Eine Botschaft in Großbuchstaben: FRAUEN. Jede Demonstrantin auf diesem Bild trägt einen anderen Buchstaben des Wortes auf dem Rücken, jede hat eigene Gedanken über die Welt im Kopf. Doch sie eint ein Ziel: die Gleichberechtigung von Frauen zu erkämpfen.

Das Foto, ziemlich sicher in den Siebzigerjahren entstanden, rahmt einen denkwürdigen Abend im Literaturhaus. 50 Jahre Frauenbuchladen Lillemor’s sind in diesem November zu feiern, und damit zugleich so viel mehr: eine ganze Ära. Denn die sogenannte zweite Frauenbewegung der Siebzigerjahre, sie war in München besonders aktiv. So sehr, dass die Zeitschrift Emma 1981 München sogar als „feministisches Wunderland“ pries.

Und so füllen, neben jungen Studierenden, viele Veteraninnen der Bewegung den Saal, und es wird sogar eine Laden-Mitgründerin von 1975, Sabine Holm, auf einem Podium Platz nehmen. Auf nostalgische Harmonieseligkeit beschränkt sich der Abend, den die LMU-Buchwissenschaftlerin Christine Haug angeregt hat, allerdings nicht – schließlich gab es von Anfang an auch jede Menge Spannungen in den Frauenbewegungen. Sie sind schon bei der Frage zu ahnen, ob zum Gründungskollektiv des Ladens nun fünf oder sechs Frauen zählten.

Mehr als vier Jahrzehnte führten  Andrea Gollbach (links) und Ursula Neubauer den Frauenbuchladen Lillemor ’ s in der Münchner Barerstraße, hier ein Bild aus dem Jahr 2016.Mehr als vier Jahrzehnte führten  Andrea Gollbach (links) und Ursula Neubauer den Frauenbuchladen Lillemors in der Münchner Barerstraße, hier ein Bild aus dem Jahr 2016. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass unterschiedliche Meinungen, ja Streit, zum Grundrauschen gehören, macht die LMU-Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky in einem Vortrag deutlich. Schon in der ersten Frauenbewegung, vor mehr als hundert Jahren von Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg auch in München entscheidend vorangetrieben, war man sich in vielem nicht einig. In der zweiten war das nicht anders: „Sie bekriegten und beeinflussten sich gleichermaßen“, sagt Villa Braslavsky über die diversen Strömungen, doch das sei „superproduktiv“ gewesen: „Streit ist die Musik, die diese Bewegung zum Tanzen bringt.“

Und sie hat tanzend unglaublich viel erreicht, was wir heute für selbstverständlich halten. „Menschenrechte haben kein Geschlecht“, stellte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm zwar bereits 1876 fest, doch es dauerte lange, bis sich die Erkenntnis auch in Gesetzestexten niederschlug. Und auch wenn es weiterhin jede Menge Probleme gibt, vom Gender Pay Gap bis zu sexueller Gewalt, gilt es doch auch das Erreichte zu würdigen: Die zweite Frauenbewegung, so Villa Braslavsky, „war so erfolgreich wie kaum eine andere neue soziale Bewegung“.

Von Anfang an spielten dabei Bücher und Bildung eine wichtige Rolle. Kein Zufall also, dass in München neben dem Verlag Frauenoffensive, 1974 gegründet und bald mit Verena Stefans  „Häutungen“ erfolgreich, auch die Idee eines Frauenbuchladens aufkam: „ein Laden für sich allein“, wie Villa in Abwandlung eines Zitats von Virginia Woolf sagt. Der Laden in der Arcis- und später Barerstraße war der erste in Westdeutschland, und er verkaufte nicht nur Bücher, sondern auch ein Lebensgefühl: als Treffpunkt, als Debattenort, zu dem Männer zeitweise keinen Zutritt hatten. Ein „Safe Space“, wie Villa sagt, oder besser: ein „Safe Conflict Space“.

Film über Feminismus

:Nichts zu verlieren – außer Männer

Hanna Hocker hat einen Film über die Vorkämpferinnen des Feminismus gedreht. Über eine Spurensuche im ersten Frauenbuchladen Deutschlands und die Frage, was die feministischen Generationen einst und heute trennt.

Was die Gründerinnen umtrieb, insbesondere Monika Neuser und Sabine Holm, lässt der wunderbare HFF-Kurzfilm „Außer Männer hatten wir nichts zu verlieren“ von Leila Keita und Hanna Hocker lebendig werden. Auch bei ihrem Interview mit den späteren langjährigen Buchhändlerinnen Ursula Neubauer und Andrea Gollbach kommt schön der damalige Kampfgeist heraus. „Jung, radikal, lesbisch, links“, so blicken sie auf sich selbst in den Achtzigern zurück. Und sie finden, im Vergleich zur heutigen Generation: „Wir haben uns viel mehr getraut.“

Die traut sich allerdings auch einiges: Sie hat den einstigen Frauenbuchladen, dessen Archiv jetzt in der Monacensia liegt, vor zwei Jahren in ein queerfeministisches Projekt verwandelt. Ein Kollektiv von zunächst vier, inzwischen 30 weitgehend Ehrenamtlichen hat dem Laden als Glitch Bookstore „eine Verjüngungskur verpasst“, was die Jury des diesjährigen Schwabinger Kunstpreises würdigte. Auch Glitch gehe es darum, einen „echten Freiraum“ zu schaffen. Der Anspruch: „kleine Irritationen auslösen und bestehende Hierarchien hinterfragen“.

Dass die queere Ausrichtung tatsächlich Irritationen bei älteren Feministinnen auslösen kann, ist im Literaturhaus zu spüren; schade, dass niemand von Glitch mit auf dem Podium sitzt. Denn natürlich gibt es auch heute Grabenkämpfe angesichts neuer Begrifflichkeiten und Konzepte, und hoffentlich bleibt der Austausch so produktiv wie einst. Denn es ist ja nicht zu vergessen, wie die Laden-Gründerin Sabine Holm im Film eindringlich sagt, „dass wir viel zu verlieren haben“.