Die Feuertreppen außen an der Fassade sind ihm ein Dorn im Auge. Für Jim Zimmermann verschandeln sie das Gebäude, genauer gesagt den Treffpunkt Rotebühlplatz. Und das bereits seit Jahren. „Im Jahr 2019 wurden sie angebracht – aufgrund von Brandschutzauflagen, denn einem Bauteil des Gebäudes fehlt der zweite Fluchtweg“, sagt Susanne Voßler, Sachgebietsleiterin für die Veranstaltungskoordination der Volkshochschule Stuttgart (vhs). „Eigentlich sollten die Feuertreppen nur eine Interimslösung sein.“
Sie ragen also seit nunmehr sechs Jahren an der Fritz-Elsass-Straße in den Gehweg hinaus – und scheinen einen ganzen Rattenschwanz an weiteren noch ungelösten Problemen hinter sich herzuziehen. Und sie verärgern nicht nur Jim Zimmermann, sondern auch Fußgänger. Aber ihm persönlich kommt die Sache mit dem Brandschutz noch dazu wie ein Déjà-vu vor, sie katapultiert ihn direkt in die Vergangenheit zurück.
Denn Zimmermann arbeitete vor über 30 Jahren als Architekt bei dem Architekturbüro Horst Haag, das damals mit einem Entwurf der Architektin Barbara Hofmann und des Architekten Reinhard Kühn den ersten Platz bei der Ausschreibung für einen neuen Bildungsort gewann, in dem unter anderem die vhs und die Stuttgarter Musikschule unterkommen sollte.
Inspiration für den Stuttgarter Bau war das Centre Pompidou
Dieser Entwurf sah eine riesige Stahlkonstruktion mit Stahlträgern vor, in welche die Ebenen eingehängt werden sollten. Der praktische Grund dafür war, dass somit nicht in die bereits bestehende, darunter liegende Tiefgarage eingegriffen werden musste. Doch für die ästhetische Wirkung war die Inspirationsquelle das Centre Pompidou in Paris. Zimmermann ist noch immer begeistert von diesem Entwurf.
Doch kurz nachdem der Entwurf als Gewinner aus dem Wettbewerb hervorgegangen war, änderte sich der Brandschutz – und der Entwurf erwies sich brandschutztechnisch als nicht mehr durchführbar. „Man hätte sonst alle Stahlträger dick ummanteln müssen, sie müssen mehrere Tage einem Brand standhalten“, erinnert sich Zimmermann.
Also machte sich das Büro Horst Haag an einen zweiten Entwurf, dieses mal unter der Leitung des Architekten Rainfried Rudolf, der später Nullenergiehäuser entwarf. Dieser zweite Entwurf arbeitete nun doch mit einer Gründung des Gebäudes, die Stützen mussten durch die Tiefgarage gehen. „Die Herausforderung war es damals, wie wir möglichst viele Stahlträger platzieren konnten, ohne Stellplätze in der Tiefgarage zu zerstören?“, sagt Zimmermann, der auch an diesem zweiten Entwurf mitarbeitete.
Statt Stahlträger nutzte man nun Stahlbeton. Es wurde viel Sorgfalt auf Details und die Gestaltung gelegt. Das Gebäude bildet einen massiven Riegel zur Fritz-Elsass-Straße hin, die andere Seite zum Finanzamt hin ist weich, der Eingang öffnet sich zum Rotebühlplatz und zur Stadt hin.
An Stelle der Kreuzung war eigentlich ein Kreisverkehr geplant. Die Fassade wird bestimmt von Betonsteinsichtmauerwerk im Wechsel mit Alu- und Glas-Fassadenteilen. Auch im Inneren dominiert Sichtbeton und Sichtmauerwerk die Wände, die Haustechnik ist nicht verputzt, sondern komplett freigelegt.
