Der Schuss fiel nach der Hobby-Jagd. Nachdem das Material längst weggeschafft worden war, nachdem angeblich niemand mehr hätte gefährdet sein dürfen.
In der Jägersprache würde man sagen: „Wenn’s nach der Jagd noch knallt, war’s ein guter Tag.“
Es ist diese Mischung aus Routine, Selbstüberschätzung und Waffenromantik, die Jahr für Jahr Hunderte Menschen in Europa tötet, und die Jagdlobby spielt dazu das gleiche Lied, das sie auch in der Schweiz ununterbrochen dudelt: „Ein tragischer Einzelfall.“ Wenn die Jagdlobby alle ihre „Einzelfälle“ zusammenzählt, hat sie Material für eine komplette Netflix-Serie.
Privatjagdreservate: Die Spielplätze der Unantastbaren
Der Unfall geschah in einem privaten Jagdreservat jenen Orten, die aussehen wie Golfplätze, bloss mit scharfen Waffen und weniger Anteilsklasse.
Diese Orte funktionieren nach dem Motto: „Wir jagen und quälen, wie wir wollen, und wer was dagegen hat, kann ja fernbleiben.“ Kontrolle? Nur intern. Also praktisch gar nicht. Transparenz? Höchstens darüber, wie viele Trophäen man an die Wand nagelt. Sicherheitsstandards? Solange niemand tot umfällt, alles prima. Bis eben jemand tot umfällt.
Aber auch das ist ja nur ein „tragisches Missgeschick“ so tragisch, dass man einen Tag später wieder „waidgerecht“ weiter baller… äh… „bewirtschaftet“.
Egal ob Spanien, Frankreich oder die Schweiz: Die Reflexe sind identisch.
1. Leugnen („Das passiert praktisch nie.“)
2. Verniedlichen („Kleine Unachtsamkeit.“)
3. Ablenken („Andere Hobbys sind auch gefährlich.“)
4. Opferumkehr („Wir Hobby-Jäger müssen uns wieder einmal unfaire Kritik anhören.“)
Man könnte fast meinen, die Jagdszene weltweit teile sich ein einziges PR-Brain und es läufe auf Windows 95.
In der Schweiz wird die Hobby-Jagd gerne als hochprofessionell, hochkultiviert und hoch verantwortungsvoll verkauft. Eine Art Alpen-Sonderfall, der angeblich nichts mit jenen unkontrollierten, machohaften Jagdrealitäten im Ausland zu tun habe.
Die Realität:
- Auch in der Schweiz laufen Hobby-Jäger mit tödlichen Waffen in öffentlich genutzten Landschaften herum.
- Auch hier passieren Schussabgaben in falsche Richtungen, durch Hecken, über Wanderwege.
- Auch hier hält man sich für die besten Wildtiermanager, obwohl man bis heute nicht erklären kann, warum ausgerechnet Gewalttäter mit Jagdfieber das bessere Management liefern soll als Berufsökologen.
- Und auch hier gibt es die reflexhafte Litanei: „Alles bestens, wir haben die Lage im Griff.“
- Jedes Jahr werden nur im Kanton Graubünden über 1’000 dieser Hobby-Jäger angezeigt oder gebüsst, weil sie gegen Gesetze verstossen.
- Alle 29 Stunden passiert ein Jagdunfall in der Schweiz und jedes Jahre gibt es Tote.
Es ist genau diese schweizerische Jagdselbstverklärung, die zeigt, wie tief das Problem reicht: Hier glaubt man ernsthaft, man sei die Champions League der Jagdsicherheit, obwohl man in Wirklichkeit gerade mal in der 4. Liga kickt.
Die Jagdszene ist überall gleich gestrickt:
- Überzeugt, die Natur allein zu verstehen.
- Überzeugt, moralisch überlegen zu sein.
- Überzeugt, „unverzichtbar“ zu sein.
- Überzeugt, dass Kritik nur von „Stadtmenschen“ kommt.
- Überzeugt, dass Waffen nur gefährlich sind, wenn andere sie tragen.
Es ist erstaunlich, wie viel Selbstbewusstsein man entwickeln kann, wenn man mit einer Waffe im Wald steht und niemand einem widerspricht.
Was wirklich passieren müsste
Wenn man die Hobby-Jagd nicht komplett abschafft, dann zumindest:
- Unabhängige Sicherheits- und Waffeninspektionen, nicht die interne Selbstkontroll-Märchenstunde.
- Nulltoleranz für Alkohol – ja, auch den „Feierabend-Schluck“.
- Verpflichtende psychologische und medizinische Checks, denn ein Jagdschein ist kein Freipass für Realitätsverlust.
- Verbot privater Reservate ohne externe Kontrolle – europaweit.
- Transparente Unfallstatistiken, nicht schönpolierte Jahresberichte.
- Technische Prüfpflicht für Waffen wie beim Auto. Jährlich, verbindlich.
Natürlich wird kaum etwas davon umgesetzt. Dafür ist die Jagdlobby politisch zu gut vernetzt, auch in der Schweiz, wo man sich gern als naturverbundene „Traditionsträger“ inszeniert, während man sich hinter verschlossenen Türen gegen jede Modernisierung stemmt.
Wieder wurde ein Mann getötet, weil die Hobby-Jagd seit Jahrzehnten glaubt, sie sei über Kritik, Kontrolle und Modernisierung erhaben.
Solange Hobby-Jäger ihre Waffen wie Spielzeug behandeln, solange Politik sie wie heilige Kühe behandelt und solange die Gesellschaft sich von jagdlicher Selbstdarstellung einlullen lässt, wird es weiter krachen. Und die Jagdlobby – auch die schweizerische – wird wieder sagen: „Tragischer Einzelfall. Wenn die „Einzelfälle“ nicht so tödlich wären, könnte man fast lachen.
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