W ie sie es mit der Religion hat?, fragt Faust Gretchen. Die Gen Alpha stellt ihre eigene Gretchenfrage: „Eyo, Ikki, fetzen wir ’ne Kleine?“, will der Berliner Rapper Ski Aggu in seinem Song „Deutschland“ von der Rapperin Ikkimel wissen. Wie die Rapperin aus Tempelhof es mit der Religion hat, verbirgt sie nicht: „Nimm das Kreuz aus deiner Bio, du Fotze“, fordert Ikkimel in „Who’s That“ – eine Ansage an christlich-fundamentalistische Tradwives.

Neben Goethes „Faust“ könnten auch Texte wie diese künftig Einzug ins Klassenzimmer halten. Das wünschen sich zumindest Berliner Schüler*innen. Sie fordern, mehr Rap im Unterricht zu behandeln. Im Deutschunterricht ausschließlich Klassiker, wie „Faust „oder „Der zerbrochene Krug“ zu lesen, sei „viel zu einseitig und überholt“, sagt Berlins Landesschülersprecher Orçun Ilter dem RBB. Viele Schü­le­r*in­nen mit Migrationsgeschichte hätten dazu „wenig bis gar keine Anknüpfungspunkte“, betont er. Die Klassiker sollen nicht ersetzt, der Lehrplan lediglich um moderne Werke, die die Jugend- und Straßenkultur prägen, erweitert werden.

Mit ihrer Forderung sind die Ber­li­ne­r*in­nen nicht die Ersten: Offenbachs Stadtschülerrat setzt sich schon seit Wochen dafür ein. Auslöser war die Netflix-Doku über Aykut Anhan alias Haftbefehl: ein schonungsloses Porträt des mit Drogen dealenden Jungen aus Offenbach, der mit 14 die Schule abbricht und später zum drogenabhängigen Rapstar wird.

Der Wunsch der Kids aus Offenbach stieß jedoch auf Ablehnung: Der Rapper stehe für Kriminalität und Drogen, das gehöre nicht in die Schule, antwortete das CDU-geführte hessische Kultusministerium. Zudem würden Lehrpläne bestimmten Kriterien unterliegen. In Berlin sieht man das entspannter. Martin Klesmann, Sprecher der Bildungsverwaltung, sagte dem Checkpoint: Der Rahmenlehrplan Deutsch „lässt den Schulen Spielräume, Schwerpunkte zu setzen“.

Probleme thematisieren statt ausblenden

Klar: Die Verherrlichung und Ästhetisierung von Drogenkonsum im Rap ist problematisch. Wenn Berliner Künst­le­r*in­nen wie Zsá Zsá von „Xanax, high sein, Rauschgift illegal“ rappen oder Pashanim von Freunden, die „auf Lean wie Heroin“ sind, bleibt das nicht folgenlos. Gleiches gilt für die Trans-, Homo- und Frauenfeindlichkeit, die sich durch Raptexte zieht – von Sido und Peter Fox über Pashanim bis hin zu Ski Aggu. Aber genau deshalb gehören die Texte ins Klassenzimmer: um diesen Realitäten ins Auge zu schauen, die Probleme zu thematisieren und einzuordnen.

Nicht zuletzt, weil diese Texte auch junge Menschen ermutigen, soziale und kulturelle Barrieren abbauen. So empowerte etwa Sookee mit ihrem feministischen Rap bereits in den nuller Jahren Frauen, heute inspiriert der erste offen schwule Rapper, Baran Kok, Menschen dazu, sich zu outen. Ikkimel hat mit „Who’s That“ einen Tiktok-Trend angestoßen, in dem Tausende ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt teilten, Apsilon einen Trend, in dem Männer über ihre Gefühle zu ihren Vätern sprachen.

Wer meint, dass diese Rap­pe­r*in­nen nicht die deutsche Kultur formen, der täuscht sich – ähnlich wie Gretchen über Fausts Absichten.