen, die bei der Hörbuch-Produktion mit dabei sein durfte: „Ich hatte in dieser schalldichten Kabine ein Gefühl wie in einer Weltraumkapsel. Sie las in einem großen Bogen. Ich hatte das Gefühl, sie liest mir in einem einzigen großen Atemzug meine Geschichte vor.“

Mevissen: „Das Momentum der Stimme erzeugt Nähe und Unmittelbarkeit“ Katharina Thalbach hat das Hörbuch „Mutters Stimmbruch“ eingesprochen. Foto: IMAGO/Rainer Unkel

Dass Christoph Schröder der Figur der „Mutter“ beim Hören viel näher gekommen sei als beim Lesen, versuchte die Autorin zu erklären: „Das Momentum der Stimme erzeugt Nähe und Unmittelbarkeit.“ Katharina Mevissen freut sich darüber, wie die große Charakterdarstellerin den stellenweise doch eher extremen Humor der Hauptfigur herausgearbeitet hat: „Katharina Thalbach kann diese schroffe Lakonie transportieren, diesen vierschrötigen Witz im störrischen Gebaren und Altersstolz der ‚Mutter‘. Sie hält eine schöne Balance zwischen dem poetischen Ernst und dem schnoddrigen, kratzigen Humor.“

Insa Hansen-Goos, die beim Verlag „speak low“ an der Produktion des Hörbuchs beteiligt war, erzählte in Esslingen, dass sie schon sehr früh Katharina Thalbachs Stimme für dieses Hörbuch im Kopf hatte: „Ich habe ihr den Roman zugeschickt und angefragt, ob sie sich das vorstellen kann. Kurz und knapp kam zurück: ‚Ja, das mache ich.‘“ Im Tonstudio las sie in einem Rutsch, nach nur knapp dreieinhalb Stunden war die Aufnahme im Kasten: „Katharina Thalbach wusste sehr genau, wo sie mit diesem Text hin will. Sie hat einen Zugang und eine Haltung zum Text, sie war unglaublich präsent“, bewundert Insa Hansen-Goos die Arbeit der Schauspielerin.

Autorin bei der Lesart: „Für mich ist Literatur stark mit Stimme verbunden“

In Katharina Mevissens Debütroman „Ich kann dich hören“ geht es ums Zuhören. In „Mutters Stimmbruch“ findet die alternde „Mutter“ eine neue Stimme. Mevissen schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit zum Thema „Literarische Mündlichkeit“, und sie hat die freie Literaturinitiative „handverlesen“ mitbegründet, die Literatur in deutsche Gebärdensprache übersetzt, vermittelt und verbreitet. Sprechen, Hören und Zuhören sind ihre Themen, bei Katharina Mevissen lebt ein Text nicht nur vom Inhalt, sondern auch von seinem Ton und Rhythmus. „Mit Literatur verbinden wir immer nur Schriftliches: Das Buch, der Text, das stille Lesen. Für mich ist Literatur aber stark mit Stimme verbunden. Es ist mir wichtig, mit den klanglichen Anteilen von Texten zu arbeiten. Für mich ist das Akustisch-Mündliche ein ursprünglicher Anteil von Literatur“, betonte die Autorin.

Der Abend im Kunstdruck-Centraltheater entpuppte sich als spannendes multimediales Format: eine engagiert diskutierende Runde auf dem Podium. Katharina Mevissens starke Sprachbilder und Kapitel-Miniaturen, die sich wunderbar zu einer Geschichte verbinden. Auf die Leinwand projiziert sorgten die den Roman illustrierenden ausdrucksstarken Monotypien von Katharina Greeven für visuelle Überraschungen. Dabei fällt en passant beim Blick auf das Buchcover auf, dass die durchaus gewöhnungsbedürftige Trennung des Titels „Mutters Stimmbruch“ mit einem großen „Mut“ beginnt. Zwischendrin wurden immer wieder kurze Passagen aus dem Hörstück mit Katharina Thalbach eingespielt. „Der Ton erweitert den Text, das Bild erweitert den Text. Weitere mediale Räume öffnen sich, und der Blick wird geweitet“, brachte Katharina Mevissen einen der Grundgedanken ihres literarischen Schaffens auf den Punkt.

So geht’s weiter bei der Esslinger Lesart

Kühmel
Am Samstag, 15. November, um 19.30 Uhr ist Miku Sophie Kühmel mit „Hannah“ im Kutschersaal der Stadtbücherei zu Gast. Sie erzählt sehr poetisch die Liebesgeschichte der beiden Dada-Künstlerinnen Hannah Höch und Mathilda „Til“ Brugman in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts, eine lesbische Beziehung, die durch den Nationalsozialismus immer stärker unter Druck gesetzt wird.

Theisen
„Escape. Der Schlüssel sind wir“ heißt der neue Roman für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene aus der Feder des Politologen Manfred Theisen, aus dem er am Sonntag, 16. November, um 19 Uhr im Café Flo liest. Bei einem schulischen Experiment zum Thema Demokratie werden die Überzeugungen von sechs Achtklässlern auf die Probe gestellt, als Missgunst, Rivalität und Machtmissbrauch ins Spiel kommen.

Schmidt
Der Autor Jochen Schmidt stellt am Dienstag, 18. November, um 19.30 Uhr im Kunstdruck-Centraltheater seinen Roman „Hoplopoiia“ vor. Sein Protagonist Richard Sparka, der mit der rasant sich verändernden Gesellschaft nicht mehr Schritt halten kann, erinnert ein wenig an Woody Allens Stadtneurotiker. Lesart-Tickets gibt es unter www.reservix.de