Eine Megaaussicht über Stuttgart und ein futuristisch anmutendes Einfamilienhaus aus Beton und Glas, das in der Luft zu schweben scheint, macht den Stuttgarter „Tatort“-Kommissaren Bootz und Lannert in der Folge „Überlebe wenigstens bis morgen“ Konkurrenz. Vor lauter Begeisterung über die kühne Architektur verliert man schier den Kriminalfall aus den Augen.

Wo die Beton-Villa steht, ist architekturaffinen Stadtflaneuren und Zacke-Fans bekannt, sie ist von anderen Stuttgarter Anhöhen aus weithin sichtbar, schon wegen des Mammutbaumes direkt daneben leicht zu orten. Doch wie kam es zu dem außergewöhnlichen Bau an der Alten Weinsteige?

Alles über das Haus dem Stuttgart-„Tatort“ „Überlebe wenigstens bis morgen“

  • Baujahr: 2006
  • Bauzeit: rund 1 Jahr
  • Wohnfläche: etwa 200 Quadratmeter
  • Architekt: Gunter Schulz
  • Baumaterial: hauptsächlich Beton

Der Stuttgarter Architekt des Gebäudes Gunter Schulz von W67 Architekten berichtet exklusiv im Interview in unserer Zeitung über das Gebäude am Steilhang und warum es beinahe nicht gebaut worden wäre.

Herr Schulz, wissen Sie, dass Ihr Haus im aktuellen Stuttgarter „Tatort“-Krimi eine Rolle spielt?

Nein, das wusste ich nicht, ich wundere mich aber, dass es erst jetzt passiert.

Warum das ?

Vor über zehn Jahren bereits sprach mich schon einmal ein Scout an. Nun ist das Haus fast zwanzig Jahre alt. Natürlich ist es eine gute Location schon wegen der spektakulären Aussicht. Und dann sind die Räume sehr offen und großzügig geplant, zum Filmen macht sich das sicher besser als fünf Zimmer auf 80 Quadratmetern.

Sind Beton und Glas im Spiel bei einem Architektenhaus in einem Fernsehkrimi, kann man davon ausgehen, dass der Killer oder eine zumindest gefühlsarme Person darin wohnt, dank des Vorurteils Beton sei „ungemütlich“ und „kalt“. Was glauben Sie, wer drin wohnt?

Oft führen die Drehbuchautoren einen an der Nase herum. Vielleicht ist es jemand, der verdächtig scheint, dann aber doch kein Täter ist. Wissen Sie es?

Ja, aber ich darf es nicht vorher verraten. Was tippen Sie?

Ich lehn’ mich heraus und sage: Es ist doch der Mörder – oder die Mörderin. Mir entgeht nie ein Tatort, ich nehme die immer auf. Und werde den Tatort natürlich auch anschauen. Wenn ein Gebäude Kulisse für einen „Tatort“ wird, ist das ein kleiner Ritterschlag und macht einen stolz.

Trailer zur Stuttgarter „Tatort“-Folge „Überlebe wenigstens bis morgen“

Von der Fiktion zur Realität: Wie schwer ist es, an so einem steilen Hang an der Alten Weinsteige ein Haus zu bauen?

Arno Lederer hat einmal gesagt, auf der grünen Wiese zu planen ist schwieriger als etwa in einer Baulücke, wo Vorgaben und viele festgesetzte Parameter in die Entwurfsgedanken einfließen, dass der Entwurf dadurch sogar leichter von der Hand geht. So war es in dem Fall auch.

Welche Vorgaben waren das?

Das Grundstück hat für Bau-Interessenten nicht wirklich existiert, es war zugewachsen – und dann stand da auch dieser Mammutbaum. Als der Bauherr auf der Suche nach Baugrundstücken war, haben wir uns die Flurpläne von Stuttgart kommen lassen und alle freien Flächen abgegrast, bis er irgendwann sagte, an der Haigststaffel – das ist ein Baugrundstück. Wir konnten es nicht glauben, im Plan war es tatsächlich eingezeichnet. Beinahe hätten wir es aber trotzdem nicht bebauen dürfen.

Und warum nicht?

Wir sind zum Bauamt und Liegenschaftsamt gegangen, die bestätigten uns die Bebaubarkeit und die Möglichkeit, das Grundstück zu kaufen. Wir hatten dann mit verschiedenen anderen Ämtern zu tun, und das Grünamt sagte klipp und klar: Ihr könnt überall bauen, aber nicht da, denn der Mammutbaum ist ein Naturdenkmal, der geht kaputt, wenn ihr eine Baugrube aushebt und baut.

Mammutbaum neben dem Haus in Stuttgart Der Mammutbaum neben dem Stuttgarter Architektenhaus steht unter Schutz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Nun steht das Haus aber doch da seit 2006.

Wir wussten, dass die Tragwerksplaner Weischede und Partner in Frankfurt mit Behnisch Architekten ein Postmuseumsprojekt gemacht hatten, und auf dem Grundstück standen auch viele alte erhaltenswerte Buchen, ebenfalls Naturdenkmale. Wir haben also angefragt und so kam die Idee auf, das Haus auf Stützen zu stellen. Wir berühren das Erdreich also nur punktuell. Zudem haben wir ein umgekehrtes Dachsystem entworfen. Wenn es auf das Haus regnet, wird das Wasser unvermindert unters Haus geleitet, damit der Baum von dem Wasser profitiert. Das Grünamt hatte trotzdem keine gute Laune dabei, aber die Stadt hat das Grundstück verkauft.

Und wie haben die Nachbarn reagiert?

Während der Bauphase waren manche Nachbarn kritisch und vermuteten, wir würden den Baum roden. Was Quatsch ist, denn das Haus lebt mit dem Baum.

Der Stuttgarter Architekt Gunter Schulz hat für den Entwurf des Hauses an der Alten Weinsteige einige Auszeichnungen erhalten. Foto: W67 Architekten

Inwiefern?

Die Äste des Baumes berühren das satinierte Glas des Badezimmerfensters. Das hat eine tolle Anmutung, wenn man im Badezimmer steht. Es wäre eine Schande gewesen, wäre der Baum kaputt gegangen. In der Bauphase hatte ich kurz einen Schreck bekommen, denn im Frühjahr bekam der Baum braune Spitzen. Ich komme aber aus einer Gärtnerfamilie und meine Eltern sagten mir, der Baum treibe im Frühjahr alte Substanzen heraus. So war es, die braunen Spitzen fielen ab, nach drei Monaten wuchs der Baum wieder hell nach.

Was ist für Sie noch etwas Besonderes am Haus, das man eventuell nicht zu sehen bekommt?

Das Haus hat 3,5 Meter Raumhöhe. Der Bauherr hatte sich ein Haus gewünscht, das in der Gestaltung so reduziert wie möglich sein sollte. Das war für uns natürlich ein Traum. Was man nicht gleich sieht: Auf dem Gebäude ist ein kleines Studio, nur im Winter ohne Blätterwerk kann man das eventuell erkennen. Man steht auf dem Dach wie auf einem Flugzeugträger mit einem 180-Grad-Blick auf Stuttgart. Es ist ein verschatteter Hang, aber am Nachmittag scheint die Westsonne auf die Terrasse hinter dem Haus. Wenn man im Wohnzimmer auf acht Metern Höhe steht und die Stadt ist in die Sonne eingetaucht, hat man das Gefühl, man wohnt in der Sonne.

Info

Haus
Das Baujahr des Hauses war 2006, die Bauzeit betrug rund ein Jahr. Die Wohnfläche für das – ursprünglich von einer Person, nun von einer Familie bewohnte – Haus beträgt etwa 200 Quadratmeter.

Auszeichnungen
Die Architektenkammer Baden-Württemberg würdigte den Bau mit der Auszeichnung „Beispielhaftes Bauen 2008“, es gab weiterhin eine Anerkennung für den „Architekturpreis Beton 2008“ und eine Lobende Erwähnung für den „Architekturpreis Zukunft Wohnen 2007.

Architekt
Gunter Schulz ist der Architekt des Hauses, sein Büro W67 Architekten ist im Stuttgarter Osten situiert. Auch wenn dieses Haus aus Beton ist – das Büro engagiert sich für Holzbau und hat neben Holz-Wohnhäusern beispielsweise Auszeichnungen für den Entwurf des Degustationsraums Weingut Idler in Weinstadt-Strümpfelbach (2016) erhalten. Auch das Café Merlin in Weinstadt- Strümpfelbach stammt aus der Entwurfsfeder des Büros. 2016 fertig gestellt wurde das Forstliche Bildungszentrum in Gschwend Hohenohl, ein Holzbau. Die Innengestaltung der Stuttgarter Lokalität Rosenau ist ebenfalls ein Werk des Büros.