Kiel. Ein aufregender Wahlabend lag hinter den Kieler OB-Kandidaten Gerrit Derkowski (56, parteilos für CDU und FDP) und Samet Yilmaz (44, Grüne), als beide am Montag zum Doppelinterview bei den Kieler Nachrichten eintrafen. Yilmaz kam direkt von seinem Arbeitgeber im Innenministerium, um sich für weitere drei Wochen vom Dienst freistellen zu lassen. Auf Derkowski wartete im Anschluss bereits ein Fernsehteam. Beide sind gefragt: Sie haben bei der OB-Wahl am vergangenen Sonntag die größten Stimmenanteile erhalten und sind deshalb Kontrahenten für die Stichwahl am 7. Dezember. Der lange Wahlkampf hat sie offenbar schon zusammengeschweißt: Sie sind per Du.
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Herr Yilmaz, was können Sie besser als Herr Derkowski?
Yilmaz: Ich bringe 16 Jahre Verwaltungserfahrung mit und habe Politikwissenschaften studiert. Denn gewisse Grundlagen sind nötig, um zu verstehen, wie eine Verwaltung funktioniert, welche Führungsaufgaben der Oberbürgermeister hat und wie man Personal entwickelt. Ich habe ein Gefühl für die moderne Verwaltung. Ich bin seit 2023 Ratsherr. Daher weiß ich, wie ich politische Mehrheiten schaffen kann. Und als Hauptausschussvorsitzender kenne ich die Eigenbetriebe der Stadt Kiel.
Derkowski: „Ich kann Menschen führen, und zwar besser als Samet Yilmaz“
Herr Derkowski, worin sind Sie im Vorteil gegenüber Herrn Yilmaz?
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Derkowski: Es ist schon richtig, dass man Verwaltung ein Stück weit können muss, aber ich bin mir sicher, dass das nicht alles ist. Ich kann Menschen führen, und zwar besser als Samet Yilmaz. Denn es sind die 6000 Beschäftigten, die die Verwaltung ausmachen. Meine wichtigste Aufgabe als Oberbürgermeister ist es, ein Vertrauen zu ihnen aufzubauen. Wenn der OB ihnen den Rücken stärkt und ihnen die Freiheit gibt, auch Verantwortung zu tragen, dann können wir sehr viel gewinnen.
Diese Fähigkeit ist eine wichtige soziale Kompetenz. Sehen Sie aber keine Gefahr, ohne fachliche Kompetenzen zerrieben zu werden zwischen den Experten im Verwaltungsapparat?
Derkowski: Genau auf diese Experten will ich mich verlassen können. Sie sollen frei sein, Entscheidungen fällen zu dürfen. Mir wird berichtet, dass Entscheidungen häufig an die jeweiligen Vorgesetzten weitergereicht werden. Ab einer bestimmten Stufe geht der Zyklus wieder von vorne los. Deshalb möchte ich ihnen mehr Verantwortung geben.
Yilmaz: „Die Verantwortung übernimmt am Ende immer der Verwaltungschef“
Yilmaz: Nach dem Motto „Entscheidet Euch mal selber“ kann es in der Verwaltung nicht gehen. Wichtige Entscheidungen brauchen die Rückendeckung von der Spitze – in der nächsten Zeit geht es um wichtige Punkte wie zum Beispiel das ehemalige MFG-5-Gelände und die Stadtbahn, aber auch um die Erschließung von Flächen. Die Verantwortung übernimmt am Ende immer der Verwaltungschef.
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Sie beide kündigen an, die Verwaltung schneller und bürgerfreundlicher zu machen. Das kommt nicht bei allen Beschäftigten im Rathaus gut an, denn es erweckt den Eindruck, als liefe alles schief.
Derkowski: Das Personal ist in vielen Bereichen überlastet, vor allem durch zu viel Bürokratie. Das wird mir von vielen Beschäftigten bestätigt. Ich habe volles Vertrauen, dass alle ihren Job so gut wie möglich machen wollen. Damit sie ihn auch wieder gern machen, möchte ich durch Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz für Entlastung sorgen.

Yilmaz: Ich wollte nie den Anschein erwecken, dass es in der Verwaltung nicht gut läuft. Wenn das so angekommen sein sollte, bitte ich um Entschuldigung. Mir ist es wichtig, Stärken zu stärken. Ein konkretes Beispiel ist ein Tracking-System, wie man es von der Sendungsverfolgung bei der Post kennt. Wer einen Antrag stellt, soll immer über den Bearbeitungsstand informiert sein – abrufbar über die Vorgangsnummer. Das würde die Mitarbeiter entlasten und den Frust bei den Antragstellern lindern, weil telefonische Nachfragen wegfallen könnten.
Wie wollen Sie denn Bürokratie abbauen, Herr Derkowski?
Derkowski: Künstliche Intelligenz kann heute schon Formulare ausfüllen, das müssen nicht mehr die Beschäftigten machen. Da müssen wir Fahrt aufnehmen.
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Ich habe Verständnis dafür, wenn Menschen sagen: Bei Olympia werden wir befragt, warum nicht zur Stadtbahn?
Samet Yilmaz
OB-Kandidat der Grünen zur Diskussion über einen Bürgerentscheid
Yilmaz: Wichtig ist, dass die Schnittstellen geschaffen werden. Für manche Anträge müssen Bürgerinnen und Bürger einen Grundbesitzabgabenbescheid einreichen, obwohl der von der Stadt Kiel ausgestellt wird. Er liegt ihr also selbst vor.
