„Design heißt, Denken und Machen aufeinander zu beziehen. Ästhetik ohne Ethik tendiert zur Täuschung“, hat Otl Aicher gesagt, einer der prägendsten Gestalter, die dieses an gutem Design so reiches Land hervorgebracht hat. Wie wichtig die ethische Dimension eines Produkts heutzutage auch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Erfolgsaussichten ist, wurde bei der Präsentation des diesjährigen Designpreises Focus Open deutlich.
Design als harter Wirtschaftsfaktor
Einmal mehr verwies die Direktorin des Design Centers Baden-Württemberg Christiane Nicolaus auf die Abhängigkeiten der Designzunft von der Wirtschaft – und umgekehrt: „Design ist ein Innovationstreiber, aber auch knallharter Wirtschaftsfaktor“, sagte Nicolaus beim Rundgang durch die Preisträger-Ausstellung im Haus der Wirtschaft.
Kleine Unternehmen und Start-ups
Der Focus Designpreis wird bereits seit dem Jahr 1991 vergeben. Und dass es ihn immer noch gibt, ist alles anders als selbstverständlich. Denn der Focus gehört zu den wenigen Designpreisen, die nicht kommerziell sind – anders als beispielsweise der Red Dot Award, bei dem eine nicht unerhebliche Teilnahmegebühr erhoben wird.
Der Focus ist anders, weil viele der ausgezeichneten Projekte von kleineren Unternehmen oder Start-ups stammen, und auch weil die Jury jährlich wechselt und damit neue Sichtweisen ermöglicht werden. Ein gutes Beispiel für diese Anpassungsfähigkeit ist die erstmals eingeführte Kategorie „Immersive Medien“, für die es nach Angaben der Direktorin Nicolaus viele Einreichungen gab.
Auch aus diesem Grund bleibt der Focus ein ziemlich perfektes Förderinstrument des Landes, um innovative Firmen genauso wie Einzelkämpfer gleichermaßen in der öffentlichen Wahrnehmung hervorzuheben. Deswegen sind die Anforderungen an die einreichenden Designerinnen und Designer hoch und die Ergebnisse in den allermeisten Fällen überzeugend.
Die Modulbausteine aus Holz der Stuttgarter Firma Triqbriq mit Tübinger Fertigungsstandort gewinnt den begehrten Meta-Preis. Foto: Triqbriq
Insgesamt gab es dieses Jahr 16 Kategorien und 57 Preisträger, davon 18 mit der Auszeichnung „Gold“. Auch der sogenannte „Meta“-Preis wurde vergeben, was nicht jedes Mal der Fall ist. Wer den Meta-Preis erhält, erfüllt ein ganzes Bündel an gestalterischen, ethischen wie auch ökologischen Anforderungen, und in diesem Jahr geht dieser Award an die Stuttgarter Firma Triqbriq und ihr Modulsystem mit Massivholzbausteinen.
Es handelt sich dabei um standardisierte, in Tübingen produzierte Bauelemente, die man etwa für den Hausbau verwenden kann: schnell, ohne Kleben, ohne Aushärten, ohne Trocknen. Die „Briqs“ bestehen aus rückgebautem Altholz, sind also ressourcenschonend. Tatsächlich benötigt die dauerkriselnde Bauwirtschaft mit ihrem gigantischen CO2-Fußabdruck dringend neue Impulse, und nachhaltige Projekte wie Triqbriq könnten eine gut gestaltete Antwort auf viele Fragen sein.
Innovationen für Radfahrer und Hundefreunde
Die Bandbreite ist groß. Zahlreiche Einreichungen und Gewinner haben sich clevere Gedanken zum Trendthema Mobilität gemacht. Pluto M beispielsweise ist ein schicker und praktischer Hundeanhänger, den die Schorndorfer Designer von WhiteID kreiert haben. Das Teil fürs Fahrrad ist leicht, ist mit einem intuitiven Faltmechanismus ausgestattet, bietet einen ergonomischen Einstieg, fühlt sich hochwertig an – und sieht auch noch gut aus.
Da will man gleich Hund sein. Falls man nicht ein begeisterter Radfahrer ist und auch bei schlechten Lichtverhältnissen sicher und stylish unterwegs sein will. Ein überaus dezentes, aber intensives Rücklicht, das zugleich als Bremslicht dient und spontane Temporeduzierungen anzeigt, war der Jury einen Gold-Award wert, der nach Gundelfingen geht, zu den radbegeisterten Leuten der Firma Supernova Design.
Sexspielzeug und Bestattungsurne
Dass die Focus-Jury keine Scheuklappen hatte, sieht man auch an zwei weiteren überraschenden Prämierungen. Zum einen geht es um Sex, zum anderen um den Tod. Beides gehört zum Leben. Gutes Design kennt kein Tabu, weshalb es dieses Mal eine besondere Erwähnung für einen Druckwellenvibrator von der Firma EIS aus Bielefeld gibt, mit zwölf Programmen zur erotischen Stimulation allein oder zweit. Geschwungenes, unprätentiöses Design, leicht zu reinigen, mit USB-Anschluss – das Sexspielzeug „Mermaid Vibes“ muss man nicht mehr im Nachtisch verstecken.
Außergewöhnlich ist auch der goldprämierte Beitrag von Proservation aus Stuttgart und Urnique aus Berlin: ihre apart geformte und ökologisch unbedenkliche Urne Grano besteht aus Dinkelspelzen und einem pflanzlichen Bindemittel. Maximal zwei Jahre dauert es, bis das Behältnis rückstandsfrei zersetzt ist.
Menschengerechtes Design im Mittelpunkt
Weniger aufregend, dafür nicht minder vernünftig und praktisch sind innovative KI-Avatare, Wassersprudler, Tourenskischuhe, Tischfeuer, Milchpumpen und Gaming-Stühle. Vieles ist schon auf dem Markt erhältlich, einiges macht den Alltag unmittelbar besser, erträglicher.
Und anderes könnte sogar der Auftakt einer kleinen, großen Revolution sein. Dass gutes Design in erster Linie den Nutzern dient und nicht hauptsächlich dem Marketing eines Konzerns, betonte Christiane Nicolaus, die Direktorin des Design-Centers Baden-Württemberg, immer wieder. Wie menschengerechtes Design aussehen kann, erkennt man sofort an der Beschreibung einer neuen emissionsfreien Regionalbahn, die Ausdruck unserer Zeit und Sehnsucht ist.
Nicht-elektrifizierte Bahnstrecken werden aktuell noch mit Dieselfahrzeugen bedient, doch künftig könnten Züge fahren, die ihre Energie aus Batterien oder Wasserstoff beziehen. Der für Stadler Rail AG aus der Schweiz designte Zug RS Zero mit seinem je nach Bedarf individuell konfigurierbaren Interieur könnte die Mobilität entscheidend beeinflussen. Das Innova Design Team aus Wangen im Allgäu beweist, ganz im Sinne Otl Aichers, dass gutes Design immer beides ist: ästhetisch und ethisch.
Info
Ausstellung
Die Auszeichnungen des Internationalen Designpreises Baden-Württemberg Focus Open 2025 und die prämierten Arbeiten des Mia Seeger Preises sind bis zum 23. Januar im Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg (Willi-Bleicher-Straße 19) in Stuttgart zu sehen. Öffnungszeiten montags bis freitags 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Öffentliche Führungen finden ebenfalls statt und zwar am 27. November, am 4. Dezember sowie am 22. Januar 2026, jeweils von 17 bis 18 Uhr. Weitere Informationen unter www.design-center.de