Lob von Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel
Offene Gestaltung und konsumfreier Aufenthalt – mitten in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
„In unsren Württemberger Landen wird dies ein wahrer Bildungshort, was heut‘ zerstreut ist allenthalben wird Mittelpunkt an diesem Ort“. So heißt es im Richtspruch für den Treffpunkt Rotebühlplatz am 27. März 1990. Zur Einweihung und Inbetriebnahme am 17. Januar 1992 fand Manfred Rommel, damaliger Oberbürgermeister von Stuttgart, lobende Worte: „Die unprätentiöse Architektur des Hauses, die sich weniger, klar definierter Gestaltungsmittel bedient, wirkt auf den ersten Blick vielleicht nüchtern; auf den zweiten Blick hingegen wohltuend konzentriert und streng, reduziert auf die Vermittlung der zugrunde liegenden konzeptionellen Gedanken der Offenheit und Transparenz auf allen Ebenen.“
Ein konsumfreier Ort mitten in der Stadt
Der Treffpunkt Rotebühlplatz ist ein Bildungshaus par excellence: „Wir hatten das Glück, dass das Gebäude von Anfang an als Bildungshaus geplant war – und die Stadt dafür so viel Geld in die Hand genommen hat“, sagt Christine Nasz von der Stabstelle Bau und Sanieren der vhs. Die Baukosten beliefen sich auf insgesamt 98,8 Mio DM.
Dank der dieser beider Punkte funktionierte das Gebäude von Anfang an – und über Jahrzehnte hinweg. Es gibt Unterrichtsräume, Werkstätten, Ausstellungsflächen, Säle und das Foyer als riesige Halle. Auch auf den verschiedenen offenen Ebenen können Ausstellungen, Konzerte oder Messen veranstaltet werden. „Die Ebenen haben auch im funktionalen Sinn einen Wert, nicht nur als Ornament“, sagt Nasz. Der Treffpunkt Rotebühlplatz wurde von den Bürgern gut angenommen, sowohl das Kursangebot als auch als konsumfreier Raum, den jeder nutzen kann, bestätigt Susanne Voßler, die seit 1992 im Haus ist.
Der gesamte Treffpunkt Rotebühlplatz soll saniert werden
Doch dann kam im Jahr 2019 wieder das Thema Brandschutz auf. Das Problem: Für den Bauteil F fehlt der zweite Fluchtweg. Seitdem stehen die Feuertreppen am Gebäude – und seitdem dürfen das Foyer und die verschiedenen Ebenen nicht mehr bespielt werden. Ein herber Verlust für die Bildungseinrichtungen.
Inzwischen ist klar, dass mehr ansteht als nur der Brandschutz. Das gesamte Gebäude soll saniert werden. „Das Gebäude muss mittelfristig grundlegend neustrukturiert werden. Hier handelt es sich um eine genehmigungsrechtliche Neukonzipierung. Insbesondere müssen die Flucht- und Rettungswege einschließlich aller sicherheitsrelevanter Einrichtungen sowie die gesamte Haustechnik betrachtet werden“, heißt es von Seiten der Stadt.
Angekündigt war dies schon lange. Im Jahr 2021 berichtete unsere Zeitung von der geplanten Sanierung. Damals wurde der Zeitplan wie folgt beschrieben: „Die Sanierung der Lehrküche wird von Anfang August bis Ende September 2021 umgesetzt, der Einbau der neuen elektronischen Schließanlage soll Ende des Jahres erfolgen. Erst dann, im Zeitraum zwischen Sommer 2022 bis Sommer 2023, kommt die Dachfläche dran, die begrünt wird und eine Solaranlage bekommt.“
Ganz neu, so hieß es damals, müsse die Struktur der offenen Erschließungshalle im Zusammenspiel mit den Anforderungen gedacht werden. Die Zeitschiene sah damals sah so aus: Die Vergabe der Planungsleistungen soll im Juni 2021 geschehen, der Antrag auf Baugenehmigung soll Ende 2023 eingereicht werden.“
Nun aber heißt es auf Anfrage unserer Zeitung, dass „die Sanierungsarbeiten erst im nächsten Jahr beginnen. Bisher wurden nur sämtliche Voruntersuchungen und Beprobungen durchgeführt, um den Ist-Zustand zu analysieren.“ Derzeit liefen die Ausführungsplanung für die Dach- und Sonnenschutz-Sanierung am Treffpunkt Rotebühlplatz. Das beträfe auch eine neue Dachentwässerung des Gebäudes, die aufgrund zahlreicher Schäden und Mängel nötig seien.
