Alle zehn Minuten zündet sich Baschar Ihd eine Zigarette an und inhaliert, so tief er kann. Der großgewachsene Olivenbauer raucht eine Marke mit extra viel Nikotin. Während er unter einem seiner Olivenbäume im Westjordanland steht und inhaliert, behält er die Umgebung stets im Blick. Kommen sie wieder, mit Knüppeln und Steinen bewaffnet? Wie lange wird es diesmal dauern, bis er von jungen Männer mit einer von Hass geprägten Ideologie aus seinem eigenen Garten vertrieben wird?
Es ist Mittwochmorgen in Burin, einem Dorf nahe Nablus im Westjordanland, das seit 1967 von Israel besetzt ist. Bashar ist Olivenbauer und sichtlich stolz auf sein leuchtend hellgrünes, kaltgepresstes Olivenöl, das er in Plastikflaschen abfüllt. Traditionell ist die Olivenernte eine festliche Zeit. Verwandte und Freunde kommen, um mitzuhelfen und nach ein paar Stunden körperlicher Arbeit im Schatten der Olivenbäume gemeinsam zu essen: Fladenbrot mit frischen Labneh-Frischkäse, das mit einem kräftigen Schuss Öl übergossen wird – den Resten des Öls vom letzten Jahr. Danach starker arabischer Kaffee aus der Thermoskanne und noch eine Zigarette.

Israel: Rechtsextreme Siedler wissen, dass sie das Recht brechen. Doch wen kümmert das?
In diesem Jahr kann von Feststimmung keine Rede sein. Jeder Versuch, die eigenen Olivenbäume zu erreichen, wird zum Überlebenstraining. Die Häuser Burins liegen am Fuße mehrerer Hügel, auf denen israelische Rechtsextreme illegale Siedlungen errichtet haben. Den Extremisten ist bewusst, dass sie israelisches Recht brechen, doch sie verlassen sich darauf, dass es niemanden kümmert – und sie tun das mit Erfolg. Die rechtsreligiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu hat einige dieser illegalen Siedlungen sogar von einen Tag auf den anderen für legal erklärt.
Bashar hingegen, der Haus und Grundstück rechtmäßig erworben hat, muss zusehen, wie die Rechtsextremen ihn von hier zu vertreiben versuchen – ihn und die anderen Bewohner von Burin.
Während der Olivenernte sind die Rechtsextremen besonders motiviert
„Sie kommen jeden Samstag“, sagt er. Mit T-Shirts vermummt, mit Knüppeln und Steinen bewaffnet, streichen sie um sein Haus herum. Bashar, seine Frau und die drei Töchter verbarrikadieren sich dann in den hinteren Räumen und hoffen, dass die Siedler irgendwann wieder abziehen.
Während der Olivenernte sind die Rechtsextremen besonders motiviert. „Sie warten nur darauf, dass die Bauern in ihre Gärten gehen, damit sie angreifen können. Sie zünden Bäume und Autos an, reißen junge Bäume aus“, sagt Samir, ein Palästinenser, der für die israelische Organisation „Rabbis für Menschenrechte“ die Siedlerattacken dokumentiert. „Sie kennen kein Gesetz. Sie respektieren niemanden, auch nicht die Armee und die Polizei.“

Viel zu selten greift die israelische Grenzpolizei ein und hindert radikale Siedler daran, Palästinenser bei der Olivenernte anzugreifen.
© REUTERS | Mohamad Torokman
Die israelische Polizei lässt die Siedlergangs gewähren
Die Polizei, die dem rechtsextremen Minister Itamar Ben Gvir untersteht, lässt die Siedlergangs gewähren. Nur wenige der gewaltsamen Übergriffe führten zu Festnahmen durch die israelische Polizei.
Da niemand die Palästinenser vor den Extremisten schützt, haben sich auch dieses Jahr wieder Dutzende Israelis bereit erklärt, bei der Olivenernte mitzuhelfen – und gleichzeit als Schutzschild vor den Angriffen zu dienen.
An diesem Mittwochmorgen ist der 75-jährige Yossef mit einer Gruppe von Israelis und jüdischen Aktivisten aus den USA nach Burin gefahren, um Bashar bei der Olivenernte zu helfen. „Ich komme in jeder Ernte zwei oder drei Mal“, sagt der Ökonomieprofessor aus Jerusalem. Siedlerattacken gab es immer. „Aber dieses Jahr ist das schlimmste, das ich je gesehen habe.“

Die Olivenernte begann kurz nach der Waffenruhe in Gaza. „Die Siedler ärgern sich, weil der Krieg vorbei ist“, meint Yossef. Sie lassen den Zorn an den Palästinensern aus. Vor einen Monat wurde eine ältere Frau nahe Ramallah bewusstlos geprügelt, sie erlitt Hirnblutungen.
Immer öfter sind auch die israelischen Freiwilligen Repressionen ausgesetzt. So auch an diesem Mittwoch. Plötzlich tauchen Soldaten am Rande von Bashars Grundstück auf. Die Israelis sollten sofort das Gebiet verlassen, es handle sich um eine Militärzone, erklärt der Kommandant, und zeigt ein zerknittertes Dokument vor. Diese Sperrzone gelte für 24 Stunden – zufällig genau an jenem Tag, an dem die Freiwilligen in Burin sind. Der Erntetag muss nach nur zwei Stunden abgebrochen werden.

Israelis wollen bei der Ernte helfen – das gelingt nicht immer
Dass die Armee israelische Freiwillige daran hindert, den Palästinensern zu helfen, hat System, sagt Avi Dabush von der NGO Rabbiner für Menschenrechte: In diesem Jahr wurden die Israelis an neun von dreizehn Erntetagen in unterschiedlichsten Gegenden des Westjordanlandes an der Erntehilfe gehindert – mittels spontaner Deklaration zu „militärischem Sperrgebiet“.
Wer in Verdacht gerät, die Sperrzone übertreten zu haben, wird zur Polizei gebracht. So auch an diesem Mittwoch: Mehrere Freiwillige, darunter auch ein deutscher Staatsbürger, werden fünf Stunden lang in einer Polizeistation festgehalten.

Dass die Freiwilligen stundenlang festgehalten und manchmal sogar des Landes verwiesen werden, während die Rechtsextremen nicht einmal für körperliche Gewalt mit schweren Folgen belangt werden, sei „selektive Strafverfolgung auf gefährlichste Weise“, meint Dabusch.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Bei den Rechtsextremen stößt das Vorgehen auf Begeisterung: Die Armee habe „Führungsstärke bewiesen“ in ihrem Umgang mit den „Anarchisten“, freut sich Elisha Jered auf Facebook. Jered ist auch in Europa kein Unbekannter: Die EU hat den Extremisten mit Sanktionen belegt – wegen seiner Gewaltaufrufe gegen Palästinenser.