Derkowski: „Ich möchte, dass wir das Geld, das wir noch haben, anders investieren“
Themenwechsel: Ist Ihr Slogan „Schulbau statt Stadtbahn“ wirklich so einfach, Herr Derkowski?
Derkowski: Die Formulierung ist zugespitzt, aber sie trifft es auf den Punkt. Ich möchte, dass wir das Geld, das wir noch haben, anders investieren. Bis 2029 soll die Stadt Kiel mit einer Milliarde Euro verschuldet sein. Auch der Sanierungsstau an den Schulen erreicht eine ähnliche Höhe. Das geht nicht mit den Unsummen für die Stadtbahn zusammen.
Wenn die Stadtbahn nicht kommt, geht es mit der Schulsanierung schneller?
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Derkowski: So einfach ist es dann auch wieder nicht. Allein könnte ich das als OB ohnehin nicht entscheiden. Ich möchte aber meine Haltung deutlich machen und das habe ich mit der Formulierung auf den Plakaten getan.
Yilmaz: „Bildung und Mobilität dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“
Halten Sie den Slogan für legitim, Herr Yilmaz?
Nein, Bildung und Mobilität dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Spruch erweckt den Eindruck, dass für den Schulbau kein Geld mehr da wäre, sollte die Stadtbahn gebaut werden. Das ist keineswegs der Fall. Allein 2026 bis 2029 gehen 90 Millionen Euro in den Schulbau. Das ist fest geplant.
Brauchen wir einen Bürgerentscheid zur Stadtbahn?
Yilmaz: Die Bürgerinnen und Bürger sind bei vielen Veranstaltungen beteiligt worden. In der nächsten Phase ist die Bildung von Bürgerräten vorgesehen. Aber ich habe Verständnis dafür, wenn Menschen sagen, bei Olympia werden wir befragt, warum nicht zur Stadtbahn?
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Derkowski: Ich spiele nichts gegeneinander aus, sondern nehme eine klare Priorisierung vor. Die Veranstaltungen zur Stadtbahn sind allenfalls eine Simulation von Bürgerbeteiligung. Die Menschen sind nicht gefragt worden, ob sie die Stadtbahn wollen. Deshalb brauchen wir in dieser großen Frage, die die Stadt auf Jahre prägen wird, einen Bürgerentscheid.
Mir ist bewusst, dass ich nicht als Favorit in den zweiten Wahlgang gehe.
Gerrit Derkowski
parteiloser OB-Kandidat von CDU und FDP
Nun drehen wir den Spieß um: Sie dürfen Ihrem Kontrahenten eine Frage stellen.
Derkowski: Samet, du hast in einem der letzten Instagram-Videos angekündigt, mehr Parkplätze in Kiel schaffen zu wollen. Wie bist du denn plötzlich auf diese Idee gekommen?
Yilmaz: Wir brauchen eine schlaue Parkraumnutzung. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass Handwerker die Lieferzonen nutzen dürfen, Gastronomen aber nicht. Wir haben auch Probleme damit, dass Autos zum Teil Monate auf einem Fleck stehen und dass Wohnmobile viele Flächen blockieren. Dafür habe ich eine Lösung: Die Stadt richtet einen großen Parkplatz ein, auf dem die Mobile gegen Gebühr abgestellt werden können, vielleicht am Flughafen.
Und Ihre Frage, Herr Yilmaz?
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Yilmaz: Gerrit, welche Motivation steckt hinter deiner Kandidatur und hättest du noch bei den Grünen angefragt, wenn dir nach der SPD auch die CDU abgesagt hätte?
Derkowski: Ich kandidiere, weil ich mir Kurskorrekturen für Kiel wünsche. Es ist richtig, dass ich mit der SPD gesprochen habe, bevor ich die CDU gefragt habe, ob die meine Kandidatur unterstützt. Es ist doch keine Schande, mit mehreren demokratischen Parteien zu sprechen. Die Sozialdemokraten wollten keinen parteilosen Kandidaten ins Rennen schicken. Aber gerade parteilos zu sein, ist mir vor meinem früheren beruflichen Hintergrund wichtig. Da war es meine Aufgabe, parteipolitisch neutral zu sein. Aufgrund meiner persönlichen Haltung kann ich sagen: Nein, auf die Grünen wäre ich nicht mehr zugekommen.
Die SPD ringt noch darum, ob sie Sie im Wahlkampf um die Stichwahl unterstützt, Herr Yilmaz. Wirkt das auf Sie nicht wie ein Affront vom Kooperationspartner?
Yilmaz: Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Diese politischen Verhandlungen um Kompromisse müssen erst einmal geführt werden. Darin wird sicher eine Rolle spielen, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben. Ulf Daude hatte einige gute Ideen, finde ich. Die könnte ich aufnehmen.
Am Sonntag waren Sie noch strahlender Sieger, Herr Derkowski. Aber bei der Stichwahl müssen Sie auch das linke, urbane Klientel für sich gewinnen. Wie wollen Sie das machen?
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Derkowski: Indem ich den Menschen klar sage, wofür ich stehe. Ich möchte sie nicht überreden, sondern überzeugen. Mir ist bewusst, dass ich nicht als Favorit in den zweiten Wahlgang gehe. Gewonnen ist noch nichts. Ich werde in den nächsten drei Wochen täglich weiter dafür kämpfen, am Ende neuer Oberbürgermeister von Kiel zu werden.
KN