Ein kleines Mädchen sitzt allein auf dem Fußboden und hat den Kopf gesenkt

Stand: 26.11.2025 17:55 Uhr

Dank des neuen Zentrums sollen Gefährdungen schneller erkannt und auch schneller auf diese reagiert werden.

In der Helios St.-Johannes-Klinik in Duisburg-Hamborn führen gelbe Fußspuren durch lange Krankenhausflure – vorbei an Stationstüren, Aufzügen und Wartezonen. Wer ihnen folgt, landet in einer abgeschlossenen Welt, die kaum noch an ein Klinikum erinnert. Dort öffnet heute das neue Jugend- und Kinderschutzzentrum (JuKiZ) seine Türen: Ein Ort, der Kinder schützen soll, wenn der Verdacht auf Gewalt oder Missbrauch im Raum steht.

Ein Netzwerk für die Jüngsten

Das Zentrum bringt zusammen, was im Kinderschutz oft getrennt voneinander arbeitet: Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Polizei, Jugendamt und Justiz. „Hier greifen diese großen Räder ineinander“, sagt Leon Philipp, leitender Oberarzt der Kinderschutzgruppe. „Damit die Kinder am Ende des Tages schneller die Möglichkeit haben, eine Therapie zu bekommen und auch mit dem Fall abschließen zu können.“

Für betroffene Kinder bedeutet das: nur ein Weg, nur ein Ort, nur ein Team. Statt mehrfacher Befragungen in unterschiedlichen Institutionen sollen Besprechungen, Untersuchungen und Vernehmungen künftig hier stattfinden – in Räumen, die gezielt beruhigend gestaltet wurden.

Steigende Fallzahlen, wachsender Druck

Die Eröffnung fällt in eine Zeit, in der die Zahlen der Straftaten gegen Kinder in Duisburg steigen. Polizeipräsident Alexander Dierselhuis spricht bei der Vorstellung des Zentrums offen über diese Entwicklung.

„Beim sexuellen Missbrauch von Kindern kommen wir von 44 Fällen im Jahr 2015 auf 112 Fälle im Jahr 2024“, sagt er. „2023 hatten wir sogar 144. Das ist eine deutliche Steigerung im Zehn-Jahres-Vergleich.“

Auch bei Misshandlungen sei der Trend klar: 17 Fälle im Jahr 2014, 42 Fälle im vergangenen Jahr. Besonders schwer wiegt eine andere Zahl: Vier Kinder wurden 2024 in Duisburg getötet – nach zwei Nulljahren in Folge.

Dierselhuis mahnt jedoch, die Statistik differenziert zu betrachten: „Wir erleben diese Steigerungen. Aber wir holen auch mehr aus dem Dunkelfeld“, sagt er. „Es wird genauer hingeguckt – bei der Polizei, in den Krankenhäusern. Ein Teil der höheren Zahlen ist sicher darauf zurückzuführen, dass wir mehr sehen als früher.“

Vernehmungen in Wohnzimmeratmosphäre

Im Vernehmungsraum steht eine weiche Couch, gegenüber zwei Sessel. Die Wände sind warm gestrichen. In der Mitte ein Tisch mit Mikrofon und zwei Kameras. Eine weitere ist unter dem Tisch verborgen, für den Fall, dass Kinder im Stress körperlich reagieren. Eine 360-Grad-Kamera zeichnet alles auf, wenn es rechtlich notwendig ist.

„Vor allen Dingen für die Kinder“, sagt Dierselhuis. „Vernehmungsräume sind selten kindgerecht – hier ist das eine ganz andere Ebene. Wir hoffen, Retraumatisierungen vermeiden oder zumindest so klein wie möglich halten zu können.“

Ein Projekt mit Rückenwind

Dr. Benjamin Berlemann, Initiator des Projekts, spricht von einem langen Weg, der jetzt an einem entscheidenden Punkt angekommen sei. „Wir hatten die Idee schon vor einigen Jahren. Jetzt ging es zügig“, sagt er. „Aber das ist noch lange nicht der Endpunkt. Wir wollen noch viel in Richtung Prävention machen, sodass wir Kindern und Familien von der ersten Minute bis zur Nachsorge alles bieten können, was der Kinderschutz braucht.“

Bedeutung über Duisburg hinaus

Für Dr. Tanja Brüning von der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin hat das Zentrum Signalwirkung: „Der medizinische Kinderschutz braucht solche Projekte“, sagt sie. „Kindeswohlgefährdete Kinder gibt es leider viele und sie brauchen uns als starkes Team.“

Der Vorteil eines solchen Zentrums sei klar: „Die Kinder müssen Belastendes möglichst nur einmal erzählen – und nicht fünfmal. Das spart ihnen viel Stress.“

Ein Ort, der bleibt

Zurück zu den gelben Fußspuren: Sie beginnen am Empfang der Klinik und enden nach einigen Minuten vor der Tür des Zentrums – einem Ort, der weder Gerichtssaal noch Untersuchungsraum sein will und doch beides leisten muss. Ein Ort, der Kindern in schwierigen Situationen wenigstens ein Stück Sicherheit geben soll.

Unsere Quellen:

  • Gespräch mit Leon Philipp und Dr. Benjamin Berlemann von der Helios St.-Johannes-Klinik in Duisburg
  • Gespräch mit Polizeipräsident Alexander Dierselhuis
  • Gespräch mit Dr. Tanja Brüning von der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz
  • Beobachtungen des WDR-Reporters vor Ort

Sendung: WDR 2, Lokalzeit Rhein/Ruhr, 26.11.2025, 06:31 Uhr und
Sendung: WDR Fernsehen, Lokalzeit aus Duisburg, 26.11.2025, 19:30 Uhr

Westdeutscher Rundfunk