Sie hätten gern mehr Informationen gehabt und auch mehr Rechte: Die Zentralen Ausländerbehörden (ZABen) in NRW haben vor dem Attentat von Solingen offenbar immer wieder darauf gedrungen, für erfolgreiche Abschiebungen mehr Hilfe aus dem Fluchtministerium von Josefine Paul (Grüne) zu bekommen.
Ein weiterer Punkt: „Nachtzeitverfügungen sind die ganz große Ausnahme gewesen“, blickte der 66-Jährige zurück. Damit werden Geflohene angewiesen, in einem bestimmten Zeitraum nachts in ihrer Unterkunft zu bleiben, damit man sie zur Abschiebung aufgreifen kann. Tun sie dann – was erwartbar ist – das Gegenteil und tauchen stattdessen ab, kann auch dies ein Grund für Abschiebehaft werden.
Über ein bis eineinhalb Jahre hätten er und seine Kollegen gegenüber dem Fluchtministerium thematisiert, dass das ein wirksames Mittel sei, „was in einigen anderen Bundesländern angewandt wird und dort auch Erfolge zeigt“, so der Ex-Behördenleiter. Man hatte vom Land eine allgemeine Musterverfügung dafür erbeten. Rückmeldung des Ministeriums: „Man befinde sich in Absprache mit den Bezirksregierungen und werde auf uns zukommen.“
Der 66-Jährige erklärte jedoch auch: Selbst, wenn die Bitten der ZABen erhört worden wären, wäre es wohl nicht geglückt, den späteren Attentäter Issa al H. aus dem Land zu bringen. Der Syrer hat im Sommer 2024 auf dem Stadtfest in Solingen zwei Männer und eine Frau mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Er sollte im Juni 2023 als sogenannter Dublin-Fall aus seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn abgeholt und nach Bulgarien überstellt werden – zuständig war also die ZAB Bielefeld und für diese die Bezirksregierung Detmold. Issa al H. war zum Abschiebetermin nicht da. In seinem speziellen Fall wäre aber weder eine Nachtzeitverfügung sinnvoll gewesen, noch wäre Abschiebehaft infrage gekommen, befand der einstige Behördenleiter: Seiner Einschätzung nach gab es für seine Rückführung nur den einen Versuch im Sommer 2023.
Seine Aussage offenbarte auch, dass es nach dem Attentat in der Kommunikation mit Fluchtministerin Josefine Paul hakte. Nach dem Terrorakt habe die Ministerin ein geplantes Telefonat mit ihm um Wochen verschoben. In der Zwischenzeit aber gab sie öffentliche Erklärungen zu dem Fall ab, die in Paderborn, Detmold und Bielefeld für jede Menge Aufregung sorgten. Das belegen Unterlagen, die dem Untersuchungsausschuss geliefert wurden und die unserer Redaktion vorliegen.
So hatte Paul erklärt, dass die Flüchtlingsunterkunft in Paderborn es versäumt habe, weiterzumelden, dass al H. am Tag nach dem gescheiterten Abschiebeversuch wieder da war. Dazu schrieb die Heimleiterin entrüstet an ihre Kollegen in der Bezirksregierung: Ihr solle offenbar öffentlich Mitschuld an den Morden gegeben werden.
Sie bekam Rückendeckung von ihrem damals direkten Vorgesetzen, heute leitender Regierungsdirektor bei der Bezirksregierung Detmold: Im Dezernat seien alle empört, schrieb er ihr. „Fassungslos“ sei sie, erwiderte die Einrichtungsleiterin noch einmal. Die Lage beruhigte sich auch so schnell nicht: Tage später legte die Heimleiterin in einer Mail mit vielen Ausrufezeichen noch mal nach. Fluchtministerin Paul sei auf der Suche nach einem Schuldigen. „Ich frage mich nun wirklich, wann gefordert wird, dass ich meine Sachen packe!“
Im Ausschuss erklärte der Regierungsdirektor als Zeuge, wie außergewöhnlich man es gefunden habe, dass Ministerin Paul die Verantwortliche der Paderborner Unterkunft so in den Fokus gerückt habe: „Das hat uns ein Stück weit verwundert. Irritiert.“ Er könne sich nicht daran erinnern, dass so etwas schon mal vorgekommen sei. An seinen Dezernatsleiter schrieb er seinerzeit, es müsse jetzt „nach außen gehandelt werden“; die Behördenleitung müsse das Gesicht wahren.
Was der Opposition im Landtag übel aufstößt: Die Leiterin der Unterkunft stand bereits als Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss. Die neuen Papiere bekam der Ausschuss erst danach. Es würden also Zeugen vernommen, obwohl noch Informationen fehlten, sie müssten gegebenenfalls erneut eingeladen werden, und vor allem: Die Vernehmung von Fluchtministerin Paul selbst schiebe sich immer weiter nach hinten.