„Gott hat mich nicht mehr lieb“
Jahrelanger Missbrauch und Trauma: Betroffene spricht in Kirche
25.11.2025 – 08:03 UhrLesedauer: 3 Min.
Kerstin Krebs: Sie lebt seit ihrer Kindheit mit den Folgen sexualisierter Übergriffe in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. (Quelle: Shireen Broszies/dpa/dpa-bilder)
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Kerstin Krebs wird am Mittwoch vor der Landessynode in Hannover über erlebte sexualisierte Gewalt sprechen. Die Rahmenbedingungen der Anhörung kritisiert sie scharf.
Kerstin Krebs aus der Region Hannover hat für ihre Rede vor der Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers am Mittwoch zehn Minuten Zeit, um über jahrzehntelang verschwiegene sexualisierte Gewalt zu sprechen.
Das Kirchenparlament lädt Betroffene ein, die in der Landeskirche sexualisierte Gewalt erfahren haben. Die Ende-Fünfzig-Jährige hätte fast geschwiegen – wegen Rahmenbedingungen, die sie als „Ablehnung und Verrat“ bezeichnet. Dies geht aus ihrer Rede hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag.
Die Anhörung der Betroffenen findet nicht öffentlich statt. Nach ihrer Rede muss Krebs den Saal verlassen. Eine Begleitung ist erlaubt, gegenseitiges Zuhören der Betroffenen jedoch untersagt. Kerstin Krebs erklärt: „Als ich das Reglement bekommen habe, ist mir richtig der Hut hochgegangen.“
Für die Frührentnerin liegt hier ein Kernproblem. „Betroffene können sich nicht zuhören und somit nicht stützen – das ist ein massiver Eingriff“, sagt Krebs. Sie erkennt darin das „System der Vereinzelung“, das sie in der Kirche seit Jahren erlebt.
Die Landeskirche begründet die nicht-öffentliche Sitzung mit dem Ziel, einen geschützten Raum zu schaffen. Die Beiträge seien an die Synode gerichtet, nicht an die Öffentlichkeit. Krebs entgegnet: „Die angeblichen Schutzmaßnahmen für die Betroffenen sind Schutz für die Kirche selbst.“
Ein Sprecher der Landeskirche berichtet von einem Treffen mit Betroffenen zu deren Erwartungen. „Nach dem Treffen ist deutlich gewesen, dass der eine Weg, der für alle betroffenen Personen gleichermaßen passt, nicht existiert“, sagte er.
Krebs bezeichnet sich als „Überlebende“. Sie habe sexualisierte Gewalt in der Kirche über viele Jahre erlebt – vom Grundschulalter bis zur Konfirmation. Zu den Tätern zählten ein Pastor, eine Mitarbeiterin eines Kindergottesdienstes und Familienmitglieder. „Was deine arme Mutter dazu sagen wird! So ein Flittchen!“, zitiert Krebs die Mitarbeiterin des Kindergottesdienstes.
Die Täter hätten sie bedroht, ihre Taten religiös überhöht und sie isoliert. Mit nicht einmal 14 Jahren habe sie erstmals an Selbsttötung gedacht. „Niemand war da für mich. Denn Gott hatte mich nicht mehr lieb“, schreibt Krebs in ihrer Rede. Das Verdrängen der Erinnerungen sei ihr einziger Überlebensweg gewesen.
Erst etwa 35 Jahre später sei alles wieder hochgekommen – mit therapeutischer Begleitung. Durch „harte Traumapsychotherapie“ habe sie gelernt, Stabilität zurückzugewinnen und sich „selbst nicht zu verurteilen“.
Krebs kritisiert, dass Missbrauchsopfer im kirchlichen Umfeld oft Zweifel statt Solidarität erfahren. Die Landeskirche Hannover setze auf „gesellschaftliche Ermüdung“ statt Aufarbeitung.
Die Landeskirche weist diese Kritik zurück. Ein Sprecher erklärte, die Kirche habe „viele Schritte unternommen, um die Hilfe, Aufarbeitung, Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt in der Kirche zu verbessern“.
Dazu gehören zwei umfangreiche Aufarbeitungsverfahren, laufende Untersuchungen, ausgebaute therapeutische Angebote und Präventionsschulungen für mehr als 20.000 Mitarbeitende.