Einhergehend sind damit auch die erhöhten Anforderungen der Energierichtlinien der Landeshauptstadt Stuttgart – unter anderem die Vorgaben zur Dachbegrünung und PV-Anlagen – umzusetzen. Die defekten Sonnenschutzanlagen werden ebenfalls in diesem Zuge erneuert. „Mit der Dachsanierung soll im Herbst 2026 begonnen werden“, sagt Voßler. Wann die Sanierung vollständig umgesetzt sein und wie hoch die Kosten seien werden, dazu könne erst eine Aussage getroffen werden, wenn die Machbarkeitsstudie vorliegt, heißt es von Seiten der Stadt.
Offene Haustechnik und verschiedene Ebenen prägen das Gebäude. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Durch die Geometrie und Größe des Treffpunkts erweist sich die anstehende Dach- und Sonnenschutzsanierung als eine äußerst komplexe bauliche Maßnahme. „Wie bei jeder Baustelle ist auch hier mit einer erhöhten Lärmbelastung zu rechnen“, heißt es von Seiten der Stadt. „Der zeitliche Rahmen für die Arbeiten der Dachentwässerung hält sich allerdings in Grenzen und wird sich nicht im vollen Umfang auf die Besucher auswirken.“
Mit der genehmigungsrechtlichen Neukonzipierung müsse man noch warten. „Die bisherigen Nutzer (vhs und Musikschule) sollen an einen anderen Standort kommen. Sobald die Grundlagen feststehen, ist die Realisierbarkeit über eine Machbarkeitsstudie genauer zu untersuchen. Zudem sind noch entsprechende Entscheidungen des Gemeinderats im Rahmen der anstehenden Haushaltsplanberatungen erforderlich.“
Die Bildungsinstitutionen sollen aus dem Treffpunkt Rotebühlplatz weichen
Tatsächlich ist es so, dass die Volkshochschule und die Musikschule für die Zeit der Neukonzipierung weichen müssen. Als Interimsstandort wird das Uhland Carré, der ehemalige Standort der Allianz-Versicherung, gehandelt. Aber auch das steht laut Stadt noch nicht definitiv fest.
Es scheint sich aber herauszukristallisieren, dass die Institutionen nicht zurück in den Treffpunkt Rotebühlplatz kommen. Was mit dem Treffpunkt Rotebühlplatz passieren soll, ist auch noch nicht klar. Allein, dass „auch für die Zukunft der Blick auf kulturelle Nutzungen“ geworfen wird, „die jedoch noch nicht feststehen“, lässt die Stadt verlauten. Sowie: „Aufgrund der äußerst schwierigen Haushaltslage stehen alle Projekte auf dem Prüfstand“.
Nasz und Voßler halten generell nichts von dieser Idee. „Der Treffpunkt Rotebühlplatz wurde eigens als Bildungshaus und für uns geplant und errichtet. Und das funktioniert bis heute, denn Institution und Raum können sich verstärken. Dem Haus etwas anderes überzustülpen ist nicht gut“, sagt Nasz. „Für uns hängt viel dran – aber auch für die Stadt“, schließt Voßler.
Zur Geschichte
Der Rotebühlplatz trägt seinen Namen noch nicht so lange, erst seit den 1960er Jahren wird der Platz an der Rotebühlstraße so genannt. Davor war er unter dem Namen “Alter Postplatz” bekannt. Großer Nachbar war die benachbarte Rotebühl-Kaserne, das heutige Finanzamt. Am Standort des heutigen Treffpunkt Rotebühlplatz war, daher auch der Name Alter Postplatz, die Post. Entlang der Fritz-Elsas-Straße, früher Gartenstraße, standen einzelne Wohn- und Geschäftsgebäude. Zwischen der Kaserne und der Gartenstraße war eine Grünflache. Nach dem Krieg war das Areal am Alten Postplatz lange eine Brachfläche, bevor es als Parkplatz benutzt wurde.