1. Startseite
  2. Wirtschaft

DruckenTeilen

Dieser Vorstoß der EU-Kommission erhitzt die Gemüter: Alle Bürger sollen sich an einem Rentensystem aus den USA beteiligen. Was das bedeuten würde.

Brüssel – Die EU will, dass alle Bürger automatisch in eine private Altersvorsorge aufgenommen werden. Das ist der Inhalt eines Pakets, das die Europäische Kommission kürzlich vorgestellt hat. Wie die Welt berichtet, handelt es sich dabei um eine Empfehlung der EU an ihre Mitgliedsländer, umsetzen müssen diese den Vorschlag nicht.

Montage aus verschiedenen Flaggen von EU-Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Parlament. In einem Kreis sind zwei Hände, die einen 50-Euro-Schein halten.Die EU orientiert sich mit ihrem Vorschlag am Rentensystem der USA (Symbolbild) ©  Thomas Banneyer/Sebastian Kahnert/dpa

Die Rentenpläne der EU erinnern in Teilen an ein amerikanisches System: das „401(k)“. US-Bürgern, die daran teilnehmen, zieht der Arbeitgeber automatisch einen Teil des Gehalts ab und legt es auf ihr 401(k)-Konto. Die Arbeitnehmer können dann entscheiden, in welche Finanzprodukte sie ihr Geld investieren wollen, um damit für ihre Altersvorsorge zu sparen. Bis zur Auszahlung der Rente fallen auf das Gehalt, das auf dem Sparkonto landet und dessen Verzinsung keine Steuern an.

EU will Renten-System nach amerikanischem Vorbild einführen

Der Vorteil dieses Systems: Menschen sorgen automatisch privat fürs Alter vor und zahlen auf einen Teil ihres Gehalts geringere Steuern. Rund 200.000 Teilnehmer am 401(k) schaffen es damit über eine Million Euro für die Rente anzusparen. Allerdings ist der Erfolg dieser Altersvorsorge stark davon abhängig, wie viel der Einzelne einzahlt und wie klug er Anlageentscheidungen trifft. Die meisten der rund 70 Millionen Teilnehmer bekommen laut Zahlen von The Currency nämlich deutlich weniger. Im Median haben US-Bürger beim Renteneintritt rund 187.000 Euro auf ihrem 401(k)-Konto. Das heißt: Eine Hälfte der Teilnehmer hat weniger, die andere mehr als diesen Betrag.

Dafür geben die Amerikaner laut Angaben des Finanzdienstleisters nerdwallet im Schnitt 7,7 Prozent ihres Gehalts ab – zusätzlich zu den regulären Rentenbeiträgen und Steuern. Vor allem für Geringverdiener kann das zu teuer sein. Hinzu kommt, dass die Altersvorsorge über ein 401(k)-Konto riskant ist und Wissen über kluge Finanzanlagen voraussetzt. In der Praxis zeigt sich, dass viele 401(k)-Sparer dieses Wissen nicht haben. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen, legen viele Menschen ihr Geld in Aktien der eigenen Firma an, statt es breit zu streuen, was deutlich sicherer wäre.

Es ist unklar, wie die Renten-Pläne der EU konkret aussehen werden

Wie eine europäische Variante des 401(k) aussehen könnte, ist unklar, da es letztlich von politischen Entscheidungen in den Mitgliedsländern abhängt. Die EU empfiehlt bloß ein sogenanntes „Auto-Enrollment“ – Bürger sollen also automatisch in irgendeine Form der privaten Altersvorsorge aufgenommen werden. Welche das dann konkret sein soll, geht aus dem EU-Vorschlag nicht hervor.

Ein Vorbild könnte Polen sein. Die Regierung um Ministerpräsident Donald Tusk plant, im kommenden Jahr ein „Persönliches Investitionskonto“ für polnische Bürger einzuführen. Wie Buisness Insider berichtet, können die Polen dann auf diesem Konto steuerfrei mit Finanzmarktinvestments für ihre Rente sparen. Das gilt allerdings nur bis zu einem Betrag von rund 23.000 Euro. Liegt der Wert des Depots darüber, fällt eine jährliche Steuer von 0,8 oder 0,9 Prozent an.

Die polnische Regierung will sich bei der Ausgestaltung des „Persönlichen Sparkontos“ nach eigenen Angaben am schwedischen Modell orientieren. Dort zahlen Arbeitnehmer neben den Rentenbeiträgen von 16 Prozent noch zusätzliche 2,5 Prozent in eine Kapitalmarktrente ein. Sie können dabei auswählen, in welche Fonds ihr Geld fließen soll. Wählen sie nichts aus, geht das Geld automatisch an den staatlichen Rentenfonds. Schweden hat dank dieses Systems höhere Altersbezüge als Deutschland und ein geringeres Renteneintrittsalter.

Deutsches Beispiel zeigt: Renten-Pläne der EU sind riskant

Dass solche Rentenfonds aber auch riskant sein können, zeigt ein aktuelles deutsches Beispiel. So haben in Berlin, Brandenburg und Bremen viele Zahnärzte große Teile ihrer Altersvorsorge verloren. Ihr Versorgungswerk, in dessen Rentenkasse sie monatlich einzahlen müssen, hatte sich mit einer riskanten Anlagestrategie verzockt und große Summen der Rentenkasse in Unternehmen gesteckt, die pleite gingen oder keine Rendite abwarfen. Das Versorgungswerk hat dadurch bis zu einer Milliarde Euro verloren, etwa die Hälfte des Anlagevermögens.

Die enormen Verluste sind zu großen Teilen auf Missmanagement zurückzuführen, sie zeigen aber auch: Der aktuelle Kapitalmarkt bietet kaum noch sichere Finanzprodukte. Das Versorgungswerk setzte früher vor allem Festzins-Anlagen, zum Beispiel Anleihen. Diese boten über lange Zeit gute Renditen mit geringem Risiko. Wegen der Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank werfen solche Anlagen aber kaum noch Renditen ab, das Versorgungswerk musste deshalb auf spekulative Investments wie Aktien oder Immobilien setzen, um ausreichende Gewinne für die Rentenkasse einzunehmen.

Auch große Rentenfonds können sich verzocken

Das Beispiel zeigt: Auch große Rentenfonds, brauchen ein professionelles Management, das Risiken richtig einschätzt und das Anlagevermögen breit streut. Aber selbst dann hängt die Altersvorsorge immer noch an den manchmal unvorhersehbaren Wirren des Finanzmarkts. In puncto Sicherheit kann eine private Altersvorsorge die umlagefinanzierte Rente deshalb nicht ersetzen.

Die meisten deutschen Politiker sehen den EU-Vorschlag zum Auto-Enrollment als sinnvolle Ergänzung zum bestehenden System. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber sagte der Welt etwa, dass für eine nachhaltige Altersvorsorge auch die private Säule brauche. Rasmus Andresen, Europaabgeordneter der Grünen, sagte: „Auto-Enrollment kann sinnvoll sein, aber nur, wenn es alle Erwerbsformen erreicht und soziale Ungleichheiten nicht verschärft.“ (Welt, The Currency, Buisness Insider, nerdwallet) (Leon Kaiser)