Severin Batzill steht auf seinem Acker bei Schlier (Landkreis Ravensburg), eingerahmt von meterhohen Solarmodulen. An der Stelle des spärlich-grünen Bewuchses unter seinen Füßen stand vor einigen Wochen noch reifes Getreide, das der Bio-Landwirt längst abgeerntet hat. Das Ergebnis des Druschs war von Batzill mit Spannung erwartet worden, lieferte es doch erste Anhaltspunkte über die Praxistauglichkeit eines Konzepts, dem aktuell großes Potenzial zugeschrieben wird, die Energieversorgung in Deutschland grüner zu machen: Agri-PV.

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Hinter dem Akronym verbirgt sich eine Technologie, die Landwirtschaft und Stromerzeugung auf ein und derselben Fläche kombiniert. Dafür werden PV-Module mehrere Meter über dem Boden aufgeständert, so dass darunter der Anbau landwirtschaftlicher Produkte wie Getreide, Feldfrüchte oder Obst möglich ist.

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Mehrere solcher Kleinanlagen gibt es im Rahmen der vom Land Baden-Württemberg geförderten Modellregion Agri-PV im Raum Bodensee-Oberschwaben schon. Doch in Schlier ist seit April 2024 die erste kommerzielle Großanlage am Netz: An drei Standorten rund um den Ort sind auf einer Fläche von rund 14 Hektar Solarmodule mit einer Leistung von gut zehn Megawatt installiert. 14 Millionen Kilowattstunden Strom sollen damit pro Jahr erzeugt werden. Rein rechnerisch reicht das für rund 3500 Haushalte.

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Während die Stromausbeute relativ gut prognostizierbar ist, stand hinter dem landwirtschaftlichen Ertrag bislang ein dickes Fragezeichen. Würde sich der Anbau von Feldfrüchten lohnen? Wie viel aufwändiger sind Aussaat, Pflege und Ernte? Und welche unvorhergesehenen Auswirkungen hat das Nebeneinander von landwirtschaftlicher Produktion und Energieerzeugung?

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Inzwischen ist der Energielandwirt schlauer: Rund sieben Tonnen Triticale, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen, hat Batzill in seiner Anlage pro Hektar geerntet. Für einen nach Bio-Kriterien wirtschaftenden Betrieb „ein sehr guter Ertrag“, sagt der Landwirt, und sogar höher als das, was er auf einer Referenzfläche außerhalb der Agri-PV-Anlage geerntet hat. Batzill führt das auf die Trockenheit im Frühsommer zurück. Die Beschattung und der Windschutz durch die PV-Module hätten dafür gesorgt, dass der Boden in der Anlage länger feucht blieb. Außerhalb sei das Getreide einfach vertrocknet. Damit bewahrheiteten sich frühere Annahmen des Landwirts. Wie sich die Lage in nassen Jahren darstellt, bleibt jedoch abzuwarten.

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Ganz ohne Überraschungen waren Anbau, Bewirtschaftung und Ernte in der Anlage aber nicht. Ein Phänomen hatte der Landwirt schon im Vorfeld erwartet und daraufhin die Sortenwahl Triticale getroffen, während seine Mitgesellschafter an den anderen Standorten auf Weizen setzten: Erosion. Severin Batzill zeigt auf einen Streifen am Boden, direkt unter der PV-Modulkante, der wie ausgewaschen scheint. An diesen Stellen hat Tropfwasser ganze Arbeit geleistet. „Deshalb wollte ich eine Getreidesorte anbauen, deren Aussaatzeitpunkt früher ist. Im nassen Herbst und Winter schützen die dann schon ausgebildeten Wurzeln den Boden vor Erosion durch Tropfwasser“, sagt der Landwirt. Je höher die PV-Module montiert sind, desto gravierender ist das Problem, weshalb Batzill die PV-Module auch nicht höher aufständern würde.

