Am Mittwoch wurde am Landgericht Nürnberg-Fürth einer jener Fälle verhandelt, die aus dem Dunkel ans Licht gekommen sind. Es ist die Geschichte von Simona P. (Name geändert), einer jungen Frau aus Ungarn.
Angeklagt sind drei Landsleute der 19-Jährigen: ein Mann, 36, der dem Zuhältermilieu nahestehen soll, seine Tochter, 19, und seine Partnerin, 34, die vor ihrer Festnahme selbst als Prostituierte arbeitete und bereits 2016 wegen Menschenhandels und Zuhälterei verurteilt wurde. Gemeinsam sollen sie Simona P. mit der Aussicht auf eine Arbeit nach Deutschland gebracht, sie hier zu Sex gegen Zahlung gezwungen und fast alle Einnahmen an sich genommen haben. Dem Paar wirft der Staatsanwalt schwere Zwangsprostitution und ausbeuterische Zuhälterei vor, der jüngeren Beschuldigten nur Letzteres.
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Zuletzt wurden wieder einmal kontroverse Debatten um Sex-Arbeit geführt, nachdem Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) von Deutschland als „Puff Europas“ gesprochen hatte. Ein unterschiedlich ausgelegter Streitpunkt war, ob und inwiefern der Prostitution nicht immer ein Zwang zugrunde liegt.
Die gesetzliche Definition des Zwangs in der Prostitution ist freilich an spezifische Kriterien gebunden. Voraussetzung sind etwa das Ausnutzen der Hilflosigkeit von Opfern – oder, in schweren Fällen, ihre Bedrohung, um sie in die Prostitution zu zwingen.
Wie die Angeklagten und Simona P. sich kennenlernten, konnten die Ermittlungen nicht aufhellen. Nach ihrem 18. Geburtstag sollen die beiden Hauptangeklagten sie aber „mindestens durch psychische Beeinflussung“ dazu gebracht haben, in Deutschland der Prostitution nachzugehen, und sie mit einem Einkommen aus dieser Arbeit gelockt haben, sagt der Staatsanwalt. In Wahrheit hätten die beiden geplant, alle Einnahmen an sich zu nehmen.
Und so sei es auch gekommen: Von mindestens 42 240 in Deutschland verdienten Euro sei P. nichts geblieben. Lediglich einmal habe sie 450 Euro an ihre Großmutter senden dürfen.
Den Ermittlungen zufolge brachten die Angeklagten P. 2024 zunächst nach Berlin, wo sie kurzzeitig auf dem Straßenstrich gearbeitet habe – also in einem Bereich, der von den Behörden schwerer zu kontrollieren und nach Ansicht von Experten besonders gefährlich ist. So gilt etwa das Risiko von Gewalt durch Freier als höher als in offiziell registrierten Bordellen.
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Die Anbahnung von Zwangsprostitution findet laut BKA indes häufig im Internet statt, verbreitet sei die sogenannte Loverboy-Methode. Dabei erschleicht sich ein Mann das Vertrauen einer meist jungen Frau, gibt vor, sie zu lieben, macht sie emotional von sich abhängig – um sie anschließend zur Prostitution zu drängen und auszubeuten.
Oft sei Betroffenen „nicht bewusst, dass sie Opfer von Zwangsprostitution sind“, sagt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Mittelfranken. Überdies hätten sie häufig Angst – vor den Tätern und um ihre Familien.
Wenn sie Anzeichen auf eine Zwangslage entdeckten, gehe es darum, „über Wochen und Monate Vertrauen zu schaffen“, bis Betroffene sich ihnen anvertrauten, sagt die Streetworkerin Sara Seubert von Kassandra e.V., einer 1987 gegründeten Beratungsstelle für Sexarbeitende in Nürnberg. Allerdings sei dies bei den von ihnen besuchten, offiziell registrierten Prostitutionsstätten selten der Fall.
Das Dunkelfeld befindet sich nach Einschätzung der Polizei vor allem in sogenannten Modelwohnungen und Hotels, wohin sich die Prostitution zunehmend verlagere. Die Täter agierten so „oft in der Anonymität“, sagt die Polizeisprecherin.
Auch Simona P. soll in Modelwohnungen zur Prostitution gezwungen worden sein, nach der Zeit in Berlin von Oktober 2024 bis März 2025 in Nürnberg, Fürth und Regensburg. Die Angeklagten hätten dabei „wiederholt eine Drohkulisse“ aufgebaut, sagt der Staatsanwalt. „Mach kein Scheiß, dann gibt es Krieg, sehr hässlich“, soll der Mann in einem Telefonat zu P. gesagt haben. Die junge Frau habe diese Drohung ernst genommen und sich gefügt.
Einen Beruf hat nach ihren eigenen Angaben keiner der Angeklagten erlernt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft finanzierte vor allem der Mann sein Leben, indem er P. ausbeutete. So soll er sich für etwa 14 000 Euro einen BMW von jenem Geld gekauft haben, das sie verdiente.
Der Fall von Simona P. passt in ein den Ermittlern bekanntes Schema. Bei den 36 Fällen der Zwangsprostitution in Bayern ermittelte die Polizei 71,8 Prozent ausländische Tatverdächtige, beim Straftatbestand Zuhälterei in 17 von 23 Fällen. „Die meisten Täter kommen aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und suchen nach einer ‚einfachen‘ Möglichkeit, das schnelle Geld zu verdienen“, erklärt die Polizeisprecherin. Oft stammten Täter und Opfer – wie bei P. – aus einem Land und reisten nur nach Deutschland, weil Prostitution hier legal sei und eine lukrative Einnahmequelle darstelle.
Die 19-Jährige sei eine „eine Art Aufpasserin“ gewesen
Laut BKA stammen die meisten Opfer der Zwangsprostitution hierzulande aus Deutschland, gefolgt von Ländern in Ost- und Südosteuropa. Häufig, so die Polizeisprecherin, beherrschten die Opfer kein oder nur wenig Deutsch; laut Anklage war das auch bei Simona P. so. Sie sei in Deutschland mithin auf die Angeschuldigten angewiesen gewesen, erklärt der Staatsanwalt bei Gericht.
Nachdem der Vorsitzende Richter ihnen mildere Strafen in Aussicht gestellt hat, räumen alle Angeklagten die Vorwürfe ein. Simona P. bleibt deswegen eine erneute Aussage erspart. Zu den Umständen haben die Angeklagten in ihren Erklärungen indes wenig Erhellendes beizutragen, nur die 19-Jährige äußert sich über ihren Verteidiger etwas aufschlussreicher.
Während die ältere Angeklagte über lange Zeit Simona P.s Profil auf einer Internetseite betrieben und Verhandlungen mit Freiern geführt hat, betreute die jüngere Beschuldigte P. vor Ort, trieb Einnahmen ein – und sprang selbst als Prostituierte ein, wenn P. ausgebucht war. Ihr Vater, der Mitangeklagte, habe ihr Versprechungen zu einem schönen Leben in Deutschland gemacht, lässt sie erklären. Sie habe sich „blenden lassen“ und „schlicht und ergreifend mitgemacht“. Aufgefallen sind sie und Simona P. der Kriminalpolizei, weil beide in ihren Internetprofilen extrem jung wirkten. Eine anschließende Kontrolle stieß die Ermittlungen an.
Die leitende Ermittlerin nennt die 19-jährige Angeklagte vor Gericht „eine Art Aufpasserin“. Die ältere Angeklagte habe wie eine „Managerin“ agiert. Und ihr Partner als „Organisator“ Zimmer angemietet. Für Simona P. – aber auch für seine Tochter.
Den Mann verurteilt das Gericht am Ende des Verhandlungstages wegen schwerer Zwangsprostitution und ausbeuterischer Zuhälterei zu dreieinhalb Jahren Haft, seine Partnerin zu zwei Jahren und neun Monaten. Die jüngere Angeklagte erhält wegen Beihilfe zur ausbeuterischen Zuhälterei eine Bewährungsstrafe von neun Monaten.
Simona P. lebt nach Angaben der Polizistin wieder in Ungarn. Sie erhalte Unterstützung von einer Hilfsorganisation, habe sich von ihrer Familie gelöst und arbeite in einer Fabrik.
Hilfe finden Betroffene in Bayern etwa bei der Fachberatungsstelle Jadwiga in München und Nürnberg oder dem Verein Solwodi mit sechs Standorten, aber auch bei der Polizei.

