Aufholen mit Milliarden, ein Rekordbudget gegen das Zurückfallen im Wettbewerb um Raumfahrtaktivitäten – darum geht es auf der Konferenz der zuständigen Minister aus den 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation ESA, die am Mittwoch in Bremen begonnen hat.
Die von Generaldirektor Josef Aschbacher geführte ESA hat einen Budgetplan über 22 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre vorgelegt. 2022 hatte die Organisation von den Mitgliedstaaten 16,9 Milliarden Euro erhalten. Das war schon ein Rekord. Doch die Zuversicht, dass der nächste Budgetsprung gelingt, ist zum Auftakt der Konferenz groß.
„Es ist heute einfacher, die Wichtigkeit der Raumfahrt zu erklären, als vor drei Jahren“, sagt Aschbacher. Im Vorfeld der Konferenz warnte er noch, dass Europa im Wettrennen um Bedeutung im All nur noch eine Randstellung einnehmen könnte, wenn nicht schnell investiert werde. Nun lagen dem Vernehmen nach schon Finanzzusagen für etwa 90 Prozent des ESA-Plans vor, bevor die zuständigen Minister am Mittwoch zusammentraten.
Als besondere Stütze erweist sich Deutschland. Raumfahrtministerin Dorothee Bär (CSU) erklärte, Deutschland wolle rund fünf Milliarden Euro beisteuern. „Deutschland ist der größte ESA-Beitragszahler, und wir wollen unser Engagement weiter ausbauen“, sagte Bär in Bremen. Damit nutzt Deutschland eine Chance, das eigene Gewicht in der ESA zu stärken.
Frankreich, der zweitgrößte Beitragszahler, wird in einer angespannten Haushaltslage nach Medienberichten wohl bloß 3,6 Milliarden beisteuern. Das birgt sogar das Risiko, dass Italien an Frankreich vorbeiziehen könnte. Von den Beiträgen hängt ab, wie groß die Rückflüsse durch Aufträge an jeweils heimische Unternehmen ausfallen.
Bislang auf Partner angewiesen
Während Forschungsprogramme der ESA für wenig Debatten sorgen, spielt das Programm „Europäische Resilienz aus dem Weltraum“ (ERS), für das die ESA erstmals in zuvor unbekannter Deutlichkeit auf den militärischen Nutzen möglicher Fernerkundungs-, Navigations- und Überwachungstechniken hinweist, in Bremen eine größere Rolle.
„Die Finanzierung von Raumfahrtaktivitäten wird künftig zunehmend auch von den Verteidigungsministerien kommen, während sie in der Vergangenheit, zumindest in Europa, hauptsächlich von zivilen Ministerien getragen wurde“, sagt Aschbacher. Als Reaktion auf die Akzentverschiebung wird das ERS-Budget für die nächsten drei Jahre auf der Bremer Konferenz wohl nicht endgültig festgezurrt, Staaten und deren Verteidigungsressorts sollen ein weiteres Jahr finanzielle Zusagen aufstocken können.
Genug des Geldes wird es dennoch nicht sein. Die Raumfahrtausgaben aus den USA sind laut Aschbacher sechsmal so hoch wie die aus Europa. Die Folgen seien sichtbar. Er sei mal gefragt worden, warum ein Raumfahrtunternehmen wie SpaceX von Elon Musk nicht auch in Europa entstanden sei. Die Antwort sei einfach, anderswo hätten Staaten lange mehr für die Raumfahrt getan und somit Chancen für Unternehmen geschaffen.
Europa ist in der Raumfahrt bislang viel auf Partner angewiesen. Bemannte Reisen ins All sind rein aus eigener Kraft aktuell gar nicht möglich, daran wird die ESA-Konferenz nichts ändern. Aber ein Stück autonomer will man werden, zum Beispiel bei Raketen, die Satelliten ins All bringen. Die ESA setzte lange vor allem auf Raketen der Ariane Group. Deren Ariane 6 erlebte in der Entwicklung viele Verzögerungen.
Weil auch die Vega-C-Rakete des italienischen Herstellers Avio eine temporäre Außerdienststellung erlebte, mussten in der jüngeren Vergangenheit neue Satelliten länger am Boden bleiben. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) gab es im vergangenen Jahr 220 Raketenstarts für den Satellitentransport, die Mehrheit in US-Vorhaben, 67 in China, Europa landete hinter Indien mit nur vier Starts.
Mehr Konkurrenz
So etwas soll nicht noch mal passieren. Für Belebung sollen junge Hersteller sorgen, die kleinere Trägerraketen bauen. Die ESA fördert deren Entwicklung mit einem Wettbewerb. Bis zu jeweils 169 Millionen Euro sollen den mindestens zwei Gewinnern zufließen. Zu den fünf Start-ups, die es in die Vorauswahl der European Launcher Challenge (ELC) geschafft haben, zählen Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München und die Rocket Factory Augsburg. Orbex aus Großbritannien, PLD Space aus Spanien und Maiaspace aus Frankreich sind weitere ELC-Finalisten.
Sie alle eint das Ziel, in den kommenden ein bis zwei Jahren orbitale Erstflüge hinzubekommen und dann sukzessive die Startrate und Größe ihrer Raketen zu erhöhen. Denn vorerst können die Neulinge nicht wie die Ariane 6 mehr als zehn Tonnen Nutzlast mitnehmen, was für die ESA-Landeeinheit Argonaut, die 2030 den Mond erreichen soll, nötig wäre. Doch viele Satelliten wiegen weniger als eine Tonne. Kleinere Raketen sollen zudem kurzfristiger planbare und vor allem günstigere Missionen ermöglichen.
In der ESA hat sich unter Generaldirektor Aschbacher die Auffassung durchgesetzt, dass mehr Konkurrenz der Trägerraketenindustrie guttue. Und von den heute noch kleine Raketen entwickelnden Start-ups könnten mittelfristig ein bis zwei zu Herstellern von Schwerlastraketen aufsteigen – und der Ariane 6 nacheifern.
Die Ministerkonferenz in Bremen soll nun die weitere Absicherung der Launcher Challenge bringen. Die Idee, dass ein Wettbewerb und nicht nationaler Proporz zur Förderung von Raketenherstellern führt, ist für Staaten indes noch gewöhnungsbedürftig. Der Bund hat neben den ELC-Finalisten Isar Aerospace und Rocket Factory mit Hyimpulse aus Neuenstadt am Kocher ein weiteres Aushängeschild der deutschen New-Space-Szene unterstützt.
Mehr Effizienz
Berlins Förderpolitik und das erklärte Ziel der deutschen Start-ups, das Quasimonopol von Ariane und Avio brechen zu wollen, sorgten in Frankreich, das in Europa bislang bei Raketen führend ist, schon für Unbehagen. Deutschland untergrabe die europäische Raumfahrtkooperation, lautet die nach wie vor vorherrschende Meinung in Paris. Es drohten eine Zersplitterung von Investitionen und ein ruinöser Wettbewerb, obwohl man im Kampf gegen SpaceX Kräfte bündeln sollte.
Die ESA verweist hingegen darauf, dass ein Vorgehen der NASA in den USA Vorbild für den europäischen Raketenwettbewerb sei. Die ESA will als „Ankerkunde“ auftreten und Startdienstleistungen von Raketenherstellern kaufen. Dieses Marktmodell soll so wie in den USA für mehr Effizienz sorgen.
Auf diesen Paradigmenwechsel hat man sich inzwischen auch in Frankreich eingestellt. Maiaspace ist ein auf staatliches Drängen gegründetes Start-up-Tochterunternehmen der Ariane Group. Das sorgte in Deutschland für Argwohn. Maiaspace profitiere nicht nur vom Ariane-Know-how inklusive des mit europäischen Fördermitteln entwickelten „Prometheus“-Motors, sondern auch von staatlichen Hilfen in dreistelliger Millionenhöhe. Das sei wettbewerbsverzerrend.
Maiaspace-Geschäftsführer Yohann Leroy weist den Vorwurf zurück. Den „Prometheus“-Motor habe man nicht geschenkt bekommen, sondern bezahle dafür, und die französischen Fördermittel seien keine direkten Subventionen, sondern flössen wie in Deutschland in Form von Startdienstleistungen.
Maiaspace ermöglicht mit bis zu vier Tonnen die mit Abstand höchste Nutzlast unter den Raketenneulingen und stellt obendrein eine Wiederverwendbarkeit in Aussicht, was wie bei der Falcon-9-Rakete von SpaceX die Kosten deutlich zu senken verspricht. Ende kommenden Jahres wolle man erstmals abheben und Anfang 2027 dann den kommerziellen Flugbetrieb starten.
Günstiger, flexibler und lagerbar
Gut auf den Raketenwettbewerb ist Jörn Spurmann von der Rocket Factory Augsburg zu sprechen: „Die European Launcher Challenge schafft echten Wettbewerb im europäischen Markt für Startdienstleistungen und öffnet den Zugang für mehrere privat entwickelte Träger.“ Die ESA sei als verlässlicher Ankerkunde „ein wesentliches Element, um privates Kapital für neue europäische Trägersysteme zu mobilisieren und diese weltweit wettbewerbsfähig anzubieten“.
Bei Hyimpulse wiederum geht man auch ohne Teilnahme an der Launcher Challenge davon aus, auf dem Trägerraketenmarkt seinen Platz zu finden. Man verfolge eine andere Strategie als Wettbewerber, macht Geschäftsführer Christian Schmierer im Gespräch deutlich. Man setze nicht auf Flüssigantriebe, sondern auf Hybridmotoren, in denen festes Paraffin – also Kerzenwachs – mithilfe von flüssigem Sauerstoff verbrannt werde. Das soll die Hyimpulse-Rakete im Gegensatz zu den Modellen von Wettbewerbern günstiger, flexibler und lagerbar machen.
Statt wie diese und seinerzeit auch SpaceX schnell immer größere Raketen zu bauen, will Schmierer zunächst bei einer kleineren Rakete bleiben und ein reaktionsschneller Anbieter sein. Das macht Hyimpulse für militärische Kunden interessant. Das 35-Milliarden-Euro-Programm von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird mit zahlreichen neuen Satelliten verbunden sein, die binnen weniger Jahre ins All müssen. „Wenn die Bundeswehr schnell starten will, dann geht das nicht mit Ariane“, sagt Schmierer.