Der Torjäger erscheint in Dortmund mit seinen drei Toren wie ein Wiedergänger des legendären Gerd Müller. Dennoch stört den 29-Jährige die angebliche Stürmerdiskussion in Stuttgart.
Im Moment des persönlichen Triumphs ist Deniz Undav kein Vergleich zu groß erschienen. Also fiel der Name des erfolgreichsten deutschen Mittelstürmers alles Zeiten, eines weltweiten Phänomens im gegnerischen Strafraum. Oft wurde Gerd Müller vom FC Bayern München mit seinen Toren und Drehungen beschrieben, aber nie bekamen ihn die Verteidiger wirklich zu fassen. Dabei rannte die legendäre Nummer neun nicht schnell, aber er bewegte sich gedankenschnell und instinktsicher – und wusste, wo das Tor steht. Wie Undav. Findet Undav. Zumindest nach diesem spektakulären Fußballnachmittag in Dortmund.
Drei Tore hat der Angreifer des VfB Stuttgart beim 3:3 im Signal-Iduna-Park erzielt und sich als Schreckgespenst der Borussia erwiesen. Nie war Undav von den BVB-Verteidigern zu erwischen – von Emre Can nicht, von Waldemar Anton nicht und auch nicht von Nico Schlotterbeck. Wie einst beim mittlerweile verstorbenen Müller, als die Abwehrspieler hinterher nicht begreifen konnten, wie der Weltmeister von 1974 das wieder gemacht hatte. Diesmal waren es die unfassbaren Treffer seines Wiedergängers im Trikot mit dem Brustring und der Rückennummer 26. „Typische Undav-Tore würde ich sagen. Vor allem das dritte. Das war im Gerd-Müller-Style“, meint Undav zwar mit einem Augenzwinkern, aber es ist durchaus ernst gemeint: „Weltklasse, wie ich den Körper reinstelle, den Arsch herausdrücke, mich drehe und durch die Beine abschließe.“
In Undavs persönlicher Torparade war der dritte Treffer in der Nachspielzeit der Schönste. Spektakulärer war jedoch sicher das Anschlusstor (47.), als er mit dem Rücken zum BVB-Gehäuse Emre Can und Torhüter Gregor Kobel narrte. Immens wichtig war der Ausgleich, als der 29-Jährige am schnellsten reagierte (70.). Das stärkte den Glauben an die Comeback-Qualitäten nach einem 0:2-Rückstand. „Deniz hat im ersten Abschnitt noch nicht auf dem herausragenden Level des zweiten Durchgangs gespielt, aber nach der Pause hat er seine Stärke gezeigt“, sagt der Trainer Sebastian Hoeneß, „er ist von null auf hundert in einem Moment da.“
Dabei lief die Partie zunächst an Undav vorbei – bis er Schlotterbeck im eigenen Strafraum touchierte und es einen umstrittenen Foulelfmeter gab, den Can verwandelte (34.). „Was dann kommt, ist von der Spielentwicklung natürlich mehr als unglücklich. Der Strafstoß hat dem Spiel einen Richtungswechsel gegeben, gegen den unheimlich schwer anzukommen war. Es herrschte zunächst Ernüchterung pur. Aber genau das zeichnet die Mannschaft aus. Das sind alles Stehaufmännchen“, sagt der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth. Weil der VfB noch das 0:2 durch Maximilian Beier (41.) und das 2:3 durch Karim Adeyemi (89.) kassierte.
Es schien mal wieder ein Stuttgarter Auswärtsspiel zu werden, in dem die Hoeneß-Elf gefällt, es am Ende aber im Angriff an Durchschlagskraft mangelt und somit die Punkte verloren gehen. Plötzlich änderte sich die Szenerie jedoch wieder. „Erneut sind wir mit Entschlossenheit aus der Kabine gekommen und haben den Gastgeber unter Druck gesetzt. Deniz hat dann in unnachahmlicher Art für uns getroffen“, sagt Wohlgemtuh.
Das Unentschieden von Dortmund ist deshalb anders zu werten als die bisherigen Auftritte in fremden Stadien. Selbst, wenn der VfB nach dem elften Bundesliga-Spieltag vom vierten auf den fünften Tabellenrang abgerutscht ist. Denn der Zähler zahlt auch auf die Moral der Mannschaft ein. Davon lässt sich womöglich länger profitieren, aber nicht nur weil es gegen einen Topgegner ging. Wichtiger erscheint, dass die Stuttgarter vor den nächsten drei Auswärtsaufgaben in drei Wettbewerben (Deventer, Hamburg, Bochum) ein Erfolgserlebnis gefeiert haben. Das bestätigt den Reifeprozess seit Saisonbeginn und gibt für den Augenblick ein gutes Gefühl.
„Wir glauben einfach an uns und haben keinen Qualitätsverlust, wenn die Spieler von der Bank kommen. Das ist ein Schlüssel zum Erfolg“, sagt Undav. Noch in Leipzig, dem ersten Spitzenspiel der Saison für die Stuttgarter, ging das Ganze trotz der phasenweise starken Leistung mit dem 1:3 schief. Davor suchte der VfB gegen die körperbetonte Spielweise der Berliner (1:2) und Freiburger (1:3) die richtige Haltung. Gefunden hat sich ein Team, das immer mehr zusammenwächst und seine Spielstärke auf Basis der sogenannten Grundtugenden zum Tragen bringt. Hohe Intensität, große Laufbereitschaft, enorme Zweikampfstärke. Stimmen diese Faktoren, ist vieles möglich.
Der VfB-Trainer Sebastian Hoeneß blickt auf die nächsten Auswärtsaufgaben. Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch
In Dortmund passte es. Dennoch brauchte es die unglaubliche Undav-Show, um dem westfälischen Umschaltfußball zu trotzen. Doch mit der Schlusspointe lieferte der Angreifer dann auch die Antwort auf eine Frage, die ihn umtreibt. „Es heißt immer, der VfB hat keine Stürmer und ich sei kein Stürmer“, sagt der Torjäger nach dem Ausfall von Ermedin Demirovic und der dünnen Personaldecke im Angriff. Er fühlt sich verkannt. Präziser müsste es deshalb heißen: Undav ist kein Stoßstürmer. Aber er selbst betont: „Ich bin ein Neuner. Mein ganzes Leben lang habe ich im Fußball nichts anderes getan, als Tore zu schießen.“ Wie einst Gerd Müller.