Diese Regierung könnte einen Bruch in der europäischen Ukrainepolitik markieren. In unserem Nachbarland Tschechien hat sich der designierte Ministerpräsident Andrej Babiš, der sich selbst gerne als „tschechischer Trump“ inszeniert, gemeinsam mit konservativen, rechten und EU-skeptischen Kräften auf eine Regierung geeinigt. Die Sieger der jüngsten Parlamentswahlen wollen nicht nur mit der prowestlichen Linie des abgewählten Ministerpräsidenten Petr Fiala, sondern auch mit dem Unterstützungskurs für die Ukraine brechen. In Kiew selbst wächst die Sorge, dass die Tschechische Republik – bislang einer der entschiedensten Unterstützer der Ukraine – unter Babiš zu einem Unsicherheitsfaktor oder gar zu einem neuen Baustein in Viktor Orbáns antiukrainischem Block werden könnte.

Babiš gab sich während seiner vorherigen Amtszeit, von 2017 bis 2021, als eine Art pragmatischer Populist, seine Partei ANO ist programmatisch im rechtskonservativen Spektrum zu verorten. Mit seiner neuen Koalition, bestehend aus der rechtsextremen, gegenüber EU und Nato skeptischen Freiheit und direkte Demokratie (SPD) sowie der Autofahrer-Bewegung Motorists for Themselves, rückt die zukünftige Regierung in Prag spürbar nach rechts. Die Juniorpartner der SPD gehen dabei am weitesten und fordern sogar Referenden über den Verbleib in EU und Nato. Zwar bemüht sich Babiš, extreme Positionen einzufangen, doch sein Lavieren in der Ukrainepolitik zeigt, dass er genau weiß: In Ukraine-Fragen entscheidet sich der Charakter seiner neuen Amtszeit.

Waffen an die Ukraine: Was passiert mit dem Munitionsprogramm?

Symbol dieser Unsicherheit ist das tschechische Munitionsprogramm für die Ukraine. Unter der Federführung Prags gelang es allein im vergangenen Jahr, 1,5 Millionen Artilleriegranaten zu beschaffen, weitere 1,3 Millionen sollten bis Herbst 2025 in die Ukraine geliefert werden. Tschechien nutzte dabei ein internationales Netzwerk privater Rüstungsunternehmen und bündelte für das Munitionsprogramm rund 4,5 Milliarden Dollar von etwa 15 Partnerstaaten.

Für die ukrainischen Streitkräfte war das Programm ein Rettungsanker, für die prowestliche Regierung Fiala ein außenpolitisches Prestigeprojekt. Doch Babiš hat das Vorhaben während des Wahlkampfs als „überteuert und intransparent“ kritisiert. Seit dem Wahlsieg des ANO-Blocks herrscht nun in Prag Funkstille: Es gibt bisher keine klare Aussage dazu, ob das Programm weitergeführt, reformiert oder stillschweigend abgeschafft wird.

Der Vorschlag, die Initiative an die Nato zu übergeben, wurde bereits vom tschechischen Verteidigungsministerium verworfen. Die Nato könne keine Waffen für die Ukraine kaufen, so der Tenor, Initiativen müssten aus den Unterstützerstaaten kommen. Auch Gerüchte über eine mögliche Übertragung an Estland oder eine Umverteilung auf andere EU-Mitglieder erwiesen sich als haltlos.

Das Herzstück der europäischen Munitionsbeschaffung für die Ukraine dürfte damit einen herben Schlag bekommen. Und das ausgerechnet in einer Phase, in der Russland die Hauptstadt Kiew mit Drohnenangriffen überzieht und im Donbass und in der Südukraine militärisch den Druck wieder erhöht.

Ukrainische Offizielle geben sich bisher demonstrativ diplomatisch im Umgang mit den neuen politischen Verantwortlichen in Prag. Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte erst im März seinen tschechischen Verbündeten noch überschwänglich für ihre „historische Unterstützung“. Doch in Kiew weiß man auch: Die neuen Koalitionspartner von Babiš hegen keinerlei Sympathie für die kriegsgebeutelte Ukraine.

Der designierte tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš gewann im Oktober die Wahlen mit knapp 34 Prozent der Stimmen.

Der designierte tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš gewann im Oktober die Wahlen mit knapp 34 Prozent der Stimmen.Ondrej Deml/imago

Ein Beispiel: Tschechiens neuer Parlamentspräsident Tomio Okamura von der SPD sorgte bereits an seinem ersten Tag im Amt für einen Eklat. Der rechte Politiker ließ vor wenigen Tagen die Ukraine-Flagge, die seit Beginn der russischen Invasion als solidarisches Zeichen gehisst worden war, vom Parlamentsgebäude in Prag entfernen. Die Aktion löste scharfe Kritik aus den Reihen der scheidenden proeuropäischen Regierungskoalition aus, deren Abgeordnete die Flagge im Nachhinein demonstrativ aus den Fenstern ihrer Parlamentsbüros hängten. Okamura verteidigte sein Vorgehen mit den Worten: „Die Tschechische Republik kommt an erster Stelle.“ Ein im Netz kursierendes Foto zeigt ihn dabei, wie er die Leiter hält, während ein Mitarbeiter die ukrainische Fahne abnimmt – in den Augen vieler ein Sinnbild für den abrupten politischen Kurswechsel in Prag.

Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk kritisierte den Vorgang erwartungsgemäß. „Die ukrainische Flagge vom Parlamentsgebäude eines europäischen Landes herunterzureißen, dessen Brudervolk die Ukrainer in diesem gerechten Kampf unterstützt, ist eine zweifelhafte Tat“, hieß es auf X. Doch mehr als solche Tweets bleibt den Ukrainern derzeit nicht. Denn Babiš hat bislang kaum konkrete Positionen geäußert. Die Ukraine weiß, dass sie die nächsten Schritte Prags abwarten muss in der Hoffnung, dass Tschechien zumindest nicht aktiv in die ukrainekritische Orbán-Fraktion abdriftet.

Orbán sucht Verbündete für Anti-Ukraine-Koalition

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sieht die Entwicklungen in Prag mit Wohlwollen. Seit Jahren versucht er, eine zentraleuropäische Achse gegen die Ukrainepolitik der EU aufzubauen. In Polen gelingt ihm das bisher nicht. Selbst die rechte PiS-Opposition dort lehnt die ungarische Linie ab. In der Slowakei dagegen findet er mit Robert Fico zumindest teilweise Anschluss.

Umso wichtiger wäre für Orbán ein Partner wie Babiš, der zwar nicht offen mit Moskau sympathisiert, aber bereit scheint, zentrale Elemente der europäischen Ukrainepolitik infrage zu stellen. Tatsächlich sprechen mehrere Signale dafür, dass die neue Prager Regierung zumindest teilweise in Ungarns Richtung schwenken könnte. So deutete der designierte Außenminister Filip Turek bereits an, Tschechien wolle sich künftig von militärischer Unterstützung verabschieden und stattdessen auf humanitäre Hilfe setzen. Eine solche Argumentation deckt sich auffallend mit Orbáns eigener Politik.

Hinzu kommt eine wachsende Skepsis gegenüber Entscheidungen mit Ukraine-Bezug auf EU-Ebene. In Brüssel steht bald die richtungsweisende Frage an, ob eingefrorene russische Vermögenswerte für die Ukraine verwendet werden sollen. Ausgerechnet Prag, einst ein verlässlicher Befürworter, könnte in dieser Hinsicht nun zum Unsicherheitsfaktor für felsenfeste Ukraine-Unterstützer werden.