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„Le Sacre du printemps“ von John Neumeier: das Ensemble mit fliegenden Armen. „Le Sacre du printemps“ von John Neumeier. © Imago

Nach dem Weggang von Boris Charmatz und Demis Volpi stehen die berühmten Tanzensembles vor ungewissen Spielzeiten.

Vor kurzem hat William Forsythe den Theaterpreis „Der Faust“ gewonnen, getanzt hat sein Stück „Blake Works V (The Barre Project“ das Hamburg Ballett. Das ist darum bemerkenswert, als diese wunderbare, vom Publikum bejubelte Choreografie eingekauft wurde von Demis Volpi für seine erste Saison als Intendant und Nachfolger von John Neumeier. Es war gleichzeitig seine letzte, denn einige Tänzerinnen und Tänzer beschwerten sich hurtig über seinen Führungsstil und erzwangen seinen abrupten Abschied. Eine Chance, in sein Amt hineinzuwachsen (er ist Jahrgang 1985), gab man ihm nicht. Sein Fehler offenbar: Er war nicht Neumeier.

In der Not: Nazareth Panadero trinkt Blumenwasser in „Nefes“ von Pina Bausch. In der Not: Nazareth Panadero in „Nefes“ von Pina Bausch. © Imago

Etwas länger immerhin, seit 2022, leitete der Franzose Boris Charmatz das Tanztheater Pina Bausch. Drei Jahre später hat er es jedoch schon wieder verlassen, über die Gründe wurde Stillschweigen bewahrt. Doch kann man sich seine Gedanken machen, denn vor ihm wurde bereits die Kuratorin Adolphe Binder, sagen wir es vorsichtig, alles andere als unterstützt. Danach ging sie ans Theater Basel, wo es seltsamerweise keine Beschwerden gab.

In Wuppertal wird nun erneut eine Spielzeit folgen – das gab es schon nach dem Tod Pina Bauschs 2009, aber da war es verständlich –, in der das Ensemble kein neues Stück tanzen wird, ausschließlich weiterhin die (zugegeben großartigen) Werke Pina Bauschs. Es fehlt eine künstlerische Leitung. In Hamburg ist der langjährige ehemalige Neumeier-Tänzer Lloyd Riggins zum künstlerischen Direktor gemacht worden, bis man einen neuen Intendanten, eine neue Intendantin findet. Im Dezember hatte stets ein großes Neumeier-Ballett Uraufführung, es war ein Ereignis, diesmal gibt es die Premiere „Romantic Evolutions“ mit „La Sylphide“ (1836) von August Bournonville und „Äther“ von Aleix Martínez, ein Solist des Hamburg Balletts, der sich von „La Sylphide“ inspirieren lassen will, wie es heißt.

Und immer wieder wird ein Werk erwartet

Warum scheint es so schwer – nein, ist es so schwer, neue künstlerische Köpfe für Tanzensembles zu finden, die über eine lange Zeit von einer großen Persönlichkeit geprägt wurden?

Der wichtigste Grund ist vielleicht, dass in der Sparte Tanz – jedenfalls, soweit nicht ein Kurator, eine Kuratorin das Sagen hat und eine Auswahl an Gästen einlädt – der Spielplan vom Intendanten-Choreografen oder der Intendanten-Choreografin geprägt wird. Zu deren Führungsrolle kommt, dass Spielzeit um Spielzeit mindestens ein größeres Werk von ihnen erwartet wird. Forsythe hat einmal im Interview erzählt, dass er als Chef des Frankfurter Balletts stets bemüht war, etwas wirklich Neues zu schaffen (die Kritikerin kann bestätigen, dass ihm das gelungen ist). Aber irgendwann fühlte er sich ausgebrannt.

Denn das, ein Jahresprogramm hauptsächlich mit Eigenem zu füllen (was auch ausdrücklich im Vertrag festgehalten sein kann), ist natürlich anstrengend. Sodass der Choreograf (oder die Choreografin) zumindest versucht, ein Ensemble um sich zu scharen, Tänzerinnen und Tänzer in die Kompagnie holt, die mit ihm können, mit denen er kann und die seinen Stil irgendwann im Schlaf beherrschen.

Dann liegt es umgekehrt freilich auch nahe, dass den Ensemblemitgliedern die Bewegungssprache ihres Chefs oder ihrer Chefin besonders liegt. Dazu die Arbeitsweise – bei Pina Bausch war sie eine sehr spezielle – und der Umgangston. Es ist bezeichnend, dass in Hamburg ältere Solisten die Rebellion gegen Demis Volpi angeführt haben, die sich nicht mehr ausreichend gewürdigt fühlten.

Auch nicht zu unterschätzen ist – und das ist offenbar in Wuppertal der Fall –, wenn die nicht-künstlerische Leitung und die Politik glauben, es besser zu wissen. In Wuppertal wurde Adolphe Binder vorgeworfen, sich „diktatorisch“ zu verhalten, gar zu mobben. In Wahrheit wurde versucht, ihren Ruf zu zerstören. „Bei einem Jour fixe sollen sich regelmäßig Politiker getroffen haben, um auf ihre Kündigung hinzuarbeiten“, berichtete 2019 der Deutschlandfunk, als ein zweites Gericht die fristlose Kündigung für unwirksam erklärte.

Es wundert nicht wirklich, dass eine solche Stellenbesetzung schwierig und umstritten sein kann, gerade wenn es um die Bewahrung eines so bedeutenden Erbes geht wie das von Pina Bausch und John Neumeier (übrigens soll er an der Entscheidung für Demis Volpi beteiligt gewesen sein, anders ist es auch kaum denkbar). Doch stellt sich in Wuppertal und in Hamburg die Frage, wie es weitergehen soll. Und ob den Verantwortlichen klar ist, wie viel Schaden sie bereits angerichtet haben.

Uraufführungen mit der Lupe suchen

Wer, der einen Namen zu verlieren hat, soll denn jetzt noch nach Wuppertal gehen, das die sprichwörtliche Schlangengrube zu sein scheint? Und wer hat Lust, sich mit einem Ensemble anzulegen, das Blut geleckt hat? Oder will man in Hamburg warten, bis diejenigen in Rente sind, die sich nicht mit Volpis anderen Vorstellungen abfinden wollten?

Oder möchte man in beiden Städten weiterwursteln mit ausgedünnten Spielplänen, in denen man zudem Uraufführungen mit der Lupe suchen muss? Oder denkt man, dass das Publikum es nicht merkt, wenn man ihm nur noch vorsetzt, was es in den vergangenen Jahrzehnten zu sehen bekam? Welches Theater und welche Oper würde sich trauen, nur noch bewährte Inszenierungen auf den Spielplan zu setzen.

Aber ja, Theater und Oper haben das Problem einer so beherrschenden, stilprägenden Persönlichkeit an der Spitze nicht. In dieser Klemme sitzt allein der Tanz. Und das übrigens nicht nur in Hamburg und Wuppertal.