Die USA und Russland verhandeln wieder über einen Frieden in der Ukraine. Der Ausgang ist ungewiss, auch weil offen ist, welche Seite sich im Machtkampf innerhalb der US-Regierung durchsetzen wird – die „America first“-Linie von Vizepräsident JD Vance oder der interventionistische Kurs von Verteidigungsminister Marco Rubio?
Klar ist aber, wie es im schlechtesten Fall ausgehen könnte: Der Ukraine droht dann wieder das Szenario eines von den USA aufgedrückten Diktatfriedens, bei dem vornehmlich russische Positionen durchgesetzt werden. Das wäre ein Verhandlungsergebnis, bei dem die Ukraine die Wahl hätte, entweder schlechte Bedingungen wie zum Beispiel fehlende Sicherheitsgarantien zu akzeptieren. Oder damit klarzukommen, dass die US-Unterstützung gestrichen wird, so wie es die Regierung von Donald Trump bereits mehrfach androhte.
Was ist, wenn die USA die Militärhilfe streichen?
Auf den ersten Blick erscheint es aussichtslos, wenn die Ukraine versuchen würde, ihren Verteidigungskrieg trotz ausbleibender US-Hilfen fortzusetzen. Die gängige Annahme lautet: Sobald der US-Präsident den Stecker zieht, lohnt es sich für die Ukraine ohnehin nicht mehr, weiterzukämpfen. Die Abhängigkeit von den USA sei zu groß, zumal von Europa keine Ausweitung der Hilfen zu erwarten ist.
Die große Abhängigkeit von US-Verteidigungswaffen
Wie stichhaltig ist diese Annahme? Es kommt jedenfalls darauf an, welche Militärhilfen die USA einstellen würden. Grundsätzlich kann zwischen Waffenlieferungen einerseits und dem Austausch von Karten- sowie Geheimdienstinformationen andererseits unterschieden werden.
Es wäre nicht der erste Stopp
Fest steht, dass die Armee Kiews – der gewachsenen ukrainischen Verteidigungsindustrie zum Trotz – bei Waffen noch immer stark auf die USA angewiesen ist. Diese Abhängigkeit besteht etwa bei den wichtigen Flugabwehrraketen Patriots, die Europa für die Ukraine in den USA einkauft.
„Sollte Trump auf beleidigt machen und keine Rüstungsgüter an die Europäer mehr verkaufen, gibt es insbesondere im Bereich Flieger- und Raketenabwehr eine große Lücke“, sagte Militärexperte Gustav Gressel dem Tagesspiegel. „Man muss verstehen, dass bereits die gegenwärtige Unterstützung für die Ukraine unzureichend ist. Seit 2023 ist dort konstanter Mangelbetrieb.“

Gustav C. Gressel ist Experte für Osteuropa, Sicherheitspolitik und Militärstrategien. Er lehrt und forscht an der Landesverteidigungsakademie des österreichischen Heeres in Wien.
Aber wie sieht es bei den ebenfalls wichtigen Geheimdienstinformationen sowie Satellitenbildern aus, die die USA mit der Ukraine derzeit noch teilen?
Europa hilft mit Aufklärungsdaten
Es gebe keine 100-prozentige Abhängigkeit der Ukraine von US-Aufklärung, teilte Militärexperte Nico Lange dem Tagesspiegel mit. Die Ukraine verfüge „über einige Mittel selbst“. Außerdem würden die Europäer im Bereich Luftraumüberwachung, Satelliten- und Geodaten helfen.
Zwar würden sich bei einem Ausbleiben dieser US-Informationen „sehr wahrscheinlich die ukrainischen Verluste erhöhen“, da zum Beispiel die Frühwarnung der Luftverteidigung bei russischen Raketenstarts nur mit US-Satellitendaten möglich sei.
Aber: „Auch bei Ausfall der US-Aufklärungsdaten würde die Ukraine nicht zusammenbrechen und Russland hätte nicht automatisch gewonnen“, meint Lange.

Nico Lange ist Sicherheits- und Militärexperte sowie Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz und beim Center for European Policy Analysis (CEPA). Während der ersten Trump-Regierung war er für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington.
Die aktuelle Lage auf dem Schlachtfeld: Große Probleme, aber derzeit kein Zusammenbruch
Eine andere typische Annahme lautet, dass die Ukraine den Verteidigungskrieg derzeit ohnehin verliert. Dieser Eindruck geht in Teilen darauf zurück, dass Moskau auffällig viele Erfolgsmeldungen streut, deren Wahrheitsgehalt teils zweifelhaft ist. Ein langsamer russischer Vormarsch ist jedoch unstrittig und die Probleme auf ukrainischer Seite sind offenkundig.
Gressel verweist in diesem Zusammenhang neben dem Materialmangel auch darauf, dass die russische Armee in der Drohnenkriegsführung „rasch dazulernt“.
Probleme bestünden unter anderem auch, weil ukrainische Soldaten desertierten. „Der größte Teil der Deserteure macht sich nach der Ausbildung und vor der Eingliederung in einen Frontverband aus dem Staub.“ Wenn die Ukraine dieses Problem nicht in den Griff bekommt, „gehen ihr bald die Soldaten aus, egal wie aggressiv sie rekrutiert“.
Experte Lange jedoch sieht es optimistischer: „Russland darf man nicht überschätzen, darin liegt das größte Problem.“ Die gegenwärtige und zugesagte Unterstützung aus dem Ausland vorausgesetzt, „könnte der Krieg noch Jahre so weitergehen“.
Die größte Chance für die Ukraine sieht Lange darin, die Angriffe mit weitreichenden Raketen und Drohnen auf russische Militäranlagen und die fossile Energieinfrastruktur auszuweiten. Damit könnte wenigstens ein Waffenstillstand für den Luftkrieg erzwungen werden.
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Auch Gressel sieht für die Ukraine nicht komplett schwarz. Für ihn steht jedoch die Verteidigung im Vordergrund. „Die größte Chance liegt in Verbesserungen im Bereich der Drohnenabwehr. Hier sind einige vielversprechende Systeme in Erprobung. Ich hoffe nur, dass sie zeitgerecht und in der nötigen Quantität produziert werden.“ (mit dpa)