Das Projekt des an der Universität Münster tätigen Professors wurde bereits seit 2020 gefördert. Nun soll es für weitere 25 Jahre Geld geben.

„Das ist wie sechs Richtige im Lotto“, freut sich Hubert Wolf (66): Für seine Forschungen zu Papst Pius XII. und dessen Haltung zum Holocaust erhält der an der Universität Münster tätige Kirchenhistoriker eine Langzeitförderung von sage und schreibe 15,4 Millionen Euro. Das teilt die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften mit.

Das von ihr vergebene sogenannte Akademienprogramm für geisteswissenschaftliche Studien ist weltweit einzigartig. Die Finanzierung erfolgt zu gleichen Teilen durch Bund und Länder.

Pius XII. ist umstritten

An Pius XII. scheiden sich die Geister. Spätestens seit Rolf Hochhuth 1963 sein Drama „Der Stellvertreter“ auf deutsche Theaterbühnen brachte, ist die Frage nach der moralischen Verantwortung des Weltkriegs-Papstes angesichts des Holocausts nicht verstummt. Eine im Vatikan erwogene Seligsprechung von Eugenio Pacelli ist – nicht nur bei Juden – höchst umstritten.

Wolf forscht seit Jahren unter anderem zur Frage, was Pius XII. über den Holocaust wusste und warum er zur Verfolgung der Juden öffentlich schwieg. Geplant war auch eine Biografie über Pacelli, der von 1920 bis 1929 als Botschafter des Vatikans in München und Berlin wirkte.

Sensationelle Entdeckung

Doch das Forschungsinteresse verschob sich: Nachdem der Vatikan 2020 die Archive zum Pontifikat Pius’ XII. öffnete, entdeckte das Historiker-Team dort – eher zufällig – ein bis dahin völlig unbekanntes Thema: knapp 9.500 Bittschreiben, die europäische Juden zwischen 1939 und 1945 in höchster Not an den Papst richteten.

Der Historiker entwickelte daraus ein ganz neues Forschungsprojekt: „Asking the Pope for help“, das von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und dem Auswärtigen Amt für fünf Jahre gefördert wurde. Die jetzt bewilligte Akademieförderung ist auf 25 Jahre angelegt.

Wolf betont, die Bittschreiben, die vielfältigen vatikanischen Reaktionen und die komplizierten Entscheidungsprozesse – er spricht von einem „gewissen Chaos“ – seien für das Verständnis des Verhaltens von Papst und Kurie im Krieg von entscheidender Bedeutung. Der damalige deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, erklärte im Januar 2025, das Vorhaben stehe im deutschen Staatsinteresse.

Was wusste der Papst?

Waren der Papst und seine Mitarbeiter bereit, verfolgten Juden zu helfen? Wie verbreitet waren antisemitische Einstellungen in der Kurie? Diesen Fragen geht Wolf ebenso nach wie der Frage, wer die Bittsteller waren und mit welcher Begründung sie sich an den Papst wandten.

„Ihre Bitten, aus ganz Europa stammend und in verschiedenen Sprachen und Stilen verfasst, spiegeln die ganze Vielfalt jüdischen Lebens wider, schildern eindrücklich erlebtes Leid und zeugen von Hoffnung auf Rettung“, schreibt das Forschungsteam. Es gehe darum, ihre Stimmen wieder hörbar zu machen.

Erste vorsichtige Schlüsse

Mehr als 2.000 Schreiben haben Wolf und sein Team bislang gelesen – und erste vorsichtige Schlüsse gezogen. Der Historiker betont, eine Konzentration auf Pius XII. allein griffe zu kurz. Der Papst habe geschätzte zehn Prozent der Bittschreiben selber gelesen und sei dann meist den Handlungsvorschlägen seiner Mitarbeiter gefolgt. Deutlich werde auch, dass es in der Kurie sowohl klare Antisemiten als auch sehr judenfreundliche Mitarbeiter gegeben habe.

Es sei davon auszugehen, dass das Kirchenoberhaupt und die Kurie sehr detailliert über die Situation der Juden informiert waren – und über Handlungsoptionen stritten. Und, dass der Heilige Stuhl oft half – mit Geld oder bei der Ermöglichung von Auswanderungen. Er organisierte Visa und Pässe, finanzierte Schiffspassagen. Den Vorwurf, Pius habe allein getauften Juden geholfen, sieht der Historiker nach erster Einschätzung nicht bestätigt.

Sisyphos-Arbeit

Wolf will bei der Auswertung und Veröffentlichung dieses einmaligen historischen Quellenbestandes auf digitale Technik zurückgreifen. Wie sonst wäre diese Sisyphos-Arbeit zu bewältigen?

Die 17.386 Seiten umfassenden Bittschreiben liegen verteilt in 1.100 Archivschachteln in sechs Vatikanischen Archiven. Sie sind in 17 Sprachen und zu 55,3 Prozent handschriftlich verfasst, berichtet der Historiker. Das Material zur Entscheidungsfindung in der Kurie beläuft sich auf 56.329 Blatt in zwölf Sprachen und ist zu 58,7 Prozent handschriftlich.

Mithilfe von KI sollen Entscheidungswege innerhalb der Kurie analysiert und anschaulich dargestellt werden. In einer Datenbank werden die biografischen Informationen zu Bittstellern und vatikanischen Entscheidern aufbereitet und mithilfe computergestützter Methoden ausgewertet. Auf einer mehrsprachigen Internetseite sollen die Ergebnisse zugänglich gemacht werden.