„Wir glauben Euch“, der Debütfilm des belgischen Regieduos Charlotte Devillers und Arnaud Dufeys, der seine Weltpremiere bei der Berlinale 2025 gefeiert hat, holt aus seinem radikal reduzierten Konzept wirklich alles raus! Das Gerichtsdrama konzentriert sich auf eine ungefähr einstündige Anhörung vor einer Familienrichterin in Echtzeit – ohne Rückblenden, ohne Musik, ohne narrative Abschweifungen. Die Konsequenz dieser formalen Strenge öffnet den Blick auf einen bereits seit zwei Jahren andauernden Rechtsstreit sowie eine tragische Familiengeschichte, die sich mit jeder weiteren Stellungnahme Schicht um Schicht entfaltet. Getragen wird das Kammerspiel von einem hervorragenden Ensemble …
… allen voran Myriem Akheddiou („Zwei Tage, eine Nacht“) als um Fassung ringende Mutter, die um das alleinige Sorgerecht und gegen ein Besuchsrecht des Vaters kämpft. Kein Wunder also, dass „Wir glauben Euch“ beim Europäischen Filmfestival in Sevilla gleich mehrfach ausgezeichnet wurde: mit dem Women in Focus Award, den Preisen für die beste Hauptdarstellerin und das beste Drehbuch sowie mit dem Hauptpreis des Festivals, der Giraldillo de Oro. „Wir glauben Euch“ lässt einen auch lange nach seinem Ende nicht los, zu groß ist die Wucht des juristischen Leidenswegs sowie der familiären Traumata, die in der Verhandlung zutage treten, während man sich als Zuschauer*in regelrecht mit im Raum wähnt.

Eksystent Distribution
Alice (Myriem Akheddiou) schafft es mit ihren Kindern gerade noch rechtzeitig zum Gerichtstermin.
Etienne (Ulysse Goffin) wirft sich schreiend zu Boden, während seine Mutter Alice (Myriem Akheddiou) verzweifelt versucht, ihn in die Straßenbahn zu ziehen. Sie müssen pünktlich zur Anhörung erscheinen, zu der auch die jugendliche Tochter Lila (Adele Pinckears) mitkommt. Der abwesende Vater (Laurent Capelluto), gegen den parallel auch noch ein Strafverfahren läuft, hat ein Umgangsrecht beantragt. Obwohl der Junge die Familienrichterin schriftlich gebeten hat, dem Vater nicht begegnen zu müssen, sitzt dieser plötzlich mit seiner Anwältin im Warteraum. Dies lässt die ohnehin fragile Situation endgültig eskalieren. Der folgende emotionale Ausbruch erscheint zunächst überzogen, beinahe hysterisch.
Doch mit fortschreitender Handlung wird klar, wie tief die psychologischen Verletzungen reichen. Nach dem Gespräch der Kinder mit dem vom Gericht gestellten Anwalt werden alle Beteiligten – neben den Eltern auch die jeweiligen Anwältinnen und der Pflichtvertreter der Kinder – in den grell erleuchteten, gläsernen Sitzungssaal gerufen. Die Richterin fordert jeden der fünf Anwesenden auf, nacheinander und möglichst ohne Unterbrechungen durch die anderen ihre Sichtweise darzulegen. Was folgt, ist ein sich allmählich entfaltendes Horrorszenario, das bereits zwei Jahre andauert…
Wie unter der Lupe
Die Kamera verbleibt fast ausschließlich im Verhandlungsraum. Das Regieduo verweigert sich in seiner Inszenierung jeglicher Visualisierung der Vorwürfe oder Erlebnisse. Stattdessen entfaltet sich die Geschichte fast ausschließlich durch lange, präzise gesetzte Monologe. Das Kopfkino des Publikums übernimmt die Bilderarbeit, der sterile Sitzungssaal wirkt wie ein hermetisch abgeriegeltes Brennglas – nicht nur für die Worte, sondern auch die Blicke und die Körpersprache der anwesenden Personen, die oft minutenlang fokussiert werden. Die Kamera beobachtet nicht nur die Sprechenden, sondern auch jene, die schweigen müssen – und zeigt in ihren Gesichtern Scham, Angst, Wut, Verdrängung und Unverständnis.
Das Ensemble trägt diese zurückgenommene Inszenierung mit beeindruckender Geschlossenheit. Mit Ausnahme der von Natali Broods verkörperten Richterin sowie den Darsteller*innen der Eltern handelt es sich bei den übrigen Beteiligten um reale Anwält*innen, die die fast einstündige Anhörung in einem einzigen Durchgang und in Echtzeit vor drei Kameras durchspielten. So werden die Nervosität und die angespannte Konzentration im Raum fast schon physisch greifbar. Wie speziell Myriem Akheddiou ihre Tränen zurückhält, ihren Ekel über bestimmte Aussagen unterdrückt, wie ihr Körper zwischen Verteidigung und Zusammenbruch schwankt, ist fesselnd. Wenn die verzweifelte Mutter schließlich selbst das Wort erhält und ihr Statement mit wachsender Dringlichkeit vorträgt und schließlich spürt, dass sie sich vor der Richterin vielleicht schon zu sehr geöffnet hat, ist dies der Höhepunkt einer ohnehin schon herausragenden Performance.

Eksystent Distribution
Der nur 78 Minuten lange „Wir glauben Euch“ begeistert vor allem mit seiner inszenatorischen Strenge, die alles Überflüssige ausblendet.
Das konzentriert-reduzierte Konzept ist sicherlich nicht gänzlich neu, doch selten wurde ein Gerichtsraum so konsequent als psychologischer Resonanzkörper genutzt. Ein weiterer kluger Kunstgriff, der verhindert, dass das Publikum zu früh Partei ergreift, liegt auch darin, dass den beiden betroffenen Kindern erst nach der Anhörung, wenn alle anderen Perspektiven gehört wurden, wirklich Leinwandzeit eingeräumt wird. Auch die Aussagen der beiden Jugendlichen werden zunächst nur gefiltert über den vom Gericht gestellten Vertreter der Kinder verhandelt, der diese zuvor zusammen ohne ihre Eltern in einem gesonderten Raum zur Situation und ihren Wünschen und Erwartungen befragt hat.
Über den eigentlichen Inhalt der Aussagen und das sich langsam aufklärende Familiendrama, das in dem Gerichtstermin verhandelt wird, sollte vorab möglichst wenig verraten werden. Der Film lebt schließlich auch davon, dass sich die moralische und emotionale Komplexität erst durch die nacheinander freigelegten Perspektiven erschließt. Dabei wäre das sicherlich auch ideal für eine Theaterbühne geeignet. Letztlich erweist sich gerade der strenge Rahmen als große Stärke des Films: Die Beschränkung auf die Worte und Blicke von fünf Personen in einem einzigen Zimmer schränkt die Erzählung hier nicht ein, sondern lässt sie nur umso intensiver wirken.
Fazit: Konzentriert, hervorragend gespielt und zum Ende hin schmerzhaft beklemmend: „Wir glauben Euch“ ist ein herausragendes Familiengerichtskammerspiel, das quasi in Echtzeit von familiären Wunden und der Ohnmacht des Justizsystems erzählt. Ein Film, der mit der Kraft seiner Worte und Darsteller*innen überwältigt und nachhallt.
Wir haben „Wir glauben Euch“ beim Filmfest Sevilla gesehen.