Kiel. Den linken Arm kann er schon wieder normal bewegen. Nur belasten geht noch nicht. Eine etwa zehn Zentimeter lange Narbe an der Innenseite des Oberarms erinnert Charsten Hinrichsen (54) an die Operation, die ihm einen Zugang zur Dialyse (Blutwäsche) ermöglicht und dem UKSH Pionierarbeit im OP-Saal. Hinrichsen ist laut Uniklinik einer der weltweit ersten beiden Patienten, bei denen Ende Oktober in Kiel ein sogenannter Shunt mit einem mikrochirurgischen Robotersystem angelegt wurde.

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„Meine Nieren sind kaputt“, sagt Charsten Hinrichsen, der in Boksee (Kreis Plön) lebt. „Der Dialyseshunt hätte so oder so gesetzt werden müssen“. Als ihm das UKSH das neue Verfahren mit dem Roboter vorschlug, habe er spontan zugestimmt: „Ich hoffe, ich kann davon profitieren.“

Ein Dialyseshunt ist eine künstliche Verbindung zwischen Arterie und Vene, die für die Blutreinigung bei Patienten mit Dialysepflicht erforderlich ist. Für die Behandlung wird dem Körper eine größere Menge Blut entnommen, gereinigt und ihm wieder zugeführt. In der Regel wird der Shunt ganz ohne Robotik in der Gefäßchirurgie am Arm angelegt.

Eingriff mit OP-Roboter am UKSH soll Patienten „spürbare Vorteile“ bieten

Der Eingriff mit dem OP-Roboter (Symani Surgical System) stellt nach Einschätzung der Experten am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) einen Fortschritt für die Gefäßchirurgie dar – und soll für Patientinnen und Patienten „spürbare Vorteile“ bieten.

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Die Hoffnung von Ärztin Dr. Melanie Rusch: Die innovative Methode soll nicht nur präziser und schonender für die Patienten sein, sondern auch das Risiko für Komplikationen senken und die spätere Dialyse vereinfachen.

Rusch sieht noch mehr Vorteile. Denn während betroffene Menschen auf eine Spenderniere warten, müssen sie regelmäßig zur Dialyse. „Das ständige Manipulieren am Shunt bedeutet aber, dass die Haltbarkeit leidet.“ Irgendwann müssen die Zugänge gewechselt werden.

Nahtmaterial für das Auge kaum sichtbar

Doch es gibt nicht unendlich viele Gefäße im Körper dafür. „Mit der neuen Methode wollen wir dazu beitragen, dass Gefäße durch die roboterassistierte Anlage von vornherein besser geschont werden und dadurch ein Shunt so lange wie möglich hält“, erklärt die Ärztin der Klinik für Gefäßchirurgie und endovaskuläre Chirurgie in Kiel, die das Projekt initiiert hat. „Wir nutzen dünnste Nähte und die fortschrittlichste Technologie dafür.“ Das Nahtmaterial sei für das Auge kaum noch sichtbar, halb so fein wie ein Haar oder dünner.

Die rund 1,5-stündige Roboter-OP verläuft zunächst klassisch: Den Zugang am Unterarm führt Rusch mit dem Skalpell durch, bis das Gefäß freigelegt ist. Anschließend wird der Patient für den Roboter-Einsatz positioniert. Die Kamera wird auf ihn ausgerichtet, die Roboterarme werden eingestellt.

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Das System ist mit zwei kleinen Armen mit Instrumenten ausgestattet, die Rusch mit zwei Pinzetten in der Hand steuern kann. Die Pinzetten übertragen die Bewegung ihrer Hände auf den Robo-Doc.

Dabei sitzt Rusch etwas entfernt auf einem Spezialstuhl und blickt mit einer 3-D-Brille auf einen Monitor. Dort sieht sie das Gewebe des Patienten bis zu 30-fach vergrößert. Kleine Unregelmäßigkeiten werden erkennbar. Zudem filtert der Roboter jedes kleine Zittern der Hand heraus. „Er arbeitet mit geschmeidigen, unglaublich präzisen Bewegungen.“

Neue OP-Methode für Dialyseshunt an Schweinegefäßen geprobt

Akribisch wurde die allererste OP vorbereitet. Zunächst hat Rusch die Technologie an Herzen und Gefäßen von Schweinen geprobt. „Wir haben sie erweitert, zusammengenäht und experimentiert, bis die Methode so ausgereift war, dass wir sie für die Dialyseshunts nutzen konnten“ – ein Prozess von zweieinhalb Jahren.

Die Ärztin (45) ist seit 2021 an der Klinik in Kiel tätig. Woher kommt die Faszination für Robotik im OP? Als Erklärung nennt die Teilzeit-Chirurgin, Mutter dreier Kinder, eine TV-Reihe: „Als Kind habe ich fasziniert ‚Es war einmal das Leben‘ geschaut. Das hat mir Lust gemacht, das Innenleben von Menschen zu erkunden.“

Als Kind habe ich fasziniert ‚Es war einmal das Leben‘ geschaut. Das hat mir Lust gemacht, das Innenleben von Menschen zu erkunden.

Dr. Melanie Rusch

UKSH Kiel

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Mit der starken Vergrößerung des Gewebes fühle es sich genauso an. Rusch will die Forschung weiterentwickeln und findet es „aufregend, was man alles mit Technik machen und verfeinern kann.“ Es erinnert sie an ihr Aufwachsen in Norwegen mit viel Telemedizin. Parallelen sieht sie zur Roboter-Chirurgie: „Man behandelt Patienten auf Distanz, kann gleichzeitig eintauchen.“

Alle beteiligten Chirurgen absolvierten laut UKSH ein Schulungsprogramm am Robotersystem. „Das zeigt, wie schnell und verantwortungsvoll wir wissenschaftliche Erkenntnisse in die klinische Versorgung überführen können“, sagt Dr. René Rusch, kommissarischer Direktor der Klinik und Ehemann der Ärztin.

Patient muss bei Roboter-OP still liegen

Die Sicherheit der neuen OP-Methode und der Nutzen für die Patienten stehen laut UKSH ganz oben. Ein Chirurg sitzt demnach immer am Tisch, der zweite an der Konsole. Es soll kein erhöhtes Risiko für Komplikationen entstehen. „Uns sind keine wesentlichen Komplikationen des neuen Eingriffs bekannt, die es nicht auch bei der herkömmlichen Anlage eines Dialyse-Shunts geben kann: Eine Naht ist zu eng oder es gibt eine Leckage, neben Folge-OPs kann es zu Nachblutungen oder Infektionen kommen“, sagt Dr. Melanie Rusch vom UKSH Kiel. Einen Unterschied zur herkömmlichen Methode gibt es aber doch: Der Patient darf sich bei der Roboter-assistierten OP nicht bewegen, muss still liegen. Das funktioniere im Zweifel am besten über eine Vollnarkose, teilweise auch unter Betäubung des ganzen Arms.

In Zukunft soll das Verfahren am UKSH in Schleswig-Holstein auch bei Eingriffen an der unteren Extremität eingesetzt und wissenschaftlich evaluiert werden. Neben der Klinik für Gefäßchirurgie war die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie beteiligt, die das System bereits etwa bei Nervenrekonstruktionen oder Eingriffen an Lymphgefäßen einsetzt.

Am Freitag steht die dritte Shunt-OP mit dem Roboter an. Charsten Hinrichsen, der vor dem neuartigen Eingriff durchaus ein „komisches Gefühl“ hatte, spricht dennoch von großem Vertrauen in die Ärzte. Er wartet inzwischen auf seine erste Dialyse. Wenn er einen Finger leicht an den Shunt hält, fühlt er, wie das Blut rauscht.

KN