Überraschungen ganz anderer Art brachten die nicht bewirtschafteten Grünstreifen unter den PV-Modulen hervor. „Die sind ein Rückzugsraum für Schädlinge aller Art“, berichtet der Landwirt. Vor allem Schnecken sind ein Problem, weil die Streifen vor Sonnenlicht geschützt und dementsprechend lange feucht sind. Ideale Bedingungen für eine zügellose Vermehrung. Die Folge: Heerscharen der schleimigen Weichtiere machen sich tagtäglich auf den Weg in den benachbarten Acker und richten bei bestimmten Pflanzensorten entsprechenden Schaden an. Vor allem Klee, aber auch Raps, stehen auf dem Schnecken-Speiseplan weiß Severin Batzill aus leidvoller Erfahrung. Die Futtermischung, die er vor Triticale angesät hat, und die normalerweise mit einem 30-prozentigen Kleeanteil daherkommt, war nach kurzer Zeit quasi Klee-frei.

Hinzu kommen Unmengen an Wühlmäusen, die in der Landwirtschaft durch das Abfressen von Wurzeln und das Anlegen von Gangsystemen erhebliche Schäden verursachen können. Unter dem Strich, sagt Severin Batzill, seien die Herausforderungen aber „beherrschbar“.

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Gleiches gilt für Bewirtschaftung und Ernte, die dem Landwirt zufolge „etwa 30 Prozent zeitintensiver ausgefallen ist“ als auf unbebauten Äckern. Konzeptioniert haben die Energiebauern aus Schlier ihre PV-Modulreihen zwar in einem Abstand, der die Ernte durch Mähdrescher mit Arbeitsbreiten von neun Metern erlauben würde. Schlussendlich hat man aber mit Sechs-Meter-Maschinen gedroschen, um „mehr Spielraum zum rangieren zu haben, wenn es eng wird“. Denn eine Kollision mit den PV-Modulen und dem empfindlichen Nachführsystem sollte unter allen Umständen vermieden werden. Die Konsequenz: Der Lohnunternehmer musste pro Feldabschnitt eineinhalb Mal entlangfahren, und nicht nur einmal.

Ernte auf der Agri-PV-Anlage in Schlier im August dieses Jahres.Bild vergrößern

Ernte auf der Agri-PV-Anlage in Schlier im August dieses Jahres. (Foto: Solmotion)

Agri-PV-Potenzial von bis zu 500 Gigawatt

Auch wenn Langfristerfahrungen noch fehlen: Severin Batzill ist vom Konzept Agri-PV überzeugt. Das Potenzial sei gewaltig. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) schätzen, dass gut geeignete landwirtschaftliche Flächen ein technisches Potenzial von bis zu 500 Gigawatt Solarleistung bieten, was die deutschen PV-Ausbauziele für 2040 sogar übertreffen würde.

Doch der Ausbau kommt bislang nur schleppend voran. Daten der Bundesnetzagentur (BNetzA) zeigen, dass Agri-PV-Anlagen in Deutschland zurzeit erst mit einer Leistung von rund 400 Megawatt in Betrieb oder genehmigt sind – ein Bruchteil der insgesamt installierten mehr als 100 Gigawatt Solarleistung. Gründe dafür sind hohe Investitionskosten, fehlende standardisierte Genehmigungsverfahren, Unsicherheit bei der Förderung und Probleme beim Netzanschluss. Immerhin: Seit 2022 werden Agri-PV-Anlagen in einigen Ausschreibungen der BNetzA berücksichtigt. Doch die Förderung gilt bislang nur für bestimmte Systemarten, vor allem für hochgeständerte Anlagen.

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Fachleute fordern nun, die Rahmenbedingungen klarer und technologieoffener zu gestalten. Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt die Möglichkeit der „doppelten Ernte angesichts des Drucks auf die Agrarflächen etwa durch Siedlungs- und Straßenbau“. Lösungen wie Agri-PV, „die in bestehende Strukturen integriert werden können, keine zusätzlichen Flächen verbrauchen und so den Zubau der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren im besseren Einklang mit Landwirtschaft und Landschaft sicherstellen“, seien dringend nötig, heißt es in einem DBV-Positionspapier.

Für die Landwirtschaft bietet das Konzept Chancen, aber auch Herausforderungen. Landwirte können zusätzliche Einnahmen erwirtschaften, ihre Flächen klimaresilienter machen und Akteure der Energiewende werden. Doch sie müssen auch lernen, mit neuen Strukturen auf dem Feld umzugehen. Traktoren, Erntemaschinen und Bewässerungssysteme müssen mit den Modulreihen kompatibel sein. Auch ackerbaulich erfordert das Konzept andere Herangehensweisen. Das Beispiel aus Schlier zeigt indes, dass es funktioniert.