Merz schlägt wieder zuBerlin oder Belém – Hauptsache Fettnapf22.11.2025, 07:01 Uhr
Hendrik Wieduwilt
CDU-Chef Friedrich Merz steht vor seiner bislang längsten Auslandsreise als Bundeskanzler. (Archivbild) (Foto: Michael Kappeler/dpa)TeilenFolgen auf:
Der Kanzler kann es nicht lassen: An das Finale einer entglittenen „Stadtbild“-Debatte knüpft Friedrich Merz die nächste Kommunikationspanne. Hätte er doch nur die KI befragt!
„Hat Merz keine Berater?“, werde ich auch in dieser Woche mal wieder gefragt. Ja, dem Bundeskanzler ist mal wieder ein kleines Medien-Malheurchen widerfahren. Wieder war es so unnötig wie eine zweite Nase auf der Stirnglatze, wieder füllt es die Pressespiegel mit negativen Schlagzeilen.
Hatten wir uns nicht gerade halbwegs von der „Stadtbild“-Debatte erholt? Nun mokierte sich der deutsche Regierungschef über ein Land, das ihn gerade noch willkommen geheißen hatte. Auf dem Handelskongress in Berlin sagte er: „Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben.“
Das könnte freilich daran gelegen haben, dass kein Journalist mit Restwürde solche Mätzchen des Kanzlers mitmacht. Oder daran, dass die mitreisenden Journalisten ein Privatleben in Deutschland führen. Der Kanzler interpretierte die ungehobenen Hände aber als Deutschlandlob: „Die“ – Merz meint die Journlisten – seien „alle“ froh gewesen, dass man von „diesem Ort“ – gemeint ist der Tagungsort der Klimakonferenz, Belém – wieder zurückgekehrt sei.
Friedrich, das ist doch Mist
Da war natürlich ordentlich Samba in Brasil und wer nun „Merz“ und „Belém“ googelt, findet vor allem Berichte über des Kanzlers peinlichen Ausfall – ebenso wie bei der Suche „Merz“ und „Handelskongress“. Die Medienechos von zwei Auftritten mit nur einer Formulierung vergiften, das ist sogar für Merz beachtlich. Der Kanzler kann das Herabschauen offenbar nicht lassen, ob es Migranten, Frauen, Schwule oder der globale Süden ist.
Also: Hat er keine Berater? Dass Merz sich womöglich mit den falschen Leuten umgibt, ist schon länger offenes Geheimnis in Berlin. Im offiziellen Redemanuskript des Kanzlers ist die bescheuerte Passage tatsächlich enthalten – diesmal scheint es also keine verrutschte Improvisation zu sein, sondern ein planvoller Griff in die Toilette.
So ein Entwurf geht normalerweise durch einige Hände. Hat da niemand gesagt, Friedrich, das ist doch Mist? Hat niemand gesagt: Könnten wir vielleicht nicht auf das Land spucken, aus dem wir grad zurückkommen, was macht denn das für einen Eindruck? Wollen wir wirklich klingen wie Donald Trump, der afrikanische Länder als „shithole“-countries titulierte?
Immerhin ist es nicht Belém!
Überhaupt: Fällt niemandem im Kanzlerdunstkreis etwas Positiveres zu Deutschland ein als „aber immerhin ist es nicht Belém!“?
Offenbar nicht. Dabei war es schon seltsam, im Flugzeug mit Journalisten über die Großstadt zu lästern. Immerhin, im Flugzeug war es noch ein Hintergrundgespräch, aus dem nicht zitiert werden darf – und Profis halten sich an solche Abreden eisern. Schon im Flieger hätte ein Berater aber sagen können: Das mit Belém war heikel!
Doch vielleicht passiert mit Despektierlichkeiten dasselbe wie mit Tomatensaft: Auf 30.000 Fuß schmecken sie deutlich besser als am Boden. Denn auch Donald Trump verrutschte in dieser Woche die Kommunikation im Flieger. Auf die Epstein-Affäre angesprochen, befielt er mit barscher Geste einer Journalistin, sie, ein „Schweinchen“, möge den Mund halten („quiet, piggy“). Vielleicht sollten tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten gelegentlich eine Valium einwerfen.
Blind für urkonservative Werte
Vielleicht liegt es ja auch am Stress. Als Trump mit Journalisten sprach, wurde das Flugzeug von so starken Turbulenzen durchschüttelt, dass der Präsident um seine TV-Wirkung bangte. Ohnehin steht er in der Heimat unter Druck wie wohl noch nie. Auch Merz dürfte im Flieger unter Strom gestanden haben, denn in Berlin hört seit dem Streit um die Rente das Gerede von der Minderheitsregierung nicht auf.
Dabei ist auch der eskalierte Streit mit den jungen CDUlern ein Ausweis von Empathielosigkeit: Denn Haushaltsdisziplin ist ein urkonservativer Wert, zumal angesichts der gerade wieder anschwellenden Debatte um die gelockerte Schuldenbremse. Wenn da über 100 Milliarden Euro im Feuer stehen, hätte man das vor dem Kabinettsbeschluss erkennen müssen.
Hier begeht das Team Merz den gleichen Fehler, den es sich schon beim Richterwahldebakel geleistet hat. Damals waren es konservative Kernthemen etwa zur Abtreibung, die Merz‘ eigene Leute aufbrachten. Also auch hier: Wo sind die Berater gerade? Und was macht Jens Spahn eigentlich beruflich?
„Warnstufe Rot!“
Sicher: Man sollte sich über die Profession der Kommunikationsexperten keine Illusionen machen. Niemand kann aus einem polternden Brocken einen empathischen Volksflüsterer zimmern. Und wenn jemand in Amt und Würden improvisieren will, wird ihm kein Pressesprecher der Welt ins Mikrofon springen.
Doch eines geht immer: Einen Redeentwurf kurz vor Abgabe durch die KI jagen. Ich habe das mit dem öffentlichen Redetext getan: „🚩 Warnstufe Rot“, schreibt die Maschine zur „Anekdote über die Journalisten“ und führte aus, es handle sich um einen „diplomatischen Affront“, widerspreche den Zielen des Redners, das Mercosur-Abkommen abzuschließen und: „Ein Regierungschef, der auf offener Bühne Witze darüber macht, wie froh alle waren, ‚von diesem Ort‘ wegzukommen, riskiert Schlagzeilen in der internationalen Presse.“
Recht hat die KI – und traurig ist der Befund: Eine Maschine zeigt mehr Empathie als der Kanzler. Eines erwähnt die Maschine in ihrer Antwort aber nicht, weil ich ihr nicht gesagt habe, um wen es geht: Die Pannen sind nicht nur verletzend und überschatten die politische Bilanz.
Merz riskiert durch diese Unprofessionalitäten auch das wenige an Rückhalt, das ihm nach einer Serie von Affronts und Pannen noch geblieben ist.