Um den früheren syrischen Herrscher ist es still geworden. Ein Jahr nach seinem Sturz stellt sich die Frage, ob er für den Kreml nur noch ein lästiger Gast ist. Doch der Schutz für entmachtete Verbündete hat in Russland Tradition.
Jana Kehl01.12.2025, 05.11 Uhr
Wladimir Putin ist nicht der Erste im Kreml, der Diktatoren wie Bashar al-Asad Asyl gewährt.
Valery Sharifulin / Sputnik / EPA
Seit dem Sturz seines Regimes und seiner Flucht nach Russland ist der syrische Diktator Bashar al-Asad nur noch ein Phantom. Er lässt sich nie in der Öffentlichkeit blicken, gibt keine Interviews und verzichtet auf jegliche Kommentare zu den Entwicklungen in seiner Heimat. Über den Alltag Asads, seiner Frau und seiner Kinder gibt es deshalb nur Gerüchte.
Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Russlands Regierung will offensichtlich, dass es bei diesen Gerüchten bleibt: Das Asyl der Asads sei an strikte Bedingungen geknüpft, sagte etwa der russische Botschafter in Bagdad gegenüber irakischen Medien. Politische Aktivitäten oder öffentliche Auftritte seien unerwünscht. Asad wird durch den russischen Geheimdienst von der Öffentlichkeit abgeschirmt.
In diesem Vorgehen ist der Kreml geübt. Asad ist einer von mehreren Potentaten, die «aus humanitären Gründen» in Russland Schutz erhalten haben. Gerade im Fall des gestürzten syrischen Diktators dürfte dieser Schutz aber erhebliche Ressourcen des russischen Inlandgeheimdienstes in Anspruch nehmen. Asad werden international Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Giftgas gegen die eigene Bevölkerung vorgeworfen. Ebenfalls liegt seit September ein Haftbefehl der syrischen Justizbehörden vor.
Das Vermögen des Asad-Clans wird von der amerikanischen Regierung auf 1 bis 2 Milliarden Dollar geschätzt, womit dieser wohl auch in Russland für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann. Was den Aufenthaltsstatus und die Sicherheit Asads betrifft, ist der geflohene Diktator aber von der Gunst des Putin-Regimes abhängig.
Doch welchen Nutzen hat der Kreml davon, Asad und anderen Exilanten Schutz zu gewähren? Und sie dabei verstummen zu lassen? Die Fragen stellen sich umso mehr, als das russische «Asylsystem» einer paradoxen Logik folgt: Zwar kann Russland damit als Schutzmacht auftreten, aber zugleich zeigt sich mit jedem Umsturz in befreundeten Ländern die Grenze russischen Einflusses.
Keine Lebensversicherung
Wladimir Putin ist nicht der erste Kremlführer, der seinesgleichen schützt. Auch in der Sowjetunion kam dieses System zum Zug. Am bekanntesten ist der Fall von Matyas Rakosi. Der stalinistische Diktator in Ungarn war 1956 von der eigenen Partei abgesetzt worden, kurz vor dem ungarischen Volksaufstand floh er in die Sowjetunion. Obwohl man auch dort von Stalins Politik abkommen wollte, wurde ihm bis zu seinem Tod Asyl gewährt.
Im Fall Rakosis kam der sowjetische Schutz einer Lebensversicherung gleich. Ähnliche langfristige Garantien scheint es für gestürzte Machthaber im modernen Russland zu geben. So befindet sich der mittlerweile 80-jährige frühere Präsident von Kirgistan, Askar Akajew, bereits seit zwanzig Jahren in Moskau. Auch der 75-jährige Wiktor Janukowitsch, der seine Macht infolge der Maidan-Revolution von 2014 verlor, darf seinen Lebensabend in Moskau verbringen. Der ehemalige ukrainische Präsident besitzt mittlerweile sogar die russische Staatsbürgerschaft.
Im März 2005 besetzten Demonstranten in Kirgistan mehrere Regierungsgebäude. Der damalige Präsident Askar Akajew sah sich gezwungen, sein Land zu verlassen.
Vladimir Isachenkov / AP
Dennoch gewährt Russland politischen Flüchtlingen in der Regel kein politisches Asyl, sondern nur eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung, die jährlich erneuert werden muss. Dabei handelt es sich lediglich um eine Duldung, durch welche eine Abschiebung rechtlich verzögert wird. Die russische Regierung hat kaum ein propagandistisches Interesse an ihren Exilanten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die russische Regierung am Machterhalt loyaler Autokraten interessiert ist – und deren Sturz für Russland im Grunde eine geopolitische Niederlage darstellt.
Auch Wiktor Janukowitsch, der 2014 als Präsident der Ukraine infolge des Maidan-Aufstands abgesetzt worden war, flüchtete nach Russland.
Sergei Karpukhin / Reuters
Schliesslich gibt es auch einen prominenten Fall, in dem der Kreml einen einstigen Verbündeten fallengelassen hat: Erich Honecker, den letzten Machthaber der DDR. Obwohl er sich in den 1980er Jahren gegen die Reformpolitik unter Michail Gorbatschow gestellt hatte, wurde er nach der deutschen Wende nach Moskau ausgeflogen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands wuchs jedoch der politische Druck auf Moskau. Honecker wurde 1992 durch die russischen Behörden ausgeliefert und kurzzeitig ins Gefängnis von Moabit in Westberlin gebracht. Von dort aus führte ihn seine Asyl-Odyssee weiter nach Chile, wo Honecker wenige Monate nach der Ankunft verstarb.
Michail Gorbatschow (vorne links) und Erich Honecker (vorne rechts) auf der Ehrentribüne anlässlich der Militärparade zum 40-jährigen Bestehen der DDR im Jahr 1989.
Imago
Militärbasen als Druckmittel?
Der russische Umgang mit Honecker bleibt aber bis anhin eine Ausnahme. Eine Auslieferung zeichnet sich im Fall Asads nicht ab. Laut Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, hat dies vor allem aussenpolitische Gründe: Wladimir Putin begreife sich als Vorreiter einer neuen Weltordnung abseits Europas und der Vereinigten Staaten. Das Asylsystem für gestürzte Potentaten sei ein Mosaikstein der Strategie, mit welcher der Kreml diese neue Weltordnung zu stabilisieren versuche. «Mit der Abschiebung Asads würde Putin seiner Reputation in den Kreisen autoritärer Herrscher schaden», sagt Schmid.
Im Fall Asads hat Syrien aber theoretisch ein wichtiges Druckmittel: die russische Marinebasis Tartus am Mittelmeer sowie den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in der Nähe von Latakia. «Wenn Putin Gefahr läuft, diese Militärbasen zu verlieren, ist eine Auslieferung Asads möglich», sagt Schmid. Bei einem Treffen zwischen Putin und dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Sharaa Mitte Oktober wollten aber beide Seiten eine derartige Eskalation vermeiden.
Mitte Oktober empfing Wladimir Putin den neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Sharaa im Kreml.
Sergey Bobylev / Imago
Marcel Dirsus, Politikwissenschafter und Autor des Buchs «Wie Diktatoren stürzen», macht im «New Statesman» jedoch auf einen weiteren Faktor aufmerksam, der eine Auslieferung begünstigen könnte: Asad sei nicht nur vom jetzigen russischen Präsidenten abhängig, sondern auch von einem Nachfolger Putins. Letzterer könne die Auslieferung als einen einfachen Weg betrachten, um die internationale Gemeinschaft zu beschwichtigen, schreibt Dirsus. Ulrich Schmid zeigt sich demgegenüber zurückhaltender. Viele der gestürzten Machthaber und ihre Familie hätten vor oder auch nach ihrer Flucht Geschäftsbeziehungen in Russland aufgebaut. «Sofern ein grundlegender Machtwechsel im Kreml ausbleibt, dürfte ein Post-Putin-Regime diese Geschäfte aufrechterhalten wollen.»
Finanziell eingebettet
Durch diese Geschäftsbeziehungen landen entmachtete Potentaten und ihre Familien zumindest in finanzieller Hinsicht weich in Russland. Dies zeigt sich etwa im Fall der Familie Janukowitsch: Der Sohn des entmachteten ukrainischen Präsidenten handelt mit Kohle aus dem russisch besetzten Donbass. Der Handel läuft laut einem unabhängigen russischen Rechercheportal über eine Firma mit Sitz in Russland.
Auch durch Immobilienkäufe sind viele Autokraten in Russland abgesichert. Wenn es um deren Besitz von Liegenschaften und mögliche Wohnorte geht, wird häufig Barwitscha genannt – eine Vorortssiedlung im «Villengürtel» westlich von Moskau. Nach der Flucht Asads kursierten schnell Gerüchte, der gestürzte syrische Langzeitherrscher residiere ebenfalls in dieser Siedlung. Zwar soll Asad eine Villa ausserhalb Moskaus besitzen, laut Recherchen der «Zeit» ist aber vor allem das Geschäftsviertel Moskwa City der Lebensmittelpunkt seines Clans. Bereits 2019 wurde bekannt, dass Verwandte Asads in diesem Finanzviertel zwanzig Wohnungen im damaligen Wert von 40 Millionen Dollar erworben hatten.
Auch kremlfreundliche Politiker, die nach wie vor an der Macht sind, investieren in Russland. Dies gilt etwa für Bidsina Iwanischwili, der als Drahtzieher hinter Georgiens Regierungspolitik wahrgenommen wird. Entgegen seinen Behauptungen hält er laut Transparency International ein Unternehmen in Russland, das offiziell in der Immobilienbranche tätig ist. Nicht auszuschliessen ist, dass Iwanischwili und andere russlandfreundliche Politiker bei solchen Geschäften das Szenario einer Flucht aus ihrem Heimatland zumindest im Hinterkopf